Ernährungsreport 2019
SO ESSEN WIR DEUTSCHEN
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Ginge es nach Klischees und Stereotypen, ernähren wir uns sehr deftig, fettig, fleischig: Bratwurst, Sauerkraut, Schnitzel, dazu Kartoffeln. Auch beim Dessert geht’s bei uns nach den Vorstellungen anderer Länder vor allem mächtig und kalorienreich zu, typischerweise stehen demnach Schwarzwälder Kirschtorte oder Frankfurter Kranz auf dem Tisch. Zu Weihnachten gerne Lebkuchen, Spekulatius und Co. Und natürlich Brot, Brot, Brot. Als Beilage, Hauptspeise, sogar im Nachtisch – ginge es nach Vorurteilen essen wir fast nichts anderes. Von Lieblingsgetränken muss man wahrscheinlich gar nicht anfangen. Doch die deutsche Esskultur hat natürlich mehr zu bieten. Oder?
Wie sieht es nun wirklich aus?
1001 Deutsche wurden im BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) Ernährungsreport 2019 befragt. Und: Wir sind wohl tatsächlich ein Fleischesser-Land. Mehr als jeder vierte Befragte isst täglich Fleisch (28 Prozent). Tierische Produkte wie Milch, Käse oder Joghurt stehen ebenfalls hoch im Kurs, 64 Prozent der Befragten gaben an, diese jeden Tag zu sich zu nehmen. Positiv zu vermerken ist die Angabe des Obst- und Gemüsekonsums: 71 Prozent der Befragten verspeisen die gesunden Lebensmittel täglich. Scheint vielfältig auf den ersten Blick. Auf der anderen Seite stehen aber die Lieblingsgerichte der Deutschen. Das sind mit Abstand – auch an Klischees ist eben manchmal viel Wahres dran – Braten, Schnitzel und Gulasch auf Platz Eins, gefolgt von Spaghetti, Lasagne und Spätzle. Salat oder Gemüse wurden nur von zehn Prozent genannt. Und auch wenn es vielleicht zunehmend den Anschein macht, nur ein kleiner Teil verzichtet komplett auf Fleisch, lediglich sechs Prozent der Befragten. Ein Prozent gab an, vegan zu leben. Doch die nachkommende Generation ändert das vielleicht bald, denn unter den 14- bis 29-Jährigen ernähren sich elf Prozent rein vegetarisch – ein Zuwachs im Vergleich zu vorangegangenen Umfragen. Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner, die den Bericht vorstellte, zeigte sich zumindest optimistisch: Das öffentliche Interesse an vegetarischer Ernährung sei zuletzt gestiegen, sagte sie. Tatsächlich sind vegane Dönerbuden und vegetarische Restaurant keine Seltenheit mehr – auch in kleinen Städten oder ländlichen Gegenden. Apropos fleischfrei: Mit zwei Prozent ist übrigens der tägliche Fischkonsum auf dem letzten Platz. Die oft gepredigte mediterrane Ernährungsweise scheint sich flächendeckend noch schwer zu tun.
Laut DGE, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, wird der tägliche Konsum von Obst und Gemüse empfohlen (5 am Tag), Fleisch ergänzt dabei lediglich ein vielfältiges pflanzliches Angebot mit maximal 300 bis 600 g Fleisch (und dazu zählt auch Wurst) pro Woche. Fisch ein- bis zweimal pro Woche. Davon scheinen wir im Durchschnitt wohl noch etwas entfernt zu sein. Zurzeit ist den Befragten vor allem wichtig, dass es ihnen schmeckt.
Das Bewusstsein für Ernährung steigt
Doch Essen sollte auch gesund sein, Frauen (94 Prozent) ist das dabei noch wichtiger als Männern (88 Prozent). So sieht es auch beim Kalorienbewusstsein aus, Frauen achten eher auf den Nährwert von Gerichten. Ebenso wie Menschen über 60 Jahre. Unabhängig von Geschlecht und Alter waren sich die Befragten in einem einig: Wir brauchen nicht so viel Zucker! 84 Prozent würden auf Zucker in Fertiggerichten verzichten, auch wenn der Geschmack sich dadurch verändere. Ein Resultat der bundesweiten Diskussion um eine Zuckersteuer, eine neue Kennzeichnung zuckerreicher Produkte? Oder vielleicht ein anderes Bewusstsein für Ernährung? Immerhin gaben auch 50 Prozent der Befragten an, beim Einkauf auf das Bio-Siegel, 42 Prozent auf das Tierwohl-Siegel zu achten. Auch die Herstellerangaben auf den Verpackungen sind fast allen Befragten wichtig, der deutsche Verbraucher findet Transparenz anscheinend gut und wünscht sich diese auch explizit in der Befragung. Es interessiert die Befragten „immer“ oder „meistens“ wie das Lebensmittel produziert, ob das Tier artgerecht gehalten wurde oder die Lebensmittel aus ökologischem Anbau stammen. Jeder Fünfte vertraut auch der hiesigen Lebensmittelsicherheit, der Großteil tendiert zumindest dazu (Lebensmittel sind „eher“ sicher). Die meisten Befragten holen sich trotzdem lieber Informationen von Freunden oder der Familie ein als von staatlicher Seite oder unabhängigen Institutionen. Nicht überraschend: Es wird zunehmend das digitale Angebot der Informationsbeschaffung genutzt. Unabhängig vom Alter übrigens, auch knapp die Hälfte aller Menschen über 60 informieren sich online. Dazu zählen zum Beispiel soziale Medien, Apps, Foren, Blogs oder Online-Videos.
Aktuell wird von behördlicher Seite viel über die Einführung eines staatlichen, unabhängigen Tierwohlzeichens gesprochen. Das wünscht sich auch die Mehrheit der Befragten (81 Prozent). Weitere Angaben wären ebenfalls wünschenswert: Sind meine Lebensmittel umweltverträglich produziert worden? Oder wurden sie unter fairen sozialen Bedingungen hergestellt? Diese Angabe auf der Packung fänden über 80 Prozent gut. Das lassen sich die Befragten auch etwas kosten. Knapp die Hälfte gab an, dass sie bis zu fünf Euro mehr für das Kilo Fleisch zahlen würde, wenn es besonders tierfreundlich produziert würde. Generell steht der Preis der Lebensmittel nicht mehr so stark im Vordergrund wie es in vorangegangenen Befragungen der Fall war. Also, wenn wir schon so viel Fleisch essen, dann soll es dem Tier gut gegangen sein, könnte man interpretieren. Oder aber der Verbraucher wünscht sich lediglich Kenntnis darüber. Dabei sehen die Befragten Lösungsansätze zur Sicherung der Ernährung der Weltbevölkerung in einer generellen Reduktion des Fleischkonsums und in alternativen Fleischsorten. An dieser Stelle sei noch einmal das Lieblingsessen genannt: Braten, Schnitzel, Gulasch. Die FAZ betitelte in einem Artikel über den Ernährungsreport diesen Gegensatz mit der Überschrift: Salat predigen – Braten essen. Denkbare Alternativen hierfür wären zum Beispiel Insekten oder In-vitro-Fleisch. Das können sich auch knapp ein Drittel der Befragten vorstellen – Männer eher als Frauen (40 versus 22 Prozent). In dem ausgemalten Szenario ging es hauptsächlich um das Ernährungsproblem, das uns zukünftig bevorstehen könnte: 2050 werden laut Prognosen ungefähr 2,2, Milliarden mehr Menschen die Erde bevölkern als heute. Die Befragten gaben als Problemlösung an: Weniger Lebensmittelverschwendung (84 Prozent), mehr produzieren (44 Prozent), neue Formen der Landwirtschaft (55 Prozent) und eben weniger Fleischkonsum (74 Prozent).
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Essen für die Tonne
Lebensmittelverschwendung ist ein wichtiges Stichwort – der Report widmet dem Thema ein ganzes Kapitel. Die Zahlen entnimmt er dabei aus einer GfK-Studie von 2017 „Systematische Erfassung von Lebensmittelabfällen der privaten Haushalte in Deutschland“. Alle Haushalte schmeißen Lebensmittel fast täglich in den Müll, hochgerechnet auf ein Jahr mindestens 55 Kilogramm pro Kopf. Eine Hälfte davon ist für den Menschen nicht verzehrbar, dazu zählen zum Beispiel Knochen von tierischen oder Kerne und Stiele von pflanzlichen Lebensmitteln. Die andere Hälfte wäre genieß- oder verwertbar. Hauptsächlich handelt es sich um frisches Obst und Gemüse (34 Prozent), gefolgt von zubereiteten Speisen (16 Prozent), Backwaren (14 Prozent), Getränken (11 Prozent), Milchprodukten (9 Prozent) und Fertigprodukten (7 Prozent). Warum schmeißen wir so viele Lebensmittel weg? Haltbarkeit ist der Hauptgrund. Auch die Bundesregierung diskutiert mittlerweile die Sinnigkeit eines Mindesthaltbarkeitsdatums in jedem Fall und möchte für mehr Aufklärung über dessen Bedeutung sorgen. Denn noch zu oft werden ungeöffnete Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, entsorgt. Aber auch zu große Portionen oder zu viele Lebensmittel sind Gründe für das Entsorgen. Nach Erkenntnissen der GfK-Studie ließe sich vieles verhindern, wenn eine bessere Planung beim Einkaufen und Kochen stattfinden würde. Dadurch könnte ein bis zu 60 Prozent kleinerer Abfallberg erreicht werden. Besonders betroffen sind übrigens Haushalte mit Kindern – ein Drittel aller Lebensmittelabfälle fallen dort an – und das ist immerhin jeder fünfte Haushalt.
Deutsche kochen nicht mehr
Das bleibt wohl eher eine Behauptung – zumindest aktuell. Dreiviertel der Befragten gaben Spaß beim Kochen an und immerhin 40 Prozent stehen dann auch täglich am Herd. Fast genauso viele bereiten sich zwei- bis dreimal wöchentlich ihre Mahlzeit zu, nur ein kleiner Teil kocht nie oder selten. Und wer kocht? Frauen. Paare. Ältere Menschen. Der Rest geht essen. So ist es zwar auch nicht ganz, aber nach den Angaben gehen generell Erwerbstätige und Männer häufiger als die anderen Befragten essen, in der Kantine (25 Prozent einmal die Woche) oder im Gasthaus (24 beziehungsweise 23 Prozent einmal die Woche). Überraschenderweise lassen sich wenige Menschen Essen nach Hause liefern, sechs Prozent bestellen einmal die Woche beim Lieferdienst. Doch hier lohnt sich auch ein Blick aufs Alter: Unter den 14- bis 29-Jährigen sind es allein elf Prozent. Man kann also damit rechnen, dass die Zahl in den kommenden Jahren zunehmen wird. Ebenso wie die Zahl derer, die sich Lebensmittel vom Supermarkt nach Hause liefern lassen – online bestellt natürlich. Obwohl zurzeit die meisten Befragten den Gang in das Geschäft vorziehen. 60 Prozent gehen einmal in der Woche einkaufen.
Essen im Alter
Interessant ist auch der Aspekt des Ernährungsverhaltens im Alter. Viele Rentnerinnen und Rentner nehmen sich dann mehr Zeit für das Essen. Zeit ist eher in jüngeren und mittleren Jahren von Bedeutung, demnach solle das Essen schnell zuzubereiten sein. Mit dem Alter kommt die Ruhe und über die Hälfte der Befragten gab an, sich beim Essen Zeit zu lassen. Dementsprechend wird auch weniger auf Fertiggerichte zurückgegriffen (38 Prozent) und häufiger selbst gekocht (42 Prozent). Dennoch stehen Restaurantbesuche noch hoch im Kurs: Rentnerinnen und Rentner gehen ebenso häufig außerhalb essen wie zu Zeiten der Berufstätigkeit. Falls es einmal nicht mehr so gut mit der Selbstversorgung klappen sollte, erweitern soziale Dienste wie Essen auf Rädern das Angebot. Acht von zehn kennen solche Bringdienste, unter den über 60-Jährigen sind es sogar neun von zehn.
Jetzt lässt sich bei knapp 83 Millionen Deutschen und 1001 Befragten natürlich darüber diskutieren, ob der Report wirklich repräsentativ für die gesamte Bevölkerung steht. Zumal auch in Altersklassen und verschiedene Geschlechter unterschieden wurde. Der Bericht wird dennoch von Seiten der Politik zur Meinungsabbildung herangezogen. Bestimmte Fragestellungen können Grundlagen für Handlungsempfehlungen darstellen. So könnte beispielsweise der Wunsch nach weniger Zucker in Fertigprodukten oder einer transparenteren Kennzeichnung der Waren, der in der Umfrage geäußert wurde, zu Diskussionen im Ministerium anregen. Frau Klöckner zieht vor allem ein positives Fazit aus den Ergebnissen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) kritisiert dazu: „An mehreren anderen Stellen erscheint die Interpretation des Ministeriums deutlich zu positiv. So sollte der Befund, dass fast 30 Prozent der Bevölkerung nicht täglich Obst und Gemüse essen, eigentlich einen Weckruf für eine Ernährungsministerin sein. Frau Klöckner sieht darin offenbar kein Problem“, sagte Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der DDG. Und erläutert ihre Meinung weiter: „Viele kritische Punkte fragt der Bericht auch gar nicht ab, etwa die Frage, ob die Verbraucher die derzeitige Lebensmittelkennzeichnung verstehen“.
Farina Haase,
Apothekerin, Volontärin
Quellen: www.faz.net
www.bmel.de
www.zeit.de