Heilpflanzen
BITTERES KRAUT
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Der Gemeine Andorn (Marrubium vulgare) aus der Familie der Lippenblütler (Lamiaceae) wurde schon vor etwa 2000 Jahren in Europa heilkundlich genutzt. Obwohl er einst zu den beliebtesten Heilpflanzen zählte, ist Andorn heute fast in Vergessenheit geraten – zu Unrecht, wie Medizinhistoriker finden. Der Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde an der Universität Würzburg hat entschieden, Andorn zur Heilpflanze 2018 zu küren, um seine wissenschaftliche Bedeutung als Arzneipflanze wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken.
Anspruchslos und sonnenliebend Marrubium vulgare ist eine bis zu 60 Zentimeter hoch und buschig wachsende mehrjährige Pflanze, deren Heimat der Mittelmeerraum ist. In Nord- und Südamerika, Südafrika und Australien wurde Andorn eingeschleppt. Auch in Europa ist er in wärmeren und trockenen Gebieten ansässig. Ursprünglich wurde Andorn bei uns als Heilpflanze angebaut, inzwischen ist der Lippenblütler verwildert und meist in der Umgebung von Dörfern zu finden. Er benötigt lockere, durchlässige und kalkhaltige Böden und bevorzugt sonnige, windgeschützte Standorte, kann aber auch im Halbschatten gedeihen. Als genügsame Pflanze wächst Andorn vor allem in trockenen Unkrautfluren, auf Schuttplätzen, an Wegrändern, Hecken und Zäunen sowie auf Wiesen.
Weiße kleine Kugeln Der vierkantige Stängel des Lippenblütlers ist hohl und wirkt aufgrund seiner dichten Behaarung weiß-filzig. Die kreuzgegenständig angeordneten, runzeligen Blätter haben eine rundliche bis eiförmig-elliptische Form. Sie sind besonders unterseits weiß-filzig behaart und weisen einen grob unregelmäßig gezähnten Blattrand auf. Die Blätter im unteren Bereich des Stängels erreichen eine Länge von bis zu 3,5 Zentimetern und sind langgestielt. Nach oben hin werden die Blattstiele immer kürzer und die Blätter kleiner. In den Blattachseln sitzen pro Stängel sechs bis acht kleine weiße, schwach duftende Lippenblüten dicht gedrängt in kugelartigen Scheinquirlen, die von Juni bis September blühen.
Ohne Dornen Im Grund der Blütenröhre befindet sich der Kelch mit seinen zehn Zähnen, die sich bei der Fruchtreife an ihrer Spitze hakenartig verformen. Diese bleiben wie Kletten an Fellen vorbeistreifender Tiere oder an der Kleidung von Menschen hängen und verbreiten auf diese Weise die im Kelch enthaltenen Samen. Dass es sich bei den Fruchtständen mit ihren Widerhaken nicht um Dornen handelt, kommt auch schon im deutschen Namen der Pflanze zum Ausdruck, der ohne Dornen (= An-dorn) bedeutet.
Vielseitige Bitterstoffdroge Der Gattungsname Marrubium stammt vom hebräischen mar = bitter und rob = viel und nimmt somit auf den bitteren Geschmack des Lippenblütlers Bezug, der auf die wirksamkeitsbestimmenden Diterpen-Bitterstoffe mit der Hauptkomponente Marrubin zurückzuführen ist. Zudem enthält Andorn unter anderem noch Flavonoide, Lamiaceen-Gerbstoffe und eine geringe Menge ätherisches Öl. Die Bitterstoffe regen die Bildung von Magensaft und Gallenflüssigkeit an und fördern somit den Appetit und helfen bei Verdauungsproblemen. Über die choleretischen und verdauungsfördernden Effekte hinaus haben die Bitterstoffe noch eine sekretlösende Wirkung in den Bronchien. Da auch die glatten Muskelzellen des Bronchialsystems mit Bitterstoffrezeptoren ausgekleidet sind, können Bitterstoffe über deren Aktivierung verengte Bronchien erweitern, wodurch sich festsitzendes Sekret leichter löst.
Anerkannte Wirkungen Die positiven Effekte von Andorn bei Verdauungsbeschwerden und Atemwegserkrankungen werden schon seit Jahrhunderten in der Volksmedizin genutzt und finden sich bereits in den alten Kräuterbüchern. Aber auch noch heute erkennen die Kommission E oder die ESCOP diese Effekte an und führen in ihren Monographien als Indikationen für Andornkraut Appetitlosigkeit, dyspeptische Beschwerden wie Völlegefühl, Blähungen und Katarrhe der Luftwege auf. Allerdings ist Andorn eine typische Heilpflanze aus der Erfahrungsheilkunde, für die keine klinischen Studien aus der jüngeren Zeit vorliegen.
Arzneiliche Verwendung In der Regel wird geschnittenes Andornkraut (Marrubii herba) zur Teezubereitung verwendet. Seine Qualität ist im Europäischen Arzneibuch (Ph. Eur.) festgelegt. Dafür werden ein bis zwei Gramm mit circa 150 Millilitern Wasser übergossen und nach zehn Minuten abgeseiht. Soll der Tee bei erkältungsbedingtem Husten getrunken werden, ist Andornkraut auch in Kombination mit anderen wohlschmeckenden Heilpflanzen als Teemischung empfehlenswert, um den bitteren Geschmack zu überdecken. Zum Schleimlösen sind zudem noch einige wenige pflanzliche Fertigarzneimittel auf dem Markt, die beispielsweise Andornkraut-Fluidextrakt, einen wässrigen Dekokt aus Marrubium vulgare oder Frischpflanzenpresssaft enthalten.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/17 ab Seite 72.
Gode Chlond, Apothekerin