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Verhaltensauffälligkeiten Bei Kindern

AUTISMUS

Hierbei handelt es sich um eine der schwersten Verhaltensstörungen, die in der Kindheit auftreten können. Betroffene befinden sich in ihrer eigenen Welt und erscheinen für Außenstehende unnahbar.

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Tom steht auf einem Spielplatz und lässt wiederholte Male einen Becher voll Wasser laufen, um ihn dann sofort wieder auszuschütten. Als David zu ihm kommt und ihm etwas anderes zeigt, beginnt er, ohne ihn anzusehen, mit einer anderen monotonen Beschäftigung. Andere Kinder um ihn herum bemerkt Tom kaum – er ist an Autismus erkrankt. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, Prävalenzschätzungen gehen von 30 bis 60 Fällen pro 10 000 Kinder aus. Frühkindlicher Autismus beginnt in der frühesten Kindheit – und zwar vor dem dritten Lebensjahr - ist nicht heilbar und besteht bis ins Erwachsenenalter fort.

Charakteristische Symptome Typisch für Autisten sind Defizite im Bereich der sozialen Kompetenz, Probleme in der Kommunikation und Sprache sowie Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen, zum Beispiel beim Blickkontakt, in der Gestik oder Mimik. Außerdem zeigen sie wiederholte, stereotype Verhaltensweisen und Interessen, wie beispielsweise eine Sammelleidenschaft für ungewöhnliche Gegenstände. Den Patienten fehlt jegliches Verständnis für die Emotionen und Gedankengänge anderer Menschen. Sie können fremde Gesichtsausdrücke nicht deuten und den aktuellen Gefühlszustand ihres Gegenübers nicht erkennen. Daher missachten Autisten oft gesellschaftliche Normen und haben Schwierigkeiten dabei, Beziehungen aufzubauen. Die Kinder sprechen häufig kaum oder gar nicht und suchen keinen Kontakt zu Gleichaltrigen. Nicht selten zeigen sie auch unspezifische Symptome wie Aggressionen, Phobien oder Schlaf- und Essstörungen. Die aktuelle Forschung beschäftigt sich vor allem mit frühkindlichen Verhaltensweisen, die mit der Entwicklungsstörung im Zusammenhang stehen. So erwidern Autisten Lächeln nur in Ausnahmefällen und reagieren oft nicht auf ihren Namen.

Milde Variante Beim Asperger-​Syndrom sind die Beeinträchtigungen in der Regel geringer als beim frühkindlichen Autismus. Betroffene haben meist durchschnittliche kognitive Fähigkeiten und zeigen kaum Auffälligkeiten hinsichtlich der Sprache. Jedoch wirken sie motorisch ungeschickt und teilweise plump, in sozialen Situationen verhalten sie sich häufig unangemessen. Asperger-Autismus ist jedoch nicht nur mit Beeinträchtigungen verbunden, im Bereich der Gedächtnisleistung, der Wahrnehmung sowie der Selbstbeobachtung sind die Patienten anderen Menschen überlegen. Auch das Rett-Syndrom gehört zu den Erkrankungen des autistischen Spektrums. Es geht allerdings auch mit schweren körperlichen Behinderungen einher und tritt in der Regel bei Mädchen auf. Nach Erreichen des 18. Lebensmonats kommt es zunächst zu einem Entwicklungsstillstand, dem eine Regression folgt. Die Fähigkeit, eine emotionale Bindung zu den Eltern aufzubauen, ist nicht vorhanden. Darüber hinaus sind die sprachliche sowie die motorische Entwicklung eingeschränkt.

Verschiedene Ursachen Über die Ursachen des Autismus besteht noch keine Klarheit. Durch das Verfahren der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) konnte nachgewiesen werden, dass die Aktivität in der Hirnrinde, dem Ort der emotionalen und sozialen Reaktivität, verringert ist. Die Reaktion der Spiegelneuronen scheint bei Autisten ebenfalls beeinträchtigt zu sein: Die Zellen arbeiten zwar bei eigenen Handlungen, allerdings nicht bei der Beobachtung von Tätigkeiten anderen Personen. Aus dieser Tatsache ergibt sich die Vermutung, dass Autisten nicht dazu in der Lage sind, sich in andere Personen hinein zu versetzen und Verständnis für sie zu zeigen. Andere Forscher gehen von einer durch genetische und pränatale Umwelteinflüsse verursachten abnormen Gehirnfunktion aus. Betroffene Kinder sollen ab dem ersten Lebensjahr ein überdurchschnittlich großes Gehirn aufweisen. Grund dafür ist eine Überproduktion von Synapsen sowie eine fehlende Synapsenausdünnung.

Interventionsmöglichkeiten Durch eine frühzeitige Therapie lassen sich die Symptome deutlich reduzieren – heilbar ist Autismus allerdings nicht. Die Behandlung entspricht einem komplexen Programm, das aus verschiedenen Elementen (psychotherapeutischen, pädagogischen, pharmakologischen, spezialtherapeutischen Maßnahmen) besteht. Ein Baustein der Therapie ist das Verhaltenstraining, welches aus der Verhaltenstherapie hervorgeht. Autisten wird dabei geholfen, Beziehungen zu anderen Personen aufzubauen und mit ihnen zu kommunizieren. Die Übungen können nach dem Prinzip der positiven Verstärkung erfolgen: Zeigen Patienten (sozial) erwünschtes Verhalten, wird dieses belohnt. Auch alltagsnahe Rollenspiele unterstützen Autisten auf ihrem Weg in die selbstständige Lebensführung.

Ebenso kommt der Elternarbeit für den Erfolg der Behandlung eine entscheidende Bedeutung zu, schließlich stellt die Erkrankung auch für sie eine hohe Belastung dar. Für Familienmitglieder besteht ein zentraler Schritt zunächst darin, die Störung des Kindes zu akzeptieren. Eltern sollten darüber informiert werden, dass zwischen einem ablehnenden Erziehungsstil und der Ausbildung von Autismus kein Zusammenhang besteht, denn dieses Wissen bedeutet für sie eine starke Entlastung. Es ist wichtig, dass sie einen Weg finden, ihr Kind weder zu überfordern noch in seiner Entwicklung zu hemmen. Im Rahmen der Elternarbeit ist auch zu betonen, dass das eigene Wohlbefinden nicht aus den Augen verloren werden sollte. Bei Bedarf ist es sinnvoll, Hilfe in Anspruch zu nehmen oder das Kind temporär in Pflegeeinrichtungen unterzubringen.

Keine kausale Medikation Arzneimittel gegen die Kernsymptome von Autismus gibt es nicht. Lediglich Begleitbeschwerden wie Ängste, Depressionen, selbstverletzendes Verhalten oder Aggressivität können medikamentös (etwa durch Antidepressiva oder atypische Neuroleptika) reduziert werden. Voraussetzung ist eine sorgfältige, ärztliche Untersuchung, denn bei einer falschen Anwendung könnten sich die bestehenden Symptome verstärken. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/17 ab Seite 80.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin

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