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Homöopathie und Anthroposophie

EIN ANDERER WEG

Homöopathische und anthroposophische Arzneimittel sind aus der Apotheke nicht mehr wegzudenken. Beide beinhalten Substanzen in potenzierter Form. Was ist aber der Unterschied?

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Die Homöopathie hat in Deutschland traditionell einen hohen Stellenwert und ist bei uns äußerst bliebt. Das zeigen repräsentative Umfragen, wie die aus dem Jahr 2017 von forsa, der Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen. Etwa die Hälfte der Befragten gab an, bereits Erfahrungen mit der Homöopathie gemacht zu haben. Davon waren 70 Prozent der Anwender zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit. Doch was ist eigentlich Homöopathie und wie wirkt sie?

Similia similibus curenturDie Homöopathie ist eine ganzheitliche Heilmethode, die vor etwa 200 Jahren von dem Arzt und Apotheker Dr. Samuel Hahnemann (1755 bis 1843) entwickelt wurde. Der Name seiner neuen Therapieform ist vom griechischen Wort „homoios“ = ähnlich abgeleitet und verdeutlicht ihr grundlegendes Prinzip „Similia similibus curentur“ – Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt. Diese Ähnlichkeitsregel ist das Grundprinzip der Homöopathie. Damit ist gemeint, dass nur die Substanz helfen kann, die bei einem gesunden Organismus ähnliche Symptome hervorruft, unter denen der Erkrankte leidet. Das wohl bekannteste Beispiel ist die homöopathische Wirksamkeit von Allium cepa, der Küchenzwiebel. Sie löst bei einem Gesunden einen Fließschnupfen aus und heilt in potenzierter Form eine Rhinitis mit reichlich scharfem, wundmachendem Nasensekret und mildem Tränenfluss.

Oder Coffea, die Kaffeebohne, die als Kaffee getrunken anregend, aber homöopathisch eingesetzt bei einem Menschen mit Schlafproblemen schlaffördernd wirkt. An diesen Beispielen zeigt sich ein weiterer Grundsatz der Homöopathie, nach dem die Wirkung homöopathischer Arzneimittel immer am gesunden Menschen getestet wird. Durch diese Arzneimittelprüfung tragen die Homöopathen einen Wirkungskatalog zusammen, in dem die Arzneimittelbilder aufgelistet sind. Das Arzneimittelbild, das am besten zum individuellen Krankheitsgeschehen passt, ist die gesuchte homöopathische Arznei. Voraussetzung für ihre Wirkung ist, dass das Mittel beim Herstellungsprozess stufenweise verdünnt und verschüttelt wurde, womit der dritte Grundsatz der Homöopathie, die Verwendung der Arzneimittel in potenzierter Form, beschrieben ist.

Weniger ist mehr Die Ausgangsstoffe sind in homöopathischen Arzneimitteln immer nur stark verdünnt enthalten, wobei die Homöopathie ein spezielles Verdünnungsverfahren einsetzt, das von einem obligatorischen Verschüttelungs- (bei flüssigen Mitteln) beziehungsweise Verreibungsprozess (bei festen Stoffen) begleitet wird. Da dieser Herstellungsprozess neue Kräfte entfaltet, die über den materiellen Wirkungsgrad des eigentlichen Arzneimittels hinausgehen, sprach Hahnemann von Potenzieren (von lat. potentia = Kraft) und die Verdünnungen nannte er Potenzen. Das Besondere der Homöopathie ist somit, dass es mit jedem Schritt der Verdünnung zu einer Wirkungsverstärkung kommt. Deswegen wird das Verfahren der Potenzierung auch als Dynamisierungsprozess verstanden. Die Wirkung ist umso stärker, je höher die Potenz des Mittels ist.

Verdünnt und verschüttelt Es sind drei verschiedene Arten der Potenzierung gebräuchlich, die sich voneinander durch die jeweils angewandten Verdünnungsschritte unterscheiden: D-, C- und LM-Potenzen. D (Dezimal)-Potenzen (von lat. decem = 10) werden im Verhältnis 1:10 hergestellt, das heißt ein Teil der Grundsubstanz wird mit neun Teilen eines Wasser-Alkohol-Gemisches verdünnt und die Lösung anschließend verschüttelt. Dies entspricht einer D1-Potenz. Verdünnt man dann einen Teil der D1 wiederum mit neun Teilen des Wasser-Alkohol-Gemisches und verschüttelt es erneut, erhält man die Potenz D2, also einen Verdünnungsgrad von 1:100. Eine D6-Potenz hat dann schließlich einen Verdünnungsgrad von 1:1000 000, eine D12 von 1:1000 000 000 000.

C-​(Centisimal)-Potenzen (von lat. centum = 100) werden in einem Verhältnis 1:100 verdünnt. Damit ist die Konzentration des Ausgangsstoffes in einer C6- die gleiche wie in einer D12-Potenz. Gemäß der homöopathischen Lehre haben jedoch die C6- und D12-Potenzen unterschiedliche Eigenschaften, da sie sich in der Anzahl der Potenzierungsstufen unterscheiden. Einer D12, also einer 12-fach potenzierten Substanz, wird daher eine größere Wirkung als einer C6 zugeschrieben. Weniger gängig sind LM (Quinquaginta-Millesimal)-Potenzen (von lat. L/quinquaginta = 50/fünfzig und M/millesimum = 1000/das tausendste), die auch Q-Potenzen genannt werden. Die Herstellung von LM-Potenzen erfolgt in Verdünnungsstufen von 1:50 000 mit 100-maliger Verschüttelung bei jedem Schritt.

Schließlich gibt es noch Urtinkturen, die an der speziellen Markierung ø erkennbar sind. Sie sind eine aus gleichen Teilen bestehende Mischung aus Presssaft und Alkohol und stellen die unverdünnte, nicht potenzierte Form des homöopathischen Heilmittels dar. Urtinkturen kommen entweder selbst als homöopathisches Arzneimittel in den Handel oder dienen als Ausgangsmaterial für die homöopathischen Verdünnungen. Bei Hahnemann erfolgte die Potenzierung ursprünglich im Verhältnis 1:100. Während sich in Deutschland allmählich das Zehnersystem durchsetzte, sind die C-Potenzen in den anderen europäischen sowie in außereuropäischen Ländern noch heute die gängigen Potenzen.

Heilung aus eigener Kraft Die Homöopathie sieht den Menschen als ganzheitliches System. Gerät dieses aus der Balance, stellen sich Beschwerden ein. Aufgabe der Homöopathie ist es daher, das System mit gezielten Reizen zu regulieren und wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das erreicht eine homöopathische Substanz, indem sie einen Schlüsselreiz setzt, der die Selbstheilungskräfte mobilisiert. Die Homöopathie behandelt daher nicht wie die Allopathie die Symptome. Sie fungiert vielmehr als Reiz- und Regulationstherapie, die die Kräfte des Organismus aktiviert, um die Krankheitsursache und damit die Erkrankung grundlegend in den Griff zu bekommen.

Ganzheitlich und individuellDie Homöopathie betrachtet dabei nicht nur die Krankheit und ihre Symptome, sondern den ganzen Menschen in seiner Einzigartigkeit. Um das passende, ein speziell auf die kranke Person als Ganzes abgestimmte homöopathische Mittel zu finden, umfasst eine homöopathische Anamnese nicht nur Fragen nach den körperlichen Beschwerden, sondern auch nach dem seelischen Befinden. Erst durch das Zusammentragen von körperlichen, geistigen und seelischen Aspekten kann der Therapeut das Gesamterscheinungsbild des Patienten erfassen und für ihn das individuell abgestimmte Mittel finden. Dabei wird auch das gesamte Lebensumfeld berücksichtigt.

Krankheits- und Lebensgeschichten, das Lebensgefühl, Eigenarten, Vorlieben und Gewohnheiten, die gesamte Konstitution – also alles, was den Menschen ausmacht, ist für die Auswahl des richtigen homöopathischen Mittels wichtig. Man spricht bei dieser Art der Behandlung auch von einer konstitutionellen oder personotropen Homöopathie. Dabei kann es sein, dass zwei verschiedene Personen mit derselben Diagnose unterschiedliche homöopathische Mittel erhalten. Ebenso kann das gleiche Homöopathikum bei unterschiedlichen Krankheiten zur Anwendung kommen. Eine Konstitutionsbehandlung sollte von einem erfahrenen homöopathischen Arzt oder Heilpraktiker erfolgen, der sich ausreichend Zeit für die Anamnese nimmt. So ein ausführliches homöopathisches Gespräch ist vor allem bei chronischen Beschwerden sinnvoll.

Homöopathie in der Selbstmedikation In der Apotheke verläuft eine Beratung in der Regel weniger intensiv, denn es ist im Apothekenalltag kaum möglich, das Gesamtbild des Kunden zu erfassen. PTA oder Apotheker können ihre Kunden aber sehr gut bei akuten Symptomen beraten und ein homöopathisches Arzneimittel für die Selbstmedikation aussuchen. Gerade leichtere Beschwerden sind ein Fall für die Offizin. Bewährte Indikationen sind beispielsweise Erkältungskrankheiten mit Fieber, Husten, Schnupfen, Hals- und Ohrenschmerzen.

Ebenso eigenen sich Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen, verschiedene akute Schmerzzustände wie beispielsweise Kopf-, Zahn-, Regel- oder Rückenschmerzen oder Sportverletzungen mit Blutergüssen für ein kompetentes Beratungsgespräch in der Apotheke. Bei der Selbstmedikation von bewährten Indikationen spricht man von der organbezogenen oder organotropen Homöopathie. Hierbei sollte auch immer individuell der Einzelfall mit seiner speziellen Symptomatik betrachtet werden.

Das passende Mittel finden Die Auswahl des homöopathischen Mittels erfolgt dabei unter Berücksichtigung der Auslöser und Modalitäten. Als Modalitäten werden in der Homöopathie alle Umstände und Einflüsse bezeichnet, unter denen sich ein Symptom verbessert oder verstärkt. Dazu gehören beispielsweise Ruhe oder Bewegung, Wärme oder Kälte, die Tageszeit, die Nahrungsaufnahme und viele andere Dinge mehr. Wie wichtig die Modalitäten für die Wahl des passenden Mittels sind, lässt sich an dem Beschwerdebild fließender Schnupfen mit tränenden Augen verdeutlichen, für das entweder Allium cepa oder Euphrasia officinalis ausgewählt werden kann.

Den Symptomen kann eine Erkältung oder eine allergische Rhinitis zugrunde liegen. Wichtiger als die Diagnose sind für die Mittelfindung aber die Begleitumstände. Durch ihre Berücksichtigung lässt sich die Auswahl des Homöopathikums näher eingrenzen. Bei Allium cepa wird es im Freien und bei frischer Luft besser, in warmen Räumen oder spät nachmittags und abends hingegen schlechter. Bei Euphrasia officinalis verhält es sich umgekehrt. Hier kommt es im Freien und morgens zu einer Verschlechterung.

Homöopathischer Arzneischatz In der Homöopathie kann auf eine Vielzahl von Substanzen zurückgegriffen werden. Mittlerweile stehen mehr als 2000 Einzelmittel zur Verfügung, die aus den verschiedenen Bereichen der Natur stammen. Dabei finden Pflanzen (z. B. Arnika montana/Bergwohlverleih, Pulsatilla pratensis/Küchenschelle), die meist im frischen Zustand verarbeitet werden, tierische Substanzen (z. B. Apis mellifica/Honigbiene, Calcium carbonicum/Austerschalenkalk), Mineralien (z. B. Silicea/Kieselsäure) und Metalle (z. B. Aurum metallicum/Gold) sowie chemische Verbindungen (z. B. Acidum phosphoricum/Phosphorsäure) Verwendung.

In den Nosoden sind Krankheitsprodukte von Mensch oder Tier, Krankheitserreger oder deren Stoffwechselprodukte oder Zersetzungsprodukte tierischer Organe enthalten, die zuvor sterilisiert wurden (z. B. Tuberculinum/Sekret eines tuberkulösen Abzesses). Während die klassische Homöopathie lediglich Einzelmittel anwendet, haben sich inzwischen auch Komplexmittel etabliert. Diese sind aus verschiedenen Einzelmitteln in teilweise unterschiedlichen Potenzen zusammengesetzt. Dabei sind die Kombinationen so gewählt, dass sie sich ergänzen und eine Erkrankung breit abdecken. Postuliert wird auch ein breites Wirkspektrum aufgrund einer synergistischen Wirkung ihrer Bestandteile.

Immer wieder in der Kritik

Vermutlich wurde die Debatte pro und contra Homöopathie schon zu Hahnemanns Zeiten geführt. Und bestimmt auch ähnlich emotional wie gerade heute wieder. Zu verschieden und vermeintlich unvereinbar sind die Ansätze. Dem Patienten helfen solche Diskussionen wenig. Tatsache ist, dass es viele Kritiker gibt, aber vermutlich noch mehr Menschen, die positive Erfahrungen mit der Homöopathie gemacht haben. Auch an Punkten, an denen die Allopathie nicht mehr weiterweiß.

Denn nicht nur die Homöopathie hat ihre Grenzen. Wer stets auf evidenzbasierte Medizin pocht, vergisst, dass in der Schulmedizin auch nicht alles plausibel ist. Homöopathische Arzneimittel sind beliebt und manchmal, beispielsweise in der Schwangerschaft oder bei Säuglingen und Kleinkindern, eine der wenigen Möglichkeiten Beschwerden zu lindern. Vielen gefällt auch der etwas andere Umgang des Behandelnden mit seinen Patienten. Die homöopathische und ebenso die anthroposophische Denkweise sieht nicht nur einzelne Symptome einer Erkrankung, sondern den ganzen Menschen. Natürlich bedarf es in jedem Fall kompetenter Beratung, die auch die Grenzen der verschiedenen Therapieformen kennt und aufzeigt. Aber alternative Heilmethoden haben ihre Berechtigung und der Patient sollte die Wahl haben.

Globuli & Co. Homöopathische Mittel werden in verschiedenen Darreichungsformen angeboten. Für die innerliche Anwendung stehen vor allem Globuli (mit flüssigen Zubereitungen getränkte Streukügelchen), Tabletten (gepresste Verreibungen) und Dilutionen (flüssige Zubereitungen wie Verdünnungen, Tropfen) zur Verfügung. Zudem haben inzwischen auch Zäpfchen, Ampullen zur Injektion, Augentropfen sowie Salben, Cremes, Gele und Extern-​Tinkturen für die äußerliche Anwendung ihren festen Platz in der homöopathischen Heilkunde gefunden. Am häufigsten werden Globuli eingenommen. Die Herstellung von Globuli erfolgt nach den besonderen Prinzipien der klassischen Homöopathie, die Hahnemann erstmals in seinem Grundlagenwerk der Homöopathie, dem sogenannten „Organon der Heilkunde“ beschrieben hat.

Sie findet sich heute im Kapitel „Spezielle Herstellungsvorschriften“ als Vorschrift 10 „Streukügelchen (Globuli)“ im Deutschen Homöopathischen Arzneibuch (HAB) wieder. Globuli sind gut dosierbar und bestehen zumeist aus Saccharose. Sie werden mit dem jeweiligen homöopathischen Mittel in flüssiger Form benetzt und tragen die Potenzstufe der aufgetragenen Dilution. Da etwaiger sich darin befindlicher Alkohol beim Trocknungsvorgang verdunstet, sind homöopathische Globuli alkoholfrei. Liegt eine Unverträglichkeit gegen Saccharose vor, können Tabletten die bessere Wahl sein, deren Trägersubstanz Lactose ist. Tabletten enthalten allerdings Weizenstärke, die nicht für Zöliakie-Patienten sowie Menschen mit einer Überempfindlichkeit oder Unverträglichkeit gegen Weizen geeignet sind.

Wahl der Potenz Bei den Potenzen wird zwischen tiefen (bis D23 beziehungsweise C11) und hohen Potenzen (ab D24 beziehungsweise C12) unterschieden. Für die Beratung in der Apotheke beziehungsweise für die Selbstmedikation eignen sich vor allem die Potenzen D6 bis D12, in denen noch messbare Stoffmengen der Ausgangssubstanzen enthalten sind. Sie sind vor allem bei akuten Beschwerden angezeigt. Mit einer D6 werden vor allem organische Probleme behandelt, ab D12 haben die Mittel einen zunehmenden Einfluss auf den seelischen Bereich. Daher ist eine D12 bei Beschwerden, die neben körperlichen mit psychischen Symptomen einhergehen, eine gute Wahl. Eine D12 kann aber auch bei chronischen Erkrankungen, die häufig seelische Probleme umfassen, eingesetzt werden. Zudem ist eine D12 die klassische Potenz bei Kindern.

Liegt beim Verwender eine Allergie gegen den Wirkstoff des homöopathischen Mittels vor, dürfen allerdings keine niedrigen Potenzen einschließlich D12 zur Anwendung kommen. Hochpotenzen (vor allem ab C200 und LM-Potenzen) sind nicht für die Selbstmedikation gedacht. Hochpotenzen wirken nach homöopathischem Verständnis besonders nachhaltig und tiefgreifend. Bei ihrem Einsatz sollte eine möglichst exakte Übereinstimmung zwischen dem Krankheits- und Arzneibild vorliegen. Somit erfordert ihre Auswahl viel Erfahrung und sollte einem homöopathischen Therapeuten vorbehalten bleiben. Homöopathische Ärzte oder Heilpraktiker setzten diese hoch wirksamen Mittel vor allem im Rahmen einer konstitutionellen Behandlung nach einem ausführlichen Anamnesegespräch ein.

Erstverschlimmerung

Zu Beginn einer Behandlung kann es kurzfristig zu einer Symptomverstärkung kommen. Homöopathen bewerten dies als positives Zeichen. Es zeigt an, dass die homöopathische Arznei richtig gewählt wurde und die Selbstheilungskräfte des Körpers gut darauf ansprechen. In der Regel tritt das Phänomen der Erstverschlimmerung nicht bei niedrigen Potenzen auf, sondern ist typisch bei Hochpotenzen. Homöopathen raten, bei einer Verstärkung der Beschwerden das Mittel vorrübergehend abzusetzen und einen Tag Pause zu machen. In dieser Zeit klingen die Beschwerden meist wieder ab. Danach kann die Behandlung fortgesetzt werden.

Dosierungsempfehlungen Prinzipiell richtet sich die Häufigkeit der Einnahme nach der Aktualität der Beschwerden. Als Faustregel gilt: Je akuter die Beschwerden sind, desto häufiger sollte die Einnahme erfolgen. Geht es dem Patienten zunehmend besser, wird das Homöopathikum weniger oft appliziert. Praktisch bedeutet dies, dass bei akuten Beschwerden eine homöopathische Arznei in tiefen Potenzen (bis D23/C11) bis zum Eintritt einer Besserung stündlich (aber höchstens sechs Mal täglich) und danach weiterhin drei Mal am Tag gegeben wird. Bei chronischen Erkrankungen erfolgt die Einnahme hingegen nur ein- bis drei Mal täglich. Für die Gabe hoher Potenzen existieren keine festen Regeln. Sie werden individuell von einem homöopathisch erfahrenen Therapeuten dosiert. Sollten Hochpotenzen dennoch für die Selbstmedikation gewünscht werden, sollte nur eine Einmalgabe erfolgen.

Prinzipiell sollte innerhalb von 12 bis spätestens 48 Stunden eine Besserung der Beschwerden eintreten, ansonsten ist das Mittel falsch gewählt. Nach drei Wochen sollten sich die Beschwerden schließlich deutlich gebessert haben. Dann wird die homöopathische Therapie auch beendet. Halten jedoch die Beschwerden weiterhin an, wird zunächst eine Pause eingelegt und erst nach einer Woche die Mitteleinnahme fortgeführt beziehungsweise erneut begonnen. Je nach Alter des Patienten wird eine unterschiedliche Menge des homöopathischen Mittels gegeben. Säuglinge (bis zu 12 Monate) erhalten pro Verabreichung einen Globulus, Kleinkinder (1 bis 5 Jahre) bekommen drei Globuli und bei Schulkindern und Erwachsenen stellen fünf Globuli, fünf Tropfen oder eine Tablette die angemessene homöopathische Gabe dar.

Regeln zur Einnahme Homöopathische Mittel werden 15 bis 30 Minuten vor oder nach den Mahlzeiten verabreicht. Alternativ können sie morgens nüchtern oder abends vor dem Zubettgehen genommen werden. Hierbei gilt es, Globuli ebenso wie homöopathische Tabletten nicht einfach herunterzuschlucken. Sie werden hingegen direkt auf die Zunge gelegt, um eine Resorption über die Mundschleimhaut zu ermöglichen. Alternativ ist ein Einlegen in die Wangentasche denkbar. Bei der Applikation von Tropfen empfiehlt sich ein Plastiklöffel. Metalllöffel sind zu vermeiden, da nach Ansicht der Homöopathen die Wirkung homöopathischer Mittel durch die Magnetfelder von Metallen verändert werden kann. Ebenso empfehlen Homöopathen, während der homöopathischen Behandlung weder Kaffee zu trinken, noch Zubereitungen mit ätherischen Ölen (z. B. Kamille, Pfefferminze, Menthol) zu verwenden (z. B. oft in Zahnpasten).

Anthroposophie – Die Weisheit vom Menschen In den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte Dr. phil. Rudolf Steiner (1861–1925) die anthroposophische Therapierichtung (griech. anthropos = Mensch, griech. sophia = Weisheit). Sie hat ähnliche Prinzipien wie die Homöopathie (z. B. Kraft der Potenzierung, ganzheitliche Betrachtungsweise, Anregung von Selbstheilungskräften), sie unterscheidet sich aber in der Herangehensweise. Zudem umfasst die Anthroposophie mehrere Bereiche. Neben der anthroposophischen Medizin und Pharmazie gibt es zudem die Waldorf-Pädagogik, den biologisch-dynamischen Landbau und einiges mehr.

Im Gegensatz zur Homöopathie handelt es sich bei der anthroposophischen Medizin nicht um eine Alternative, die die allopathische Schulmedizin ersetzten will. Steiner verfolgte vielmehr das Ziel, die naturwissenschaftlich-orientierte Medizin um geisteswissenschaftliche Erkenntnismethoden, die an die philosophische Erkenntnisweise Goethes anschließen, zu erweitern. Zudem stellt die Anthroposophie ein integratives Konzept dar, bei dem approbierte Ärzte die anthroposophische Medizin ausüben.

Anthroposophie heißt wörtlich übersetzt „Weisheit vom Menschen“.

Beziehung zwischen Mensch und Natur Steiner hat ein anthroposophisches Welt- und Menschenbild entwickelt, das für den naturwissenschaftlich denkenden Menschen nicht einfach zu verstehen ist. Philosophisches Gedankengut sowie mystische, spirituelle, religiös anmutende Aspekte spielen dabei eine Rolle. So ist nicht nur von real wirkenden, sondern auch von übersinnlichen Kräften die Rede, die im Menschen und in der Natur wirken sollen und als ätherische Bildekräfte bezeichnet werden. Daraus ergeben sich Zusammenhänge zwischen Vorgängen, die sowohl im menschlichen Körper als auch in der Natur wirken und sich gegenseitig beeinflussen. Sie nehmen dabei aufeinander Einfluss und regen Heilungsprozesse im Organismus an. Daher kann nach anthroposophischem Verständnis ein geschädigtes Organ durch die in der Natur wirkenden Kräfte, die beispielsweise in einer Pflanze leben, direkt angesprochen und seine Lebensvorgänge angeregt werden.

Anthroposophisches Menschenbild Die anthroposophische Medizin basiert auf physischen Gesetzmäßigkeiten der Naturwissenschaften und berücksichtigt gleichzeitig das Geistige im Menschen (Seele und Persönlichkeit) und seine individuellen Besonderheiten (z. B. Körperbau und -sprache, Bewegungsfluss, körperliche Rhythmen, Wärme- und Kälteempfinden). Allgemeine objektive Gesetzmäßigkeiten der konventionellen Medizin mit ihren Methoden und Ergebnissen werden mit subjektiven, individuellen Charakteristika des Menschen verbunden. Nicht nur die stofflich-organische Seite des menschlichen Körpers, auch seine Seele und Geist werden betrachtet, denn die Anthroposophie fasst den Menschen als komplexe Einheit aus Seele, Geist und Leib auf, wobei jeder Mensch einzigartig ist.

Vier Wesensglieder In der Anthroposophie bilden Körperliches, Seelisches und die Individualität des Menschen eine Einheit. Zugleich liegt im Menschen ein Zusammenspiel aus vier Seinsebenen vor, die Steiner als „Wesensglieder“ bezeichnete: Körper („physischer Leib“), Leben („Ätherleib“), Seele („Astralleib“) und Geist („Ich-Organisation“). Der Arzneimittelschatz der anthroposophischen Medizin, der Ausgangssubstanzen aus mineralischer, pflanzlicher, tierischer und menschlicher Herkunft umfasst, hat einen therapeutischen Bezug zu diesen Wesensgliedern. So erhalten menschliche Substanzen den physischen Leib, Präparate aus dem Tierreich stimulieren den Ätherleib, pflanzliche Arzneimittel wirken regulierend auf den Astralleib und Metalle und Mineralien beeinflussen die Ich-Organisation.

Dreigliederung des Menschen Darüber hinaus ist der menschliche Organismus durch eine Dreigliederung gekennzeichnet: Zwischen einem Stoffwechsel-Gliedmaßen-System und einem Nerven-Sinnes-System vermittelt ein rhythmisches System. Dabei sind alle drei Systeme dynamisch miteinander verbunden und in jeder dieser Funktionsebene wirken wiederum die vier Seinsebenen. In Bezug auf Bau und Funktion des Körpers erscheint der Mensch in der anthroposophischen Sicht dabei wie eine umgekehrte Pflanze: Die Wurzeln entsprechen dem Nervensystem, die Blätter dem rhythmischen System (Herz, Atmung) und die Blüten und Früchte dem Stoffwechsel und den Gliedmaßen.

Auch bei dieser Betrachtung gibt es Zusammenhänge zwischen auftretenden Störungen und dem Einsatz anthroposophischer Heilmittel. Während Anwendungen von Wurzeln unterstützend und heilend bei Erkrankungen des Nerven-Sinnessystems wirken, richten sich Teeabkochungen und -zubereitungen aus Blättern gegen Störungen der rhythmischen Funktion (insbesondere von Herz und Lunge) und Zubereitungen aus Früchten werden bei Stoffwechsel- und Verdauungsstörungen angewendet.

Krankheit und Gesundheit Nach Ansicht der Anthroposophen befinden sich im gesunden Zustand alle Ebenen in einem ausgewogenen Verhältnis. Krankheiten stellen sich ein, wenn die Dynamik im Organismus gestört wird und das harmonische Verhältnis aus der Balance gerät, sodass sich ein Ungleichgewicht zwischen den vier Wesensgliedern einstellt. Eine anthroposophische Therapie verfolgt das Ziel, wieder ein gesundes Gleichgewicht zu finden.

Dabei ist die Behandlung so einzigartig wie der Mensch. Sie versteht sich als ganzheitliche Therapie, die den Betroffenen aktiv mit einbezieht und ihm die Gelegenheit bietet, seine Krankheit durch naturgegebene Heilungskräfte zu überwinden. Dafür kommen neben Arzneimitteln verschiedene Methoden wie beispielsweise Kunsttherapien (z. B. Malen, Musizieren, Sprachgestaltung), Heileurythmie (Wörter, Laute und geistige Inhalte werden in Bewegungen und Gesten umgesetzt), äußere Anwendungen (z. B. Bäder, Wickel/Auflagen, rhythmische Einreibung) oder Meditationen zum Einsatz.

Anthroposophische Herstellungsverfahren

Rh-Verfahren
Es handelt sich um ein rhythmisches Verfahren, das herstellerabhängig nach unterschiedlichen Vorschriften erfolgt (Weleda-, Wala-Verfahren). Allen gemeinsam ist die Herstellung wässriger Urtinkturen aus Frischpflanzen nach drei Rhythmen (Temperatur-, Bewegungs- und Tageszeitenrhythmus), die zu wässrigen Rh-Präparaten weiterverarbeitet werden.

Metallspiegelverfahren
Werden Metalle nach dem Metallspiegelverfahren erwärmt, geschmolzen, verdampft und anschließend kondensiert, schlagen sie sich als dünner Metallspiegel im Kolben nieder, der weiter potenziert und in Präparaten mit dem Zusatz „metallicum praeparatum“ zu finden ist.

Vegetabilisierte Metalle
Hierbei werden Pflanzen mit Metallsalzzubereitungen gedüngt und später verkompostiert. Dieser Vorgang wird mehrmals wiederholt, wodurch die Pflanze als vegetabilisiertes Metall, das im Anschluss noch potenziert wird, zur Anwendung kommt. Dabei werden Pflanzen ausgewählt, die ein innere Beziehung zum Metall haben (z. B. Brennnessel und Eisen). Die Präparate tragen die Bezeichnung „culta/cultum“ ( z. B. Urtica Ferro culta).

Anthroposophische Heilmittel Auch die in der Anthroposophie eingesetzten Arzneimittel wirken aktiv auf den Patienten. Die Substanzen richten sich dabei nicht an bestimmte Symptome, sie regen vielmehr Prozesse an, mit denen ein Organ oder der ganze menschliche Organismus die Krankheit aus eigener Kraft überwinden kann. So beruht beispielsweise die Wirkung einer Pflanze nicht – wie es die Phytotherapie sieht – auf einem Wirkstoff. Ebenso erfolgt die Anwendung der Heilmittel nicht – wie in der Homöopathie – auf Grund der Ähnlichkeit des Arzneimittelbildes. Die Anthroposophie wählt ihre Heilmittel vielmehr nach dem Wesensbild der Pflanze oder der Substanz aus, das sich aus ihrem Studium und dem Krankheitsprozess ergibt.

Beispielsweise begegnet die anthroposophische Medizin einem Heuschnupfen mit der Kraft der Zitrone. Während der menschliche Körper bei der allergischen Reaktion die Fähigkeit verloren hat, sich gegenüber seiner Umwelt abzugrenzen und sich daher mit Sekretfluss gegen Stoffe wehrt, die sein Immunsystem fälschlicherweise als fremd einstuft, ist die Zitrone mit ihrer dicken Schale in der Lage, ihr Fruchtfleisch zu schützen. Ein anthroposophisches Heuschnupfenspray enthält aus dieser Überlegung heraus Auszüge aus der Zitrone. Sie fördert die Abgrenzungsfähigkeit des menschlichen Organismus und wirkt darüber hinaus regulativ, indem enthaltene Zitronensäure die Schleimhäute zusammenzieht und somit unangenehmes Nasenlaufen mindert.

Einzelmittel und Kompositionen Die Substanzen in den anthroposophischen Arzneimitteln entstammen der Natur und können pflanzlicher, tierischer, mineralischer oder metallischer Herkunft sein. Zudem besitzen sie eine besondere Qualität (biologisch-dynamischer Anbau, Zuchten, zertifizierte Wildsammlungen). Der anthroposophische Arzneischatz umfasst etwa 2000 Substanzen, die in unterschiedlichen Darreichungsformen (z. B. Globuli, Tabletten, Pulver, Essenzen, Augentropfen) verabreicht werden.

Das Potenzieren stellt dabei ein unverzichtbares Verfahren dar, um aus den verschiedenen Natursubstanzen das eigentliche „geistige Wirkprinzip“ herauszuarbeiten. Neben Einzelmitteln stehen sie oft als Kombinationspräparate, die bei den Anthroposophen Kompositionen genannt werden, zur Verfügung. Eine Besonderheit anthroposophischer Arzneimittel (Einzelmittel und Kompositionen) ist, dass sie – im Gegensatz zu den homöopathischen Präparaten – immer eine Zulassung und daher grundsätzlich eine Packungsbeilage mit Dosierungen und Anwendungsvorschriften besitzen.

Als grobe Leitlinie bei der Wahl der Potenz gilt: Je akuter die Beschwerden sind, desto tiefer ist die Potenz zu wählen. Höhere Potenzen eignen sich hingegen bei chronischen Störungen.

Heilmittelzubereitung Das Heilmittel ist nach anthroposophischer Auffassung selber auch als Organismus zu verstehen und bei seiner Herstellung muss seine organische Einheit bewahrt oder vollendet werden. Durch die Art der Zubereitung erfolgt eine Lenkung des Heilmittels auf die Organsysteme des Menschen, da die Ausgangssubstanz und das Herstellungsverfahren gemeinsam wirken. Dem Herstellungsverfahren wird daher in der anthroposophischen Medizin ebenso große Bedeutung beigemessen wie den verwendeten Stoffen.

Hierfür sieht die Anthroposophie verschiedene Methoden vor, die zunächst die betreffenden Ausgangssubstanzen, Mineralien, Pflanzen, Organe oder tierischen Gifte aufschließen (Anreicherung und Isolierung) und dann im Anschluss ihre Kräfte mit speziellen Verfahren nutzbar machen. Hierbei werden klassische Verfahren wie Wärmeprozesse (z. B. Auskochen, Veraschen) oder Bewegungsprozesse (z. B. Potenzieren) eingesetzt. Zudem spielt die Auswahl der Lösungsmittel eine wichtige Rolle. Hinzu kommen besondere anthroposophische Verfahren, zu denen Metallzubereitungen, vegetabilisierte Metalle, rhythmische Verfahren sowie Kompositionen und Mischvorgänge in der Zentrifuge zählen.

Tipps für die Beratung Egal, ob Sie sich für die Abgabe eines homöopathischen oder anthroposophischen Präparates entscheiden, bei der Beratung sollten immer die Grenzen der komplementären Therapien gesehen werden. Haben Sie den Eindruck, dass eine schwerwiegende, ernste Erkrankung vorliegt, sollten Sie den Kunden an einen Arzt verweisen. Ebenso ist der Schulmediziner gefragt, wenn die Symptome trotz bereits erfolgter homöopathischer Behandlungsversuche anhalten oder sich das Beschwerdebild gar verschlechtert. Hingegen lassen sich leichte Alltagsbeschwerden gut mit homöopathischen oder anthroposophischen Arzneimitteln in Eigenregie behandeln.

Inzwischen stehen homöopathische Mittel für bewährte Indikationen in fast jeder Sichtwahl. Selbst chronische Beschwerden sind behandelbar, aber immer nur unter der Voraussetzung, dass das passende Mittel gewählt wurde. Im Rahmen der Homöopathie bieten dabei Komplexmittel eine wertvolle Hilfe. Die Wahl eines Komplexmittels erfolgt wie bei allopathischen Arzneimitteln nach Indikationsgebieten, die auf den Packungen und der Packungsbeilage nachzulesen sind. Das ist für die Beratung in der Apotheke eine große Erleichterung. Im Gegensatz zu den Einzelmitteln, bei denen in der Regel keine Indikationen aufgeführt sind, da sie lediglich registriert werden, unterliegen homöopathische Komplexmittel der Zulassungs- und damit auch der Deklarationspflicht. Aus dem gleichen Grund stellen anthroposophische Arzneimittel mit ihren ausgewiesenen Anwendungsgebieten eine Bereicherung für den Handverkauf dar.

Haben Sie dennoch den Eindruck, dass bislang noch nicht das richtige Mittel gefunden wurde, sollten Sie sich nicht scheuen, den Kunden zu einem homöopathisch oder anthroposophisch ausgebildeten erfahrenen Therapeuten zu schicken. Im Rahmen einer ausführlichen Anamnese ist dieser in der Lage, leichter und zielsicherer ein individuell abgestimmtes Therapeutikum zu finden, als es PTA oder Apotheker in einer typischen Beratungssituation in der Apotheke möglich ist. Der Gang zu einem homöopathischen oder anthroposophischen Arzt hat zudem den Vorteil, dass dieser die Option hat, Behandlungsformen der Homöopathie oder Anthroposophie mit denen der konventionellen Medizin zu verbinden. Oder er kann allopathisch weiterbehandeln, sollten inzwischen die Grenzen der komplementären Therapieform erreicht sein.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/19 ab Seite 34.

Gode Chlond, Apothekerin

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