Psychologie in der Apotheke
GENERATION HELIKOPTER-ELTERN
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Immer weniger Kinder gehen zu Fuß zur Schule: In den 1970er Jahren waren es noch 90 Prozent der Grundschüler, im Jahre 2012 war es laut einer Forsa-Umfrage nur noch jeder zweite Grundschüler. Meist nutzen die Kinder das Elterntaxi, ein typisches „Angebot“ von Helikopter-Eltern, die Angst haben, dass ihren Schützlingen etwas passiert. Doch die Familienkutsche gefährdet gleich doppelt: Zum einen reduziert sie die Sicherheit der Kinder in den Straßen vor der Schule, zum anderen hindert sie die eigenen Kinder daran, das Verhalten im Straßenverkehr selbst zu erlernen.
Keine Chance auf Selbstständigkeit Als Helikopter- oder Hubschrauber-Eltern bezeichnet man Eltern, die sich übertrieben fürsorglich verhalten, sich permanent bei ihren Kindern aufhalten, sie überwachen und unter anderem vor Auseinandersetzungen schützen wollen. Bei der Bezeichnung Helikopter-Eltern handelt es sich um eine Metapher, Eltern kreisen wie ein Hubschrauber ständig um den Nachwuchs und beobachten ihn in möglichst jeder Situation. Helikopter-Mütter und -Väter mischen sich in die Angelegenheiten ihrer Kinder ein und geben ihren Sprösslingen keine Chance, sich Herausforderungen selbstständig zu stellen.
Langfristige Folgen Die Überfürsorglichkeit hat verschiedene negative Konsequenzen für das Kind, denn die Entwicklung der Selbstwirksamkeit, die Anpassungsfähigkeit im Arbeitsumfeld sowie die Selbstregulation leiden darunter. Das Konzept der Selbstwirksamkeit bezeichnet die Erwartung einer Person, aufgrund der eigenen Kompetenzen eine Handlung erfolgreich durchführen zu können. Eine hohe Selbstwirksamkeit geht mit hohen Erwartungen an die eigene Person einher, sodass die Individuen später eher schwierige Aufgaben wählen. Die Erfüllung dieser Herausforderung führt zur Bestätigung der eigenen Fähigkeiten und demnach zu einer Steigerung der eigenen Selbstwirksamkeit. Ihre Ausprägung unter Helikopter-Eltern: Fehlanzeige! Unter Selbstregulation versteht man hingegen die Fähigkeit einer Person, Aufmerksamkeit, Emotionen, Impulse und Handlungen zu steuern.
Es handelt sich um eine fundamentale Fertigkeit, die weitreichende Folgen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen haben kann. Kinder müssen zum Erwerb der Selbstregulation die Möglichkeit haben, den Umgang mit Herausforderungen und Frustration zu erlernen – Helikopter-Eltern lassen ihren Kindern diese Freiräume in der Regel nicht. Wenn die Herausforderungen zu komplex oder zu schwierig werden, dürfen Eltern selbstverständlich Hilfestellungen geben. Ein zu kontrollierendes oder intervenierendes Verhalten führt jedoch dazu, dass der Nachwuchs die Emotions- und Verhaltensregulation nicht ausreichend erlernt, sodass Defizite in schulischen, emotionalen und sozialen Lebensbereichen entstehen.
Aus dem Weg! Eine Unterform der Helikopter-Eltern sind die Rasenmäher-Eltern, die dafür sorgen, dass ihren Kindern jedes Hindernis aus dem Weg geräumt wird. Sie lassen beispielsweise nicht zu, dass die Sprösslinge soziale Streitigkeiten selbst lösen und mischen sich in ihre Angelegenheiten ein. Der Begriff „Rasenmäher-Eltern“ ist relativ neu und stammt von einem Lehrer, der anonym bleiben möchte. Er beschreibt auf seiner Plattform „We are the teachers“ seine Erfahrungen mit Eltern und Kindern und definiert Rasenmäher-Eltern folgendermaßen: „Rasenmäher-Eltern tun alles, was nötig ist, um ihr Kind vor Rückschlägen, Auseinandersetzungen oder Misserfolgen zu bewahren. Anstatt die Kinder auf Herausforderungen vorzubereiten, mähen sie Hindernisse nieder, sodass ihre Kinder sie erst gar nicht zu spüren bekommen.“
Der Lehrer wirft Rasenmäher-Eltern vor, dass sie eine Generation von Kindern erschaffen, die nicht wissen, was sie tun sollen, wenn sie in ihrem Leben auf ein Hindernis stoßen. Sie würden bei Misserfolgen in Panik geraten oder komplett abschalten. Scheitern sei für sie so schmerzhaft, dass sie auf Bewältigungsmechanismen wie Sucht oder Schuldzuweisungen zurückgreifen, um mit schwierigen Situationen klarzukommen. Eine Professorin der Universität Pittsburgh berichtet in ihrem Blog ebenfalls über Rasenmäher-Eltern (pittsburgh.momcollective.com). Sie weist auch auf die negativen Folgen des Erziehungsstils hin und kritisiert, dass Kinder nur den Weg kennenlernen, den die Eltern ihren Kindern ebnen. Der Nachwuchs sei nicht in der Lage dazu, ohne Hilfestellungen anderer eigene Entscheidungen zu treffen. Hin- zu kommt, dass ihm vermittelt wird, er sei nicht gut genug, seine eigenen Probleme selbstständig zu lösen.
Leistungsdruck entsteht Zudem stellen Rasenmäher-Eltern hohe Anforderungen an ihre Kinder und wünschen sich Erfolge in sozialer und akademischer Hinsicht. Häufig wird beobachtet, dass Kinder Ziele hinschmeißen und zornig oder trotzig reagieren, wenn ihnen etwas nicht gelingt. Manchmal ist sogar die Angst vor dem Scheitern so groß, dass die Sprösslinge sich gar nicht erst an die Aufgabe herantrauen. Aufgrund eines starken Leistungsdrucks ist das Versagen für das Kind unerträglich, schließlich haben Mutter oder Vater mit ihm auf ein Ziel hin gearbeitet (zum Beispiel auf eine Klassenarbeit) und trotzdem hat es nicht geklappt.
Wissenschaftlich belegt Forscher der University of Minnesota Twin Cities, University of North Carolina und der Universität Zürich untersuchten über einen Zeitraum von mehr als acht Jahren 422 Kinder. Sie beobachteten beispielsweise, wie stark sich Mütter in das Spielen bei Zweijährigen einmischten. Durch den überfürsorglichen Erziehungsstil hatten Fünfjährige bereits eine schlechtere Impulskontrolle entwickelt, Zehnjährige zeigten schlechtere Schulleistungen sowie emotionale Probleme. Sind Kinder unzureichend dazu in der Lage, ihre Emotionen und ihr Verhalten zu regulieren, stören sie häufiger im Unterricht, finden weniger Freunde und haben meist Schwierigkeiten in der Schule.
Eltern meinen es gut Helikopter-Eltern sehen ihre Kinder oft als Partner und machen alles mit ihnen zusammen. Dadurch dass sie beispielsweise mit ihnen für die Schule lernen, bauen sie unbewusst Druck bei ihren Sprösslingen auf und vermitteln ihnen, dass sie bestimmte Leistungen von ihnen erwarten. Dies schränkt die Kinder insofern ein, dass sie sich nicht trauen, Fehler zu machen, weil sie ihre Eltern nicht enttäuschen wollen. Kontrollierende Mütter und Väter möchten eigentlich ihre Kinder schützen und für sie da sein, möglicherweise stecken von Seiten der Eltern Ängste hinter diesem Verhalten wie etwa die Angst, dass den Kleinen etwas passiert. Die Studie wurde allerdings in einigen Punkten kritisiert, unter anderem warf man den Wissenschaftlern vor, dass kulturelle Faktoren (wie die Gefährlichkeit des Umfelds) nicht miteinbezogen wurden.
Fazit Eltern sollten stets prüfen, ob sie dem Kind genug Freiräume lassen, sodass es sich frei entfalten kann, und gleichzeitig kritisch betrachten, ob sie sich in einigen Bereichen vielleicht doch zu übergriffig verhalten.
Verwöhnter Nachwuchs Eine weitere Form der Überbehütung ist die Verwöhnung – der Begriff geht auf Alfred Adler, Begründer der Individualpsychologie zurück. Adler wies damals auf die negativen Folgen des verwöhnenden Erziehungsstils hin, die Kinder „verlören das Vertrauen in die eigene Kraft“ und „die beste Unterstützung ihres geistigen Wachstums“. Für das Kind sei die Verwöhnung entmutigend und es baue keinen Antrieb und keine Motivation auf, sich zum Erreichen von Zielen anzustrengen.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2020 ab Seite 126.
Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin