© bowie15 / iStock / Getty Images Plus

Kolumne | Prof. Dr. Aglaja Stirn

FRAGEN ZUM VERLIEBEN

Ein Set von 36 Fragen kann Nähe zwischen zwei völlig fremde Menschen herstellen.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Manchmal möchte man ein tieferes Gespräch führen und dadurch in eine tiefe Form der Beziehung treten, um die andere Person näher kennenlernen. Vielleicht möchte man auch nur ihre wahren Absichten, Stärken, Schwächen oder Emotionen entschlüsseln. Vor allem geht es darum, das Persönlichkeitsprofil des Gegenübers besser zu verstehen. Wie macht man das? Der amerikanische Wissenschaftler Arthur Aron hat sich mit seinem Forschungsteam auf diese Frage gestürzt.

In seinem Bericht „The Experimental Generation of Interpersonal Closeness: A Procedure and Some Preliminary Findings“ beschreibt er, wie Intimität und Nähe zwischen zwei völlig fremden Personen hergestellt werden kann. Nämlich mit 36 Fragen. Die Idee, die sich dahinter verbirgt, ist, dass Verwundbarkeit und Verletzbarkeit, also das ehrliche Beantworten der doch recht intimen Fragen, Verbundenheit erzeugt. Es wird beispielsweise gefragt, „Wofür in deinem Leben bist Du am dankbarsten?“.

Dankbarkeit ist etwas Wichtiges und gehört zu einem guten Leben dazu. Dankbar zu sein, egal für was, die kleinen oder die großen Dinge, die schönen Stunden, die man erlebt hat oder auch für die nicht so schönen Stunden, die einen trotzdem vorwärtsgebracht haben, ist auch eine Frage der Haltung und des Blickes auf das eigene Leben. Insofern liefert sie auch einen Blick in die Seele des anderen Menschen.

Eine andere Frage lautet: „Hast Du eine geheime Vorahnung davon, wie Du sterben wirst?“ Kein Mensch weiß, wie und wann er stirbt, es ist ein Mysterium. Wir können also nur darüber fantasieren und diese Fantasien sagen etwas über unsere Art zu denken und zu fühlen aus. Weitere Fragen sind: Wenn Du wüsstest, dass Du in einem Jahr stirbst, würdest Du irgendetwas an Deiner Lebensweise ändern? Wann hast Du das letzte Mal vor einer anderen Person geweint? Wenn Du heute Abend sterben würdest, ohne mit jemand gesprochen zu haben, was würdest Du bereuen, nicht gesagt zu haben?

Die 36 Fragen wurden in der Studie gestellt, um herauszufinden, ob sich die Personen anschließend näher zueinander hingezogen fühlten oder sogar ineinander verliebten. Dazu saßen sich zwei völlig fremde Menschen gegenüber und stellten sich im Wechsel die vorgegebenen Fragen. Der Katalog ist so aufgebaut, dass die Fragen immer persönlicher und intensiver werden. Sind alle Fragen beantwortet, sollen sich beide Personen vier Minuten lang in die Augen schauen, ohne ein Wort zu sagen. Das reicht offenbar aus, um sich zu verlieben. Die Fragen sind ein Mittel, Nähe zu schaffen. Wir öffnen uns und dadurch entsteht Intimität: Ich weiß etwas vom anderen, das vielleicht niemand anderes weiß.

Ich habe etwas gespürt, ich habe etwas gesehen von ihm, was er sonst in der Öffentlichkeit oder in freundschaftlichen Beziehungen außenvorlässt. Etwas von ihm/ihr zu wissen, daran interessiert sein, wie er die Welt sieht, wie sein Innerstes funktioniert, wie seine Persönlichkeit ist. Schon dieses ist etwas, was einen anderen Menschen beglücken kann. Man sollte sich jedoch nur dafür entscheiden, wenn man wirklich am anderen interessiert ist. Auch heißt es, die eigene Grenze und die Grenze des anderen zu wahren. Insofern sollte man nicht leichtsinnig mit diesen Fragen umgehen, sondern verantwortungs- und respektvoll.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 07/2021 auf Seite 12.

Zur Person
Professor Dr. Aglaja Stirn ist Direktorin des Instituts für Sexualmedizin und forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Gruppentherapie, Psychoanalyse und Sexualtherapie an der Universität Kiel, Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP.
www.zip-kiel.de

×