Hochsensible Nasen
DIAGNOSTIKER AUF VIER PFOTEN
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Erstmals wurde diese Begabung Ende der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts bekannt, als eine Frau bemerkte, dass ein Muttermal an ihrem Bein ihren Hund in höchste Aufregung versetzte – und er sogar versuchte, es abzubeißen. Der Dermatologe, den sie schließlich aufsuchte, stellte dann die Diagnose Melanom.
Seither konnten einige, auch gut kontrollierte, klinische Studien den erstaunlichen Spürsinn der Vierbeiner für Tumoren belegen. So ließ man zum Beispiel dazu abgerichtete Hunde an Atemproben von 86 Patientinnen und Patienten mit Lungen- oder Brustkrebs sowie von 83 gesunden Probanden schnüffeln. Hundetrainer und Versuchsbeobachter waren während der Durchführung selbst im Unklaren bezüglich der Identität der Proben.
Die Erkennungsrate war mit 88 beziehungsweise 99 Prozent (Lungenkrebs) verblüffend hoch. Diese Ergebnisse ringen auch ursprünglich skeptischen Medizinern Respekt ab. Offenbar, so Experten, atmen Krebspatienten unverwechselbare chemische Verbindungen oder Stoffgemische aus, die von hochsensiblen Nasen wahrnehmbar sind.
Hohe Trefferquoten Während mehrere Arbeitsgruppen den Hunden Röhrchen mit Atemluft zum Schnuppern gaben, verwendeten andere Material wie Blut (von Patientinnen mit einem Karzinom des Eierstocks), Urin (bei Blasenkarzinom), Stuhl- (Kolorektalkarzinom) oder Gewebeproben (Melanom). Die Versuche erzielten durchweg gute Resultate, mit einer sensationellen Sensitivität und Spezifität. Damit könnte sich der ausgeprägte Geruchssinn der Tiere als ein hervorragendes Detektionsinstrument erweisen, zumal die „lebenden Messsysteme“ oft mindestens so genau wie die Standardmethoden beziehungsweise diesen überlegen waren.
Diagnosemethode mit Tradition Verwunderlich ist der Erfolg der Methode nicht: Infektionen, aber auch maligne Krankheiten gehen oft mit Stoffwechselveränderungen einher. Damit fallen auch andere Reaktionsprodukte an – auch solche mit einer besonderen Geruchsnote. Das Riechen an der Ausatemluft als diagnostisches Verfahren gehört übrigens zu den ältesten Diagnosetechniken überhaupt: Die alten Griechen und Chinesen haben auf die Weise lange vor unserer Zeitrechnung beispielsweise Infektionen wie Tuberkulose festgestellt.
Und auch die moderne Medizin bedient sich des einfachen Verfahrens, wenn Ärzte etwa den fruchtigen Geruch in der Atemluft von Patienten als eines der Zeichen für eine schwere Stoffwechselentgleisung des Diabetes erkennen oder bei beißendem Geruch (nach Ammoniak) auf eine schwere Lebererkrankung tippen.
Schnuppertest statt Röntgenuntersuchung? Je früher die Diagnose Krebs gestellt wird, umso mehr Aussicht besteht häufig auf Heilung oder jedenfalls erfolgreiche Behandlung und längeres Überleben. Deshalb machen die Untersuchungen mit den Hunden vielen Experten Hoffnung. Denn gerade beim Lungenkrebs gibt es immer noch keine geeignete Methode, den Tumor frühzeitig zu entdecken. Chancen auf gute Therapieerfolge haben Betroffene nur, wenn der Tumor zum Zeitpunkt der Diagnose noch sehr klein ist. Mit der normalen Röntgenuntersuchung kommt man ihm aber in der Regel erst im fortgeschrittenen Stadium auf die Spur.
Daher wäre ein Screening auf der Basis der Atemluft ein riesiger Fortschritt: Deutlich früher, als man es mit der gängigen Bildgebung heute nachweisen kann, können speziell trainierte Hunde ein Bronchialkarzinom riechen. Ähnliches könnte für weitere Krebsarten gelten, für die bisher keine Marker identifiziert wurden, um sie auf nicht-invasivem Weg eindeutig zu identifizieren. Auch beim Eierstockkrebs fehlt etwa ein einfacher Test, mit dem Frauen sich regelmäßig checken lassen könnten, um eine Erkrankung daran auszuschließen.
Trotz der erstaunlichen Ergebnisse: Ein routinemäßiger Einsatz von Hunden im Sinne eines Screenings der Bevölkerung dürfte zu unsicher und nicht praktikabel sein. Zum einen ist es auch nach der entsprechenden Ausbildung notwendig, die Tiere täglich zu trainieren, damit ihre Fähigkeit nicht verloren geht. Anders als technische Diagnoseinstrumente müssen die lebendigen Helfer auch ständig motiviert werden. Zudem ist eine intensive Beziehung zum Hundeführer nötig, sonst spielen sie nicht mit. Abgesehen davon kann es in der Praxis zu unkalkulierbaren Fehlermöglichkeiten kommen.
Atemgasanalytik Daher wird seit Jahren daran gearbeitet, mit technischen Apparaturen die feinen Hundenasen quasi nachzubauen und so objektive, reproduzierbare Verfahren für die Atemgasanalyse zu erhalten. Solche Geräte müssen in der Lage sein, geringste Stoffkonzentrationen zu messen. Zunächst aber gilt es, unter hunderten von flüchtigen Verbindungen solche Substanzen oder Substanzmuster zu identifizieren, die stark mit den jeweiligen Krankheiten assoziiert und möglichst nur für sie charakteristisch sind (Krebsmarker). Erste Untersuchungen zu solchen elektronischen Nasen scheinen vielversprechend.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/13 auf Seite 108.
Waltraud Paukstadt, Dipl. Biologin