Psychologie in der Apotheke
ALLES NUR GETRÄUMT
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In dem Lied „Mehr nehmen“ von den Fantastischen Vier heißt es zwar „Sofort Vollgas, volle Dosis. Du kannst schlafen, wenn du tot bist.“, allerdings ist der regelmäßige und ausreichende Schlaf für den Organismus von enormer Bedeutung. Die meisten Menschen fühlen sich fit und ausgeruht, wenn sie in der Nacht sieben bis acht Stunden lang geschlafen haben.
Reise durch die Nacht Man unterscheidet fünf Schlafphasen, wovon die meisten sehr ruhig verlaufen. Allerdings geht das sogenannte REM (Rapid Eye Movements)-Stadium mit einer beschleunigten Atmung sowie mit schnellen Augenbewegungen einher und wird daher als paradoxe Phase bezeichnet, da sich der Zustand des Gehirns, gemessen an den Hirnströmen, näher am Wachsein als am Schlaf befindet. Die Hirnaktivität ist demnach auffällig hoch, außerdem sind der Puls, der Energieverbrauch sowie die Durchblutung der primären Geschlechtsorgane gesteigert. Die Phasen, in der Schlafende keine REM zeigen, bezeichnet man als non-REM-(NREM-) Schlaf. Tagsüber werden durch die Arbeit des Gehirns im Sauerstoff-Stoffwechsel Substanzen produziert, welche die Neuronen in manchen Teilen des Gehirns (vor allem im Hirnstamm, Hippocampus und Hypothalamus) schädigen. In der NREM-Phase wirkt das Gehirn den Schädigungen entgegen und repariert die betroffenen Zellen.
Das passiert im Schlaf In der Einschlafphase befindet man sich in einem sehr leichten Schlaf, dem Stadium zwischen Wachsein und Schlaf, in dem die Hirnstromaktivität allmählich abnimmt. Auch in der nächsten Phase ist der Schlaf noch sehr leicht. Die Hirnaktivität geht von kürzeren Alpha- in längere Theta-Wellen über, im weiteren Verlauf erkennt man im EEG sogenannte K-Komplexe, wenn das Gehirn Reize von außen bemerkt, Schlafspindeln, die das Gehirn gegenüber Reizen von außen abschirmt, sowie weiterhin Theta-Wellen.
Der folgende, extrem tiefe Deltaschlaf ist durch seine langwelligen Hirnströme, die Deltawellen, gekennzeichnet. Die Schlafphasen sind nicht gleichmäßig über die Nacht verteilt, stattdessen dominiert zunächst der Deltaschlaf mit den langen Deltawellen, in der zweiten Hälfte der REM-Schlaf. In der ersten Schlafhälfte schüttet der Organismus Wachstumshormone aus, gleichzeitig wird die Freisetzung des Stress- hormons Cortisol reduziert. Die Hormonkurve kehrt sich in der zweiten Nachthälfte um, die Cortisolkonzentration steigt an und erreicht am Morgen ihren Höhepunkt.
Lernen im Schlaf? Ein Mythos lautet, dass man Lernstoff besser behalten würde, wenn man sich das Lehrbuch nachts unter das Kopfkissen lege – doch im Schlaf zu lernen, ist nicht möglich. Allerdings ist der erholsame Schlaf notwendig, damit Wissen gespeichert bleibt. Doch warum ist das so? Während des Schlafs werden die Verbindungen in der Hirnrinde gestärkt, auf denen das Langzeitgedächtnis basiert. Die Nervenzellen werden in einer bestimmten Reihenfolge aktiviert, langfristig miteinander verbunden und entsprechen dann einem bestimmten Gedächtnisinhalt.
Den entstandenen Zellverband bezeichnet man als neokortikale Repräsentation. Mit der Frage der Gedächtniskonsolidierung beschäftigte sich auch der deutsche Psychologe Jan Born. Er fand heraus, dass Cortisol als Gedächtnis-Saboteur fungiert. Während des Tiefschlafs manifestieren sich Erinnerungen demnach besser als während der REM-Phasen. Born und sein Doktorand Werner Plihal schlugen einen Ansatz vor, mit dem man posttraumatischen Belastungsstörungen unter Umständen vorbeugen könne: Nach einem traumatischen Ereignis sei es möglicherweise sinnvoll, Cortisol zu verabreichen, damit sich das Erlebte nicht ins Gedächtnis einbrenne – eine Idee, die noch weiterer Forschung bedarf.
Cortisol ist ein Gedächtnis-Saboteur: Was bedeutet das fürs Lernen und posttraumatische Belastungsstörungen?
Kino im Kopf Im Traum erleben Schlafende die verrücktesten Dinge. 80 Prozent aller Menschen können sich an ihre Träume erinnern, doch auch wer sich nicht erinnert, träumt in der Nacht. Nicht ausschließlich, aber vor allem in der REM-Phase befinden sich Schlafende in einer komplexen Welt aus den verschiedensten Geschehnissen, die häufig jenseits der Gesetze von Logik und Physik stattfinden. Dennoch fühlt es sich oft für Träumer so an, als wäre das, was im Schlaf geschieht, real. Der Neurologe Michel Jouvet (1925 – 2017) vertrat die Auffassung, dass die Szenen der Träume zur Programmierung der Gehirnzellen gehören. Laut Jouvet ruhen bestimmte Neuronen im Schlaf und verhindern das kritische Bewusstsein. Daher nehmen Schlafende Widersprüche oder ungewöhnliche Ereignisse nicht als unlogisch wahr.
Reise ins Unbewusste Der Psychoanalytiker Siegmund Freud (1856 – 1982) bezeichnete den Traum als Hüter des Schlafes, als transitorische Psychose, als Art von allnächtlicher Verrücktheit sowie als den Königsweg zum Unbewussten. Traumbilder hielt er für den Ausdruck von unbewussten, unterdrückten Wünschen, die Schlafenden in maskierter Form begegnen – schließlich enthalten sie oft Verbotenes wie das sexuelle Begehren des gegengeschlechtlichen Elternteils. Im Traum würde dieser Verdrängungsmechanismus nur abgeschwächt agieren, somit sei die Traumdeutung eine Möglichkeit, Ängste, Hoffnungen und Botschaften der Menschen aufzudecken. Um einen Traum zu interpretieren, ist es laut Freud erforderlich, die reale Vorgeschichte des Träumers zu kennen. Freuds Werk „Die Traumdeutung“ aus dem Jahr 1900 enthält etwa 200 untersuchte Träume, davon sind 50 seine eigenen gewesen.
Regisseur der TräumeWährend des Schlafs weiß man, dass man träumt und kann die Inhalte sogar beeinflussen? Eine traumhafte Vorstellung – doch dieses Phänomen existiert tatsächlich und wird als luzider Traum oder Klartraum bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen Traum, in dem der Träumende sich darüber bewusst ist, dass er träumt. Der Schlafende kann aktiv in das Traumgeschehen eingreifen und erinnert sich nach dem Aufwachen an den Traum. Australische Wissenschaftler haben das Phänomen untersucht und sind davon überzeugt, dass man Klarträume lernen kann. Dazu wendeten sie drei Methoden an: Beim Realitätstest stellt man sich mehrmals täglich die Frage, ob man träumt oder ob man sich im Wachzustand befindet.
Die Idee des Realitätschecks ist, dass man diese Routine auf den Schlaf überträgt. Bei der „Wake Back to Bed“-Methode lässt man sich fünf bis sechs Stunden nach dem Einschlafen wecken, bleibt einige Zeit wach, bevor man wieder einschläft. Die mentale Wachsamkeit soll in der weiteren Schlafphase die Wahrscheinlichkeit eines luziden Traums fördern. Die dritte Methode besteht darin, sich vor dem Einschlafen den Satz: „Das nächste Mal, wenn ich träume, werde ich mich daran erinnern, dass ich träume.“ laut vorzusprechen. Das Experiment ergab, dass alle drei Techniken zusammen am effektivsten funktionierten, wenn es darum ging, Klarträume zu induzieren. Die Fähigkeit des luziden Träumens lasse sich laut Angaben der Forscher erlernen, es sei dazu weder eine Vorerfahrung noch eine natürliche Veranlagung erforderlich.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/2020 ab Seite 54.
Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin