Das Mikrobiom des Darmes ist von entscheidender Bedeutung für unsere Gesundheit. Überfütterung verträgt es allerdings nicht. © wildpixel / iStock / Getty Images Plus

Neue Hypothese | Nahrungsüberangebot

ADIPÖSE BAKTERIEN SORGEN FÜR UNGLEICHGEWICHT IM MIKROBIOM

Früher waren Bakterien der Feind. Heute ist das Mikrobiom unser Freund. Um die Gemeinschaft der Bakterien und Mikroben innerhalb unseres Körpers bei Laune zu halten, darf man sie allerdings nicht überfüttern: Dann geraten sie aus dem Gleichgewicht.

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Diesen ganz neuen Forschungsansatz verfolgt zurzeit ein Forscherteam des Metaorganismus-Sonderforschungsbereichs der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er stellt damit eine fundamental andere Erklärung für die Hintergründe einiger zivilisationsbedingter Krankheiten dar – und eröffnet den Blick auf neue Lösungen.

Der Hintergrund der neuen ökologisch-evolutionären Theorie: Ein unnatürlich üppiges Nährstoffangebot entkoppelt Bakterien von ihrem Partner und zerstört so die feine Balance der Mikrobengesellschaft. Und weil Bakterien und Co. die eigentlich für sie vorgesehenen Rückstände nicht mehr verputzen, bleiben die Abfälle liegen – und begünstigen so die Entstehung von Erkrankungen. Das bildet, kurz zusammengefasst, der Kern der neuen Theorie.

Das Mikrobiom – vor allem das des Darms - gewinnt in der letzten Zeit immer mehr an wissenschaftlicher Bedeutung: Kaum ein ernstzunehmender Forscher leugnet dessen Bedeutung. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass Störungen in der gesunden Zusammensetzung mit zivilisationsbedingten Krankheitsbildern verknüpft sind: Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa beispielsweise. Das Mikrobiom aus dem Takt bringen auch Antibiotikabehandlungen, übertriebene Hygiene und einseitige Ernährung. Wegen der komplexen Problematik hat sich bisher kein Forscherteam ernsthaft an deren Beantwortung herangetraut. Doch die Kieler Wissenschaftler stellten nun eine Hypothese auf, nach der überfütterte Darmbakterien ihre eigentlichen Aufgaben im Ökosystem nicht mehr erfüllen. Salopp gesagt, futtern diese lieber Teile aus dem überreichlichen Nahrungsangebot als diejenigen Stoffe, die sie eigentlich fressen sollten. Dadurch entkoppeln sich die Darmbakterien von dem uralten Beziehungssystem mit ihrem Wirtsorganismus, das sich im Laufe der Evolution gebildet hat.

Co-Autor Thomas Bosch erklärt das so: „Diese Überfütterung der Bakterien fördert das Wachstum insgesamt, dazu vermehren sich bestimmte Bakterienarten zu Ungunsten anderer Mitglieder des Mikrobioms verstärkt und unkontrolliert.“ Durch die gestörte Interaktion zwischen Bakterien und Wirtsorganismus tritt eine sogenannte Dysbiose ein.

Bei der Aufstellung ihrer These half den Forschern ein Beispiel aus der Meeresbiologie, denn Untersuchungen zum Korallensterben deuten auch auf die Nährstoffverhältnisse im Meer als Ursache des Problems hin. Wenn nämlich im Wasser ein unnatürlich großes Nährstoffangebot auftritt, beginnen die mit den Korallen vergemeinschafteten Bakterien dieses reichhaltige Angebot zu nutzen – sie ernähren sich dann nicht mehr von Stoffwechselprodukten des Wirtes, wie es eigentlich vorgesehen ist. Dadurch gerät die Balance des Korallen-Mikrobioms durcheinander und Krankheiten können entstehen: Die Forschergemeinschaft in Kiel erkennt dabei ein „universelles Prinzip, das weit über das sehr spezielle Beispiel der Korallen hinausgeht.“

Auch zivilisationsbedingte Faktoren könnten den Effekt der Überfütterung begleiten. Denn im Rahmen der menschlichen Evolutionsgeschichte war als Folge knappen Nahrungsangebotes immer mal wieder Fasten angesagt. Auch gelegentliche Durchfallerkrankungen sorgten wohl immer mal wieder für ein Reset des Mikrobioms. Diese Effekte könnten in gewissen Abständen dazu geführt haben, dass sich die Darmbakteriengemeinschaft wieder auf einen gesunden Normalzustand einpendelt. Das uralte System hat in der heutigen Welt an Bedeutung verloren, geben die Forscher zu bedenken.

Die Überfütterungs-Hypothese lässt nach Ansicht der Forscher eine Übertragung in künftige Therapien zu: Um das Mikrobiom wieder auszubalancieren und gezielt zu beeinflussen, könnten sich geänderte Ernährungsgewohnheiten lohnen. „Künftig“, so Mit-Autor Tim Lachnit, „werden wir uns zum Beispiel neben den bekannten gesundheitsfördernden Effekten des Fastens auch mit seinen Auswirkungen auf Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms und damit den Verlauf von Entzündungskrankheiten beschäftigen.“

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: www.wissenschaft.de  

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