Schmöker des Monats
DIE WELT DES ADELS
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Als die junge Gloria von Schönburg-Glauchau 1980 den sehr viel älteren Fürsten Johannes von Thurn und Taxis in Regensburg heiratete, ging ein Rauschen durch den Wald der bunten Boulevard-Blätter. Die Taxis‘ gehören zum deutschen Hochadel, und bei der Hochzeit wimmelte es von Lakaien, Prunk und Gepränge sowie zahlreichen illustren Gästen. Nachdem sie drei Kinder bekommen hatte, begleitete sie ihren Mann bei seinem Jetset-Leben und machte durch extravagante Frisuren auf sich aufmerksam, sanierte nach dem Tod des Gatten die Familienfirma. Zwischendurch tätigte Maria Gloria Prinzessin von Thurn und Taxis, so ihr offizieller Name, haarsträubende Äußerungen in Talkshows, Sätze wie „Der Schwarze schnackselt halt gern.“
Titel ist nur noch Teil des Nachnamens Und doch, Adel hin, Adel her: Einfluss auf die Geschicke dieses Landes hat weder sie, noch hatte sie ihr Mann. „Fürstin Gloria“, wie sie normalerweise genannt wird (und was eigentlich falsch ist, denn der Adelstitel ist seit 1919 nur noch Teil des Nachnamens) könnte nicht mal ein Auto auf eigenes Geheiß abschleppen lassen – geschweige denn Leibeigene mit dem Schwert enthaupten lassen, wie es früher erlaubt war. Der Adel gehörte einst zur tonangebenden Klasse in der Gesellschaft, doch diese Zeiten sind seit dem ersten Weltkrieg vorbei. Nicht einmal die Königin von England hat noch etwas zu sagen; in ihrer alljährlichen Thronrede liest sie ab, was andere ihr aufgeschrieben haben.
Was ist es nur, das uns so fasziniert? Das uns Adelsserien wie „Downton Abbey“ oder „The Crown“ schauen und uns den Abgang eines englischen Prinzen mit einer amerikanischen Filmschauspielerin so gebannt verfolgen lässt, als beträfe es die eigene Familie? Wer sich fernab bunter Blätter einmal richtig informieren möchte, was es mit dem Adel auf sich hat, der ist mit diesem Buch aus der SPIEGEL-Werkstatt gut beraten. Bettina Musall und Eva-Maria Schnurr haben Texte, Interviews und Reportagen zum Thema gesammelt.
Da informiert ein Historiker, wie die Adelsclans überhaupt entstanden sind (um 750, so alt ist das System schon), wie man wen korrekt anspricht (falls man mal in die Verlegenheit kommt) und was es mit dem Ritterschlag auf sich hat. Man bekommt anschaulich erzählt, wie sich die Habsburger vor lauter Inzucht selbst zerstört haben, wie sich Adel und Arbeit vertragen und was ein Graf vom Niederrhein mit einer heute noch existierenden Chemie-Firma zu tun hat. Wir erhalten Einblick in die Tagebücher adliger Damen („Oh Gott! Er liebt mich. Er liebt mich wirklich!“); erfahren, was Schmuckeremiten in englischen Gärten zu suchen haben und warum Junker zu ost-, nicht zu westelbischen Gutshöfen gehörten.
„Die Bernadottes erlauben seit 1980 die Thronfolge auch auf weiblicher Linie, und sie dürfen 'unstandesgemäß' heiraten. Es sprach also absolut nichts dagegen, dass Victoria ihren Fitnesstrainer heiratete. Und siehe, die Schweden finden das sogar klasse!“
Sie leben noch: die Fugger aus Augsburg Ein vor Jahren im Spiegel erschienenes Interview wird in voller Länge abgedruckt. Es geht um die Fugger, jenes sagenhafte Kaufmannsgeschlecht aus Augsburg, das Kaiser und Könige finanzierte und sich bis heute als Wohltäter einen Namen macht. Wir erfahren, dass Hubertus Fürst Fugger von Kindermädchen erzogen und mit zehn aufs Internat geschickt wurde, hingegen Sohn Alexander Erbgraf Fugger-Babenhausen seine Kindheit als „Mordsgaudi“ erlebte, weil der Vater die Erziehungsfehler von damals nicht wiederholen wollte. An den einfachen Kaufmännern des 14. Jahrhunderts erwies sich, was ein Adelstitel damals bedeutete: Den von Kaiser Maximilian verliehenen Fürstentitel nutzten sie geschickt; gepaart mit Geschäftssinn und einer durchdachten Heiratspolitik gelangten sie ganz nach oben.
Nicht alle Adligen finden es in Ordnung, was durch die Jahrhunderte in den Stammbäumen los war: Jutta von Ditfurth, Mitbegründerin der „Grünen“ ließ das von in ihrem Namen streichen und sagte sich von ihrer Familie los. Wir erfahren zudem (endlich!), was es mit dem Gotha auf sich hat. Es ist eine Art Lexikon der Adelsfamilien. Dort steht drin, wer Graf oder Fürst oder Herzog oder Freiherr ist; es wird minutiös nachgezeichnet, wer wen geheiratet hat und wie viele Kinder ihm beschieden sind. Man sagt, vor einer Adelshochzeit wird dieses Buch von den betreffenden Familien stets zur Hand genommen.
Endlich ein Überblick: die Romanows, die Welfen, die Habsburger Ganz hinten, im letzten Teil dessen, was die Welt des Adels ausmacht, erfahren wir Allgemeinbildendes zu den großen adligen Familien, die einst und jetzt die regierenden Häuser stellten und stellen. Sachsen-Coburg-Gotha? Könige, Zaren und Premierminister kommen von dort, und als Elisabeth I. gestorben war ist, erlosch diese Linie – traurig, traurig. Die Bernadottes – Kronprinzessin Victoria von Schweden mit ihren goldigen Kindern und dem Ehemann, der einmal Fitnesstrainer war, stammt von einem napoleonischen General ab, der überhaupt nicht adlig war (quel scandal!).
Und die tragischen Romanows, die die russischen Zaren stellten, wurden von den eigenen Untertanen erschossen. Der kleine Alexej, Thronfolger von Gottes Gnaden, trug die Bluterkrankheit in sich, die er wiederum von seiner Urgroßmutter, der Queen Victoria, geerbt hatte. Da die Nachkommen der Queen in so ziemlich allen europäischen Herrscherhäusern zu finden waren, war man allseits miteinander verschwippt und verschwägert. Was für ein Kuddelmuddel. Juliana von Oranien-Nassau, einst niederländische Königin und als volksnah bekannt, hatte sich nie um dieses höchste Amt gerissen, füllte es aber auf eine ganz unprätentiöse Art jahrzehntelang zur Freude ihrer Untertanen aus.
Sie soll einst betrübt gesagt haben: „Wenn ich nicht Königin geworden wäre, wäre ich gern Sozialarbeiterin geworden.“ Und Konstantin von Hammerstein, SPIEGEL-Autor, meint: „Wir haben keine Macht, wir haben keine Schlösser, wir haben kein Land, wir haben nur unsere Geschichten. Und das ist auch gut so.“ Alexander von Schönburg, Journalistenkollege und Bruder von Fürstin Gloria, brachte es einmal auf den Punkt, indem er ein Buch über „Die Kunst des stilvollen Verarmens“ schrieb. Denn die Zeitläufte, sie gingen mitleidslos über die einstige Kriegerkaste der Karolinger hinweg. Da kann man nichts machen. Der Adel, er ist out. Da wir gerade dabei sind: Finden Sie es eigentlich auch so furchtbar, dass Prinz Harry und Prinz William nicht mehr miteinander reden?
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 07/2021 ab Seite 102.
Bettina Musall / Eva-Maria Schnurr (Hg.) Die Welt des Adels. Europas Herrscherhäuser vom Mittelalter bis heute
Hardcover mit Schutzumschlag 256 Seiten, 20 Euro mit Abbildungen ISBN: 978-3-421-04868-4