© Stadtratte / iStock / Thinkstock

Nobelpreis

DIE INNERE UHR

Kortison hat weniger Nebenwirkungen, wenn man es morgens nimmt und Lokalanästhetika wirken am Nachmittag besser als am Morgen. Kein Zweifel – es gibt ein biologisches Uhrwerk. Jetzt weiß man auch, wie es funktioniert.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Schon seit mehr als 200 Jahren ist bekannt, dass es tages- und auch jahreszeitliche Veränderungen beim Menschen gibt. Wir spüren es ganz deutlich, wenn wir nach einem Langstreckenflug durch den Jetlag aus der Bahn geworfen werden. Und viele von uns hatten in den letzten Tagen Probleme, sich an die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit anzupassen. Das zeigt, wie stark unsere Körperfunktionen auf die Phasen des Tages eingestellt sind. Wir wissen auch, dass Herzinfarkte und der Sekundenherztod häufiger in den frühen Morgenstunden auftreten, Asthma-Anfälle aber häufiger in der Nacht. Biorhythmen findet man auf der Ebene von Organen, Zellen und sogar Molekülen, beispielsweise bei der Enzymaktivität. Und das nicht nur beim Menschen, auch Tiere und Pflanzen passen sich an die Rotation der Erde und damit an die tageszeitlichen Veränderungen ihrer Umwelt an. Lange Zeit hat man nach einem Zeitsinn oder einem Organ zur Zeitmessung im menschlichen Körper gesucht. Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young haben die molekularen Mechanismen geklärt und sind dafür in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet worden.

Ein Eiweiß steuert die innere Uhr Bereits in den 1970er Jahren fanden Forscher eine genetische Grundlage der biologischen Zeitmessung. Mutationen in einem bestimmten Gen führten bei der Taufliege Drosophila melanogaster zu einer Störung der inneren Uhr. Die Schwarzbäuchige Taufliege ist ein ideales Forschungsobjekt und musste schon für viele Untersuchungen herhalten. Sie besitzt nur vier Chromosomen, lässt sich leicht züchten und hat eine kurze Generationenfolge. An die Ergebnisse der damaligen Arbeiten knüpften die diesjährigen Nobelpreisträger an. Im Jahr 1984 gelang es Jeffrey Hall und Michael Rosbash an der Brandeis University in Waltham/Boston in Zusammenarbeit mit Michael Young an der Rockefeller University in New York, das sogenannte Periodengen (period) aus den Chromosomen der Taufliege zu isolieren. Hall und Rosbash beschäftigten sich anschließend mit dem Eiweiß, das durch dieses Gen codiert wird, das Protein PER (protein encoded by period). Sie konnten zeigen, dass sich PER während der Nacht ansammelt und während des Tages abgebaut wird. Das heißt, das Niveau des PER-Proteins schwingt über einen 24-Stunden-Zyklus synchron mit dem zirkadianen Rhythmus. Sie identifizierten weitere Proteinkomponenten dieses Systems und erkannten den Mechanismus, der bei allen mehrzelligen Organismen das biologische Uhrwerk regelt.

Mechanismus mit Rückkopplungsschleife Was man bis dahin aber noch nicht wusste, war, wie diese Schwingungen erzeugt und erhalten werden. Die Forscher vermuteten einen Rückkopplungsmechanismus. Hall und Rosbash konnten in diesem Zusammenhang zeigen, dass sich das PER-Protein während der Nacht im Zellkern ansammelt. Young fand heraus, wie es dort überhaupt hinkommt. Er entdeckte 1994 ein weiteres Gen, welches das sogenannte TIM-Protein bildet. Erst wenn sich die Proteine TIM und PER miteinander verbinden, können sie in den Zellkern gelangen. Dort blockieren sie die Aktivität des Periodengens und schließen damit eine inhibitorische Rückkopplungsschleife. Das heißt, wenn sich PER im Zellkern ansammelt, wird seine weitere Synthese blockiert. Damit reguliert es seinen eigenen Spiegel in einem kontinuierlichen zyklischen Rhythmus. In den folgenden Jahren gewann dieses Forschungsfeld auch bei anderen Naturwissenschaftlern an Interesse. Es wurden weitere molekulare Komponenten des Uhrwerkmechanismus aufgeklärt. Aber auch die Preisträger forschten weiter und identifizierten Proteine, die für die Aktivierung des Periodengens erforderlich sind, sowie für den Mechanismus, mit dem Licht die innere Uhr synchronisiert. Denn, und das weiß man auch schon länger, Licht ist als Taktgeber notwendig, um die innere Uhr ständig neu auf den 24-Stunden-Tag einzustellen.

Auswirkungen auf die Gesundheit Inzwischen weiß man, dass viele menschliche Gene und dadurch sehr viele physiologische Vorgänge durch die innere Uhr reguliert werden. Die Chronobiologie (griechisch: chronos = Zeit), wie der Forschungszweig heißt, ist inzwischen in der Medizin und der Pharmazie ein großes Forschungsfeld, mit dem man zu erklären versucht, warum manche Ereignisse zu bestimmten Tageszeiten gehäuft auftreten und wie man Erkrankungen gezielter behandeln kann. Die Chronopharmakologie befasst sich mit der inneren Uhr und den Konsequenzen für die Arzneimitteltherapie. Tageszeitliche Rhythmen können die Effekte von Arzneistoffen auf ganz unterschiedlichen Ebenen beeinflussen. Wird der Verlauf der Blutspiegelkurve moduliert, spricht man von der Chronopharmakokinetik. Ändert sich hingegen die Empfindlichkeit des Zielorgans, wie bei den Lokalanästhetika, fällt dies ins Gebiet der Chronopharmakodynamik. Die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit durch die Entdeckungen der drei Preisträger wurden auch vom Nobel-Komitee hervorgehoben. Die drei Forscher erhalten zusammen ein Preisgeld, das beim „Nobelpreis für Physiologie oder Medizin“, wie die offizielle Bezeichnung lautet, acht Millionen Schwedische Kronen, also etwa 830 000 Euro, beträgt. Die Preisverleihung findet am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, statt. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/17 ab Seite 126.

Sabine Breuer, Apothekerin/Chefredaktion

×