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Kolumne | Holger Schulze

EIN WEG AUS DER ­OPIOID-KRISE?

Aktuell sterben täglich fast 200 Amerikaner an einer Opioid-Überdosis. Ein neuer Wirkstoff könnte den Ausweg aus dieser Krise weisen.

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Kennen Sie das auch? Die verstören­den Berichte über die Opioid-Krise? Über die dramatisch wachsende Zahl von Kindern, die von ihren Großeltern aufgezogen werden müssen, weil ihre Eltern dem Drogenmissbrauch zum Opfer gefallen sind? In den USA starben im Jahr 2017 über 72 000 Menschen an einer Opioid-Überdosis, Tendenz weiter steigend. Auch in Deutschland haben die Verschreibungen opioidhaltiger Schmerzmittel in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen und dabei inzwischen fast das US-Niveau erreicht. Anlass für manche Mediziner, davor zu warnen, Deutschland könnte eine ähnliche Opioid-Epidemie erleben wie Nordamerika. Aber wie konnte es eigentlich soweit kommen?
Alles fing mit einem kurzen Leserbrief im renommierten New England Journal of Medicine an, in dem zwei Ärzte aus Boston berichteten, dass von 11 882 Patienten, die während eines Krankenhausaufenthalts wenigsten einmal ein Opioid verabreicht bekommen hatten, nur vier eine Ab­hängigkeit entwickelt hätten. Obwohl diese Be­obachtung durch keinerlei systematische Studie belegt worden war, diente sie in der Folge dazu, das Suchtpotential opioidhaltiger Schmerzmittel bei Patienten ohne bestehende Suchterkrankung zu verharmlosen. Die US-Pharmaindustrie witterte das große Geld und stieg massiv in die Werbung für diese verschreibungspflichtigen Arzneien ein, was in den USA im Gegensatz zu Deutschland nicht verboten ist. 

»Gibt es ein ­Opioid ohne Suchtpotenzial?«

Da auch die Ärzte ausgesprochen gut an den Verschreibungen verdienten, wurden Opioide immer häufiger schon bei vergleichsweise geringen Schmerzen verordnet, mit den oben beschriebenen katastrophalen Folgen, von denen anders als bei der Heroinwelle der 80er und 90er diesmal insbesondere die weiße Mittelschicht betroffen war.
Einen Ausweg aus dieser Krise bietet möglicherweise ein neuer Wirkstoff namens AT-121: Im Gegensatz zu den sehr potenten Schmerzmitteln, die ihren Wirkmechanismus über eine Aktivierung eines bestimmten Opioid-Rezeptors, den sogenannten µ-Rezeptor oder MOP (für engl. „Mu OPiate receptor“) entfalten, aktiviert AT-121 zusätzlich eine andere Klasse von Opioid-Rezeptoren (NOP für „non-classical“ oder „nociceptin“ receptor), welche die Wirkungen der MOP-Agonisten modulieren: Sie verstärken die schmerzstillende Wirkung, hemmen aber gleichzeitig die Dopaminausschüttung und wirken so einer Suchtentwicklung entgegen. Des Weiteren konnte in Primaten gezeigt werden, dass AT-121 im Gegensatz zu reinen MOP-Agonisten selbst in Dosen, die zehnfach über der zur Schmerzstillung nötigen liegen, keinen Atemstillstand auslöst. Und schließlich zeigte sich auch nach wiederholter Gabe von AT-121 eine im Vergleich zu Morphin deutlich geringere Hyperalgesie, physische Abhängigkeit und Toleranzbildung bei gleichzeitig 100-fach stärkerer schmerzstillender Wirkung. Sollten sich diese Befunde auch beim Menschen bestätigen, könnte der neue Wirkstoff wohlmöglich sogar zur Behandlung bereits opioidabhängiger Patienten eingesetzt werden – ein echter Lichtblick in der Opioid-Krise, finden Sie nicht auch?

Zur Person
Prof. Dr. Schulze HirnforscherHolger.Schulze@uk-erlangen.de Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.Seine Untersuchungen zielen auf einVerständnis der Neurobiologie desLernens und Hörens.www.schulze-holger.de

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