Sie hat überall die Finger drin
17 Minuten
- 1Anatomie
- 2Hormonelle Steuerung
- 3Hypothyreose
- 4Kinderwunsch und Schwangerschaft
- 5Schilddrüsenhormone
- 6E-Learning Fragen
01. März 2020
Die Hormone der Schilddrüse sorgen dafür, dass dem Organismus genügend Energie für all seine Aktivitäten zur Verfügung steht, dass die Organe arbeiten können und der Stoffwechsel läuft. Auch für das Wachstum und die Reifung des ungeborenen im Mutterleib sind die Schilddrüsenhormone unerlässlich. Fehlen sie, führt das zwangsläufig zu einer Hemmung der körperlichen und geistigen Entwicklung. Lateinisch wird die Schilddrüse als Glandula thyreoidea bezeichnet. Da sie im Aussehen einem Schmetterling ähnelt, wird sie manchmal auch „Schmetterlingsorgan“ genannt.
Geschichtliches Die Schilddrüse und ihre Erkrankung wurden bereits bei den Pharaonen um 1500 v. Chr. erwähnt, zumindest gab es eine Therapieempfehlung mit „unterägyptischem Salz“ beim Kropf. Hippokrates bemerkte um 400 v. Chr. eine Häufung von Kropfbildungen bei Gebirgsbewohnern und Roger von Palermo dokumentierte um 1170 n. Chr. den Einsatz von Meerschwammextrakten in der Kropftherapie. Auch im Mittelalter tauchte die Schilddrüse auf. Im 16. Jahrhundert wurde sie von Leonardo Da Vinci gezeichnet und der Schweizer Arzt Paracelsus stellte den Zusammenhang zwischen Kropf und Kretinismus her. Mitte des 17. Jahrhundert erhielt die Schilddrüse vom englischen Arzt Thomas Wharton ihren medizinischen Namen „Glandula thyreoidea“. Am Ende des Jahrhunderts wurde von Frederick Ruysch vermutet, dass die Schilddrüse Substanzen ins Blut absondert. 1791 entfernte der französische Chirurg Pierre Joseph Desault vermutlich erstmals einen vergrößerten Schilddrüsenlappen.
Am Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in Braunalgen Jod entdeckt und vom Genfer Arzt Jean-Francois Coindet zum ersten Mal therapeutisch eingesetzt. 1840 veröffentlichte der deutsche Arzt Carl Adolph von Basedow „Exophthalmus durch Hypertrophie des Zellgewebes in der Augenhöhle“ und beschrieb die später nach ihm benannte Erkrankung „Morbus Basedow“, wobei der deutsche Neurologe Paul Julius Möbius 1886 die Schilddrüsenüberfunktion als Ursache dieser Symptomatik erkannte. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Operationstechnik an der Schilddrüse vom Schweizer Chirurgen Emil Theodor Kocher maßgeblich weiterentwickelt, wodurch die Mortalität von zunächst 50 Prozent drastisch reduziert werden konnte. Er erhielt 1909 den Medizin-Nobelpreis für seine Arbeiten über „Physiologie, Pathologie und Chirurgie der Schilddrüse“.
In den 1880er Jahren prägte der schottische Mediziner William Miller Ord den Begriff „Myxödem“ zur Beschreibung der Symptomatik bei Hypothyreose. Moritz Schiff konnte in Tierversuchen die Auswirkungen der Schilddrüsenentfernung nachweisen und daraus ableitend führte George R. Murray die erste Hormonersatztherapie mit Schilddrüsenextrakten von Schafen durch. Anfang des 20. Jahrhunderts, genauer 1912 veröffentlichte Hakaru Hashimoto, ein japanischer Pathologe und Chirurg, seine Entdeckung der Struma lymphomatosa und der später benannten Hashimoto-Thyreoiditis. Um 1915 extrahierte der amerikanische Biochemiker Edward Calvin Kendall aus getrocknetem Schilddrüsengewebe eine Substanz und gilt somit als Entdecker des Thyroxins. 1926 gelang Charles Robert Harington die Isolierung und Synthese des L-Thyroxins und das DL-Thyroxin-Präparat zur Behandlung von Schilddrüsenleiden unter dem Namen Thyroxin Henning® wurde vom pharmazeutischen Hersteller Dr. Georg Henning in Deutschland auf den Markt gebracht.
In den 1920er Jahren wurde jodiertes Speisesalz im Schweizer Kanton Appenzell und in den USA eingeführt und die Aufklärung der chemischen Struktur von Thyroxin gelang durch die Herren Harrington und Barger. 1942 erfolgte die erste Radio-Jod-Therapie bei Morbus Basedow. Die Thyreostatika Carbimazol und Thiouracil wurden Mitte des Jahrhunderts entwickelt. In den 1950er Jahren wurden zum ersten Mal eine Schilddrüsenszintigrafie sowie erstmals eine Schilddrüsensonografie durchgeführt und die Firma Höchst brachte das erste deutsche T3-Präparat Thybon® auf den Markt. Erst 1976 kam es zur Einführung von Jodsalz in Deutschland, das bis 1981 mit dem Hinweis versehen war „Nur bei ärztlich festgestelltem Jodmangel zu verwenden“.
Anatomie Die Schilddrüse befindet sich vorderseitig am Hals, knapp unterhalb des Schildknorpels des Kehlkopfes und beidseits der Luftröhre. Der Mittellappen liegt vor der Luftröhre und verbindet die beiden Hauptlappen (Lobus dexter glandulae thyroideae und Lobus sinister glandulae thyroideae). Ihr Gewicht beträgt bei gesunden Erwachsenen zwischen circa 18 Gramm bei Frauen und ungefähr 25 Gramm bei Männern. Bindegewebe grenzt das Schilddrüsengewebe ab. Die Capsula fibrosa umschließt sie nach außen und verbindet sie zugleich mit der Luftröhre (Trachea). Die Capsula serosa liegt innen direkt am Schilddrüsengewebe an. Die sogenannten Polgefäße sind für die arterielle Blutversorgung der Schilddrüse zuständig.
Die oberen entspringen beidseitig der oberen Halsschlagader, die unteren aus der Schlüsselbeinarterie. Nach ihrer Verzweigung und starken Verästelung sammelt sich das jetzt venöse Blut und fließt zum Herzen zurück. Die enge Lage zu den Stimmbändern und vor allem deren innervierende Nerven, die auf beiden Seiten unmittelbar hinter der Schilddrüse zur Kehlkopfmuskulatur verlaufen, erklärt auch, dass eine veränderte Stimmlage der Hinweis auf eine Schilddrüsenerkrankung sein kann. Fällt die nervale Innervation aus, kommt es zur Lähmung der Kehlkopfmuskeln, was zur Heiserkeit führt, ein beklemmendes Druckgefühl am Hals entstehen lässt oder sogar Atemnot verursachen kann. Die gesamte Schilddrüse ist auch an das Lymphgefäßsystem mit eingebetteten Lymphknoten angeschlossen. Die Lymphknoten werden als biologische Filterstationen hintereinander geschaltet.
Der Flüssigkeitsanteil, der in den Kapillaren filtriert und nicht wieder rückresorbiert wurde, gelangt passiv als Lymphflüssigkeit in die Lymphkapillaren, wird dann in den größeren Lymphgefäßen gesammelt und an die obere Hohlvene abgegeben. Kurz erwähnt seien hier noch die Nebenschilddrüsen (Glandulae parathyreoidea), meist vier an der Zahl, die linsengroß sind und sich an der Rückseite der Schilddrüse befinden. Sie sind Bildungsort des Parathormons, das für die Regulation des Calcium-Haushaltes verantwortlich ist und somit hauptsächlich den Knochenstoffwechsel, aber auch Nerven- und Muskelstoffwechsel beeinflusst. Histologisch befinden sich im Schilddrüsengewebe Follikelepithelzellen, die sogenannten Thyreozyten, die mit einem homogenen Kolloid gefüllt sind. Dieses Kolloid enthält die Thyreoglobuline, die die Speicherform der Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) darstellt. Die Follikel wiederum sind durch Bindegewebe voneinander getrennt, das netzartig von Arteriolen und Venolen durchsetzt ist. Die C-Zellen, auch parafollikuläre Zellen genannt, liegen dem Follikelepithel außen an und sind für die Synthese des Calcitonins als Gegenspieler des Parathormons verantwortlich.
Physiologische Aufgaben der Schilddrüsenhormone
Schilddrüsenhormone bewirken einen Anstieg des Energiestoffwechsels, den Anstieg der Körpertemperatur und die Reduktion des Körpergewichts durch Erhöhung des Grundumsatzes*. Zellwachstum Haut ↑, Haare ↑, Nägel ↑, Knochen ↑, Blutbildung ↑
Kohlenhydratstoffwechsel Blutzucker ↑, Gluconeogenese ↑, Glykogenolyse ↑
Eiweißstoffwechsel Proteinsynthese ↑
Fettstoffwechsel Lipolyse ↑, Fettsäuresynthese ↑, Cholesterinstoffwechsel ↑
Muskelstoffwechsel Muskelaufbau (anabol) ↑, Muskeltonus ↑
Gehirn / Nervensystem Neurotransmitterwirkung ↑, Leistungsfähigkeit ↑, Konzentrationsfähigkeit ↑, Merkfähigkeit ↑, Motivation ↑
Herz / Kreislauf Herzaktivität ↑, Herzfrequenz ↑, Blutdruck ↑
Sexualhormone Testosteronsynthese ↑, Estrogen- und Progesteronsynthese ↑, Fruchtbarkeit ↑, Libido ↑Wachstums, körperliche Entwicklung und geistige Reifung des Ungeborenen ↑
* Unter dem Grundumsatz versteht man den Energieumsatz in kJ eines absolut ruhenden und nüchternen Patienten bei thermischer Behaglichkeit.