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Gerichte aus der Kindheit

LIWANZEN

Ratlos schauten wir uns an. Liwanzen wünschte sich unsere Redakteurin Gesa Van Hecke – das Wort hatten wir noch nie gehört. Das seien kleine böhmische Hefe-Pancakes, erklärte sie uns – ihre Oma hatte die immer gebacken.

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Auffallend oft hören wir bei dieser Serie „Gerichte aus der Kindheit“ Rezepte aus Großmutters Küche. Wenn die Enkel am Küchentisch in gespannter Vorfreude auf ihre Leibspeise warteten, lag wohl über dem Ganzen immer ein besonderer Zauber. So auch diesmal. „Sie hatte eine spezielle Liwanzen-Pfanne mit vier Mulden für die kleinen Pfannküchlein. Dann wurden sie in Zucker und Zimt gewendet. Die Liwanzen kamen dann in einem hohen Haufen auf eine Servierplatte und wurden in die Mitte des Tisches gestellt. Und wir sind darüber hergefallen wie die Raubtiere.“

Zum großen Kummer Gesa Van Heckes ist das Rezept ihrer Oma Gertrud verschollen: „Sie hat es niemandem verraten, bevor sie gestorben ist.“ Wenn man sie fragte, antwortete sie unbestimmt: „A weng hiervon, a weng davon, bis es g‘schmeidig ausschaut.“ Damit soll man nun arbeiten! Mein Mann, der Koch, schnappte sich sein Tablet und setzte sich an den Küchentisch, war danach längere Zeit nicht ansprechbar. Er murmelte etwas von Hefe und Milch und Mehl und welche Mengenverhältnisse zueinander sie haben mussten, geriet dann auf einen Blog (www.haeferlguckerin.at), deren Autorin genau dasselbe Problem wie unsere Gesa hatte, die aber anlässlich eines Umzugs auf die bisher verschollene, handschriftlich geführte Kladde ihrer Oma gestoßen war.

Gottseidank stand darin das Rezept! Ich hörte auch oft das Wort „Liwanzenpfanne“. Als der Gatte mit seiner Recherche fertig war, sollte ich eine bestellen, für Anschaffungen bin immer ich zuständig. „Wozu?“ fragte ich. Ich war fast sechs Jahrzehnte ohne eine solche prima ausgekommen. „Man kann auch Spiegeleier drin braten“, antwortete er vage. Also durchforstete ich ein großes Internetkaufhaus nach diesem Artikel - gibt ja nichts, was die nicht haben - und zwei Tage später klingelte der Postbote. Das Experiment konnte beginnen!

„In der böhmischen Küche gibt es immer eine Suppe vorweg“, berichtete Gesa Van Hecke. „Dann einen deftigen Hauptgang, Braten mit Knödeln oder sowas – deshalb war es immer gut, vorher zu fragen, was es als Nachtisch gibt. Für Liwanzen musste man sich genug Platz im Bauch lassen. Liwanzen sind weich und luftig und außen durch die Zimt-Zucker-Panade ein bisschen knusprig. Man hat sie in drei Bissen verschlungen.“ Wir servierten also nach dem großen Familienessen am Sonntag zum Nachtisch die kleinen böhmischen Pfannkuchen. Mit Zucker und Zimt und selbst gemachtem Apfelmus. Alle kriegten zwei Stück und so schnell war ein Nachtisch noch nie beendet.

Uns kam der Verdacht, dass es vielleicht zu wenig gewesen war. Am nächsten Tag aßen der Gatte und ich die Reste, vom Liwanzen-Teig war auch noch etwas da. Er stapelte die fertigen Küchlein auf einer Servierplatte, und ich muss sagen, jetzt herrschte das Gesetz des Stärkeren. Er gewann mit einer Liwanze Vorsprung, wir stellten verblüfft fest, dass wir beide neun beziehungsweise zehn Stück weggeputzt hatten ohne es richtig zu merken – ich muss daher eine Warnung aussprechen: Man kann nicht mehr aufhören zu essen, wenn Liwanzen auf dem Tisch vor einem liegen, so als Stapel. Da hat unsere Gesa ganz recht.

Liwanzen sind auch unter dem Oberbegriff Dalken bekannt. Sie gehören zur traditionellen böhmischen Küche, und die setzt ja bekanntlich auf Mehlspeisen. Sie werden in einer typischen Pfanne mit kleinen flachen Vertiefungen gebacken, es geht aber auch ohne, dann werden sie allerdings flacher. In die alten Eisenpfannen, die man manchmal auf Flohmärkten noch ergattert, kam dann reichlich Schweineschmalz, bevor die Pfannküchlein ausgebacken wurden. Manche machen Pflaumenmus drauf (das sind dann Powidl-Dalken), manche aber auch Mohn, Zucker oder Zimt oder alles zusammen.

Die Spezialpfannen hat man früher beim Backen direkt über dem Feuer der alten Stangenherde platziert, nachdem man die inneren Herdringe herausgenommen hatte. Heute gibt es moderne Pfannen, die ohne weiteres auf Elektro- oder Gasherden benutzt werden können; sie sind nicht besonders teuer und man kann tatsächlich auch Spiegeleier darin backen. Dalken sind übrigens mit den holländischen Poffertjes verwandt. Das Rezept ist eigentlich simpel und in der Grundstruktur immer ähnlich. Den halben Hefewürfel zunächst in etwas warmer Milch und einem Teelöffel Zucker vorgehen lassen, bis er Blasen wirft. Dann den Rest hinzufügen und gründlich umrühren; darauf achten, dass alle Zutaten Zimmerwärme haben, die Butter soll flüssig sein.

Eine Prise Salz dazu und die Zitronenschale; manche benutzen zum Aromatisieren auch Vanille. Den Teig dann gehen lassen. Er ist ziemlich flüssig – und das ist gut so! Denn dann kann man ihn esslöffelweise in die mit neutralem Speiseöl gefetteten, heißen Vertiefungen der Pfanne geben. Jede Seite braucht nur eine Minute. Ganz frisch schmecken die kleinen Pfannkuchen am besten; zur Herstellung größerer Mengen empfiehlt es sich, die Küchlein im heißen Backofen zwischenzulagern. Wir haben dazu Zimtblüte (Macis) und feinen Zucker vermischt; jeder bekam einen kleinen Berg davon auf seinen Kompottteller, zusätzlich zum frischen Apfelmus. Die Liwanze kann dann in Stücke geschnitten, in der Zucker- Zimt-Mischung gewälzt und mit einem Klecks Apfelmus versehen werden, himmlisch ist das.

Tja, und dann hatten wir immer noch ein wenig Teig übrig. Am nächsten Tag verrührte der Gatte selbst hergestelltes Latwerge (das ist ein dick eingekochter, pastöser Pflaumenmus) mit Zucker, Zimt und etwas Rum und haute auch die letzten Liwanzen in die tolle neue Pfanne – das waren dann die Powidl-Dalken, die sollten auch sehr schmackhaft sein. Der Suchtfaktor war uns ein wenig peinlich, aber wir fielen wieder darüber her bis nichts mehr übrig war. Es schmeckt mit dieser Beilage ganz anders als die vorherige Version, es ist von dunkler Süße, in der noch eine Ahnung des Spätsommers schwingt, mit ein wenig Rum-Aroma, wahnsinnig lecker. Spätestens nach dieser Mahlzeit stand fest: Liwanzen werden ab sofort ins Standardrepertoire unserer Küche aufgenommen, Gesa Van Heckes Oma Gertrud sei Dank!

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 01/2022 ab Seite 106.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin in Zusammenarbeit mit Michael Regner, Koch

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