Behandschuhte Hände halten ein Tablet, auf dessen Bildschirm das Wort "Infodemic" zu lesen ist.
Der Begriff Infodemie beschreibt das Phänomen, dass Falschmeldungen zu Gesundheitsthemen oft ebenso großen Schaden anrichten können wie eine Krankheit selbst. © nito100 / iStock / Getty Images Plus

Verschwörungserzählungen | Digitalisierung

„INFODEMIE“: FAKE NEWS SIND GESUNDHEITSGEFÄHRDEND

Die Corona-Pandemie ist die erste weltweite Seuche im digital vernetzten Zeitalter. Das hat Vorteile – noch nie standen Forschungsergebnisse so schnell zur Verfügung wie heute. Doch auch andere Neuigkeiten verbreiten sich rasend: Fehlinformationen.

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Andrew Pattison, Digital Business Solutions Manager der Weltgesundheitsorganisation (WHO), weiß: „Fehlinformationen verbreiten sich schneller als das Virus.“ Falschmeldungen, die über soziale Medien und andere Kanäle verbreitet werden, seien ein ernstes Problem für die öffentliche Gesundheit. „Wir bekämpfen nicht nur eine Epidemie, wir bekämpfen eine Infodemie“, bestätigt auch WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Um Gerüchten und Angst seriöse Informationen gegenhalten zu können, richtete die WHO deshalb das Information Network for Epidemics (EPI-WIN) ein.

So wie bei der Pest im 14. Jahrhundert drehen sich viele Theorien darum, Schuldige für die Situation zu finden. Im Mittelalter mussten oft Juden als Feindbild herhalten. Sie stehen auch heutzutage wieder im Fokus vieler Falschmeldungen - scheinbar hat sich die Menschheit diesbezüglich kaum weiterentwickelt. Die wohl meistverbreitete Verschwörung rankt sich jedoch um Microsoft-Erfinder Bill Gates: Er habe das Virus entwickelt, um mit der dann notwendigen Impfung Microchips in die Menschen implantieren zu können. Gegen solche Meinungen reicht meist eine einfache Frage als Realitätscheck aus: "Was hätte Gates davon?"

Verschwörungstheorie? Verschwörungserzählung!
Schon der Begriff "Verschwörungstheorie" vermittele dem Leser, es gäbe eine wissenschaftliche Grundlage. Daher spricht Sozialpsychologin Pia Lamberty, Mitautorin des Buchs "Fake Facts", lieber von Verschwörungserzählungen. „Wir konnten in verschiedenen Studien zeigen, dass wenn Menschen einen Kontrollverlust erleben, sie stärker an Verschwörungen glauben.“, erzählt sie im Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Psyche suche nach einem Ausgleich für Machtlosigkeit und Angst. „Aber es gibt halt gute und schlechte Kompensationsstrategien“, sagt sie, und "Menschen, die das Bedürfnis verspüren aus der Masse hervorzustechen, glauben auch besonders gern an Verschwörungen." Ein gesteigerter Narzissmus bewege sie dazu, "es verstanden" haben zu wollen - im Gegensatz zu den anderen, die scheinbar nichts kapierten.

Impfskepsis als globales Gesundheitsrisiko
„Wir wissen aus Studien, dass wenn jemand mit einer Impfverschwörung konfrontiert wurde, diese Person nachher weniger bereit ist, das eigene Kind impfen zu lassen", erklärt Lamberty zum Thema Impfgegner. Das zeigt auch eine Veröffentlichung der WHO von 2019 mit dem Titel "Zehn Bedrohungen für die globale Gesundheit": Impfskepsis zählt dazu. Auch dieses Phänomen profitiert von der digitalen Vernetzung, die die Verbreitung falscher Wahrnehmungen beschleunigt. Die in den letzten Jahrzehnten erreichte Entwicklung bei der Ausrottung impfbarer Krankheiten ist gefährdet.

Auch Pharmaindustrie beschuldigt
Besonders schwer sind Verschwörungserzählungen zu erkennen, wenn sie von Institutionen kommen, die man eigentlich als seriös einschätzt. So veröffentlichten unlängst einige katholische Würdenträger den Aufruf "Veritas Liberavit Vos", sie glaubten daran, dass die veröffentlichten Fallzahlen der Panikmache dienten. Es handele sich um „ein beunruhigendes Vorspiel zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht.“ Auch pharmazeutische Unternehmer wurden in der Schrift angeprangert: „Es ist unvernünftig, Arzneimittel, die sich als wirksam erwiesen haben und oftmals kostengünstig sind, zu ächten, um Behandlungen oder Impfstoffen Vorrang einzuräumen, die nicht so wirksam sind, aber Pharmaunternehmen höhere Gewinne garantieren", ohne jedoch zu benennen, welche Medikamente sich als wirksam erwiesen haben sollen, und ohne zu bedenken, dass die Impfstoffentwicklung meist nicht gewinnbringend für Pharmaunternehmen ist.

Bevölkerung setzt dennoch auf Wissenschaft
Trotz all der kursierenden Gerüchte verlässt sich die Mehrheit der Deutschen auf Forschung und Wissenschaft, zeigte eine repräsentative Bevölkerungsumfrage der Initiative "Wissenschaft im Dialog". Die Corona-Pandemie hat dieses Grundvertrauen sogar noch gesteigert:

• Fast 90 Prozent setzen auf wissenschaftliche Expertise bei der Eindämmung von Corona.
• 81 Prozent befürworten, dass Politiker sich bei ihren Entscheidungen auf die Wissenschaft berufen.
• Etwa zwei Drittel finden Kontroversen zwischen ExpertInnen wichtig, um die richtigen Ergebnisse durchzusetzen.
• 61 Prozent rechnen mit einer erfolgreichen Impfstoff- oder Medikamentenentwicklung in absehbarer Zeit.

Vermutlich sind die Verschwörungserzähler also bloß lauter, aber nicht mehr.

Gesa Van Hecke,
PTA und Redaktionsvolontärin

Quelle: Pharma Fakten

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