Psychologie in der Apotheke
DIE MACHT DER PSYCHE
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Psychosomatische Erkrankungen lassen sich nicht auf körperliche Auslöser zurückführen, sondern basieren auf dem Wechselspiel zwischen biologischen, sozialen und psychologischen Bedingungen. Die Bezeichnung „Psychosomatik“ leitet sich aus den griechischen Wörtern Psyche (Seele) und Soma (Körper) ab. Fühlt man sich körperlich nicht wohl, wirkt sich dies auf die Psyche aus, umgekehrt spürt man körperliche Beeinträchtigungen, wenn das seelische Gleichgewicht gestört ist. Die Psychotherapie sowie die psychosomatische Medizin befassen sich mit der Erkennung, Behandlung und Rezidivprophylaxe von psychosomatischen Erkrankungen.
Unter Psychosomatik versteht man also somatische Symptome, die auf psychische oder psychosoziale Belastungen zurückzuführen sind oder durch diese verstärkt oder aufrechterhalten werden. Gefühle, wie etwa Ängste, Hilflosigkeit oder Ärger, manifestieren sich in körperlichen Zuständen. Häufig äußern sich die Beschwerden in Missempfindungen wie Schwindel, Blähungen, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Erschöpfung, Reizblase, neurologischen Symptomen, sexuellen Störungen, Durchfall sowie in starken Schmerzen in der Brust, der Schulter, dem Rücken oder dem Kopf.
Stress kann krank machen Ein Erklärungsansatz für psychosomatische Beschwerden ist das allgemeine Adaptionssyndrom des kanadischen Endokrinologen Hans Selye. Das Modell umfasst drei Stufen: die Alarmreaktion, das Widerstandsstadium sowie eine Stufe der Erschöpfung. Die Alarmreaktion bereitet den Organismus auf eine energische Aktion vor, während der Körper den Stressor in der Widerstandsphase „ertragen“ kann. Sind Betroffene den Stressoren längerfristig ausgesetzt oder sind diese sehr intensiv, stellt sich das Stadium der Erschöpfung ein. Die gesteigerte Produktion der Stresshormone wirkt sich negativ auf das Immunsystem aus. Laut Selye ist Krankheit eine unvermeidbare Reaktion auf permanenten Stress, wobei es einen Einfluss auf die physiologische Reaktion hat, wie Stress interpretiert wird.
Kategorisierung Das ICD-10 (International Classification of Diseases) differenziert zwischen Somatisierungsstörungen, hypochondrischen Störungen, somatoformen, autonomen Funktionsstörungen und anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen. Bei Somatisierungsstörungen klagen Betroffene über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren über wechselnde (mindestens sechs), körperliche Beschwerden. Die hypochondrische Störung kennzeichnet sich dadurch, dass die Personen mindestens sechs Monate lang der Überzeugung sind, trotz gegenteiliger Befunde an einer schweren Erkrankung zu leiden.
Typisch für somatoforme autonome Funktionsstörungen sind Symptome der vegetativen Erregung, die sich beispielsweise auf das Herz (Brustschmerzen oder Druckgefühl in der Herzgegend), den Gastrointestinaltrakt (zum Beispiel Darmbeschwerden oder Völlegefühle), das respiratorische System (Atemprobleme) oder das Urogenitalsystem (Dysurie oder eine erhöhte Miktionsfrequenz) beziehen. Um die Diagnose zu stellen, müssen mindestens ein Symptom sowie eine erhöhte Ermüdbarkeit vorliegen, zudem zwei oder mehr der folgenden Beschwerden: Herzklopfen, Hitzewallungen, Mundtrockenheit, Schweißausbrüche oder Unruhe in der Magengegend.
Leiden Betroffene über mindestens sechs Monate unter einem schweren, belastenden Schmerz in einer anatomischen Region, der nicht durch einen somatischen Befund erklärt werden kann, liegt möglicherweise eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vor. Schweregrad, Exazerbationen und die Aufrechterhaltung der Beschwerden werden auf psychische Faktoren zurückgeführt, außerdem beeinträchtigen die Symptome unter anderem das soziale und berufliche Leben.
Bei einer Konversionsstörung führen nicht ausgelebte seelische Konflikte zu körperlichen Erkrankungen.
Psychoanalytische Psychosomatik Sigmund Freud entwickelte die Theorie der sogenannten Konversionsstörung, die besagt, dass nicht ausgelebte seelische Konflikte zu körperlichen Erkrankungen führen. Die Konversion beschreibt somit ein psychologisches Phänomen, nach dem seelische Erregung ins Körperliche umgewandelt wird. Das Modell von Freud dient ebenfalls als Erklärung für Zusammenhänge zwischen Stressoren und körperlichen Symptomen. Unter dissoziativen Störungen versteht man ein psychologisches Phänomen, das als Reaktion auf ein als unerträglich empfundenes Erlebnis auftritt. Dissoziative Konversionsstörung ist der Oberbegriff für transiente psychosomatische Störungen.
Typischerweise zeigen Betroffene verschiedene Beschwerden, bei denen kein Zusammenhang zwischen körperlichen Ursachen und der Symptomatik besteht, stattdessen jedoch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen belastenden Ereignissen und der Symptomatik vorliegt. Laut ICD-10 unterscheidet man verschiedene dissoziative Konversionsstörungen: Bei der dissoziativen Amnesie fehlen Erinnerungen weit über das normale Maß der Vergesslichkeit hinaus. Die dissoziative Fugue stellt das plötzliche Verlassen einer Situation dar, Betroffene laufen ohne feststellbaren Grund einfach weg. Meist erinnern sie sich im Nachhinein an das Weglaufen nicht mehr.
Beim dissoziativen Stupor erfüllt das Verhalten Betroffener die Kriterien für die seelische und motorische Erstarrung, allerdings gibt es keine Anhaltspunkte für eine körperliche Ursache. Patienten reagieren kaum oder gar nicht auf Umweltreize wie Licht, Berührungen oder Geräusche. Stattdessen finden sich, ebenso wie bei anderen dissoziativen Störungen, Hinweise auf vorausgegangene belastende Ereignisse. Darüber hinaus zählen Trance- und Besessenheitszustände, dissoziative Krampfanfälle, dissoziative Bewegungsstörungen, dissoziative Sensi- bilitäts- und Empfindungsstörungen oder sonstige dissoziative Störungen zu den Konversionsstörungen.
Behandlung von psychosomatischen Beschwerden Bei den meisten Symptomen lassen sich Betroffene zunächst vom Arzt körperlich untersuchen. Daneben führt das ausführliche Gespräch mit den Patienten dazu, Belastungssituationen, die unter Umständen zu körperlichen Problemen führen, aufzudecken. Generell stellt die Behandlung psychosomatischer Beschwerden eine interdisziplinäre Herausforderung dar, die eine Zusammenarbeit von Klinikärzten, Allgemeinmedizinern, Psychiatern, Psychotherapeuten und Psychosomatikern erfordert. Die Behandlung beginnt meist mit einfachen Maßnahmen: Betrifft die Symptomatik beispielsweise den Magen, sollten Patienten auf regelmäßige Mahlzeiten achten, sich Ruhepausen gönnen und der Verdauung Zeit geben.
Bleibt der Erfolg der Therapie nach einer Behandlungsdauer von maximal drei Monaten aus oder führt die Problematik zu massiven Einschränkungen, überweist der Hausarzt Betroffene zu einem Facharzt für psychosomatische Medizin, zu einem Psychiater oder zu einem Psychotherapeuten. Im Rahmen der Behandlung erfolgt in der Regel eine Psychoedukation, zusätzlich sollten Beschwerden, Ängste und Vermeidungsverhalten offen thematisiert werden. Körperliche Aktivität verbessert in den meisten Fällen den Therapieerfolg.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/2020 ab Seite 56.
Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin