Heiße Tage – Warum Hitze ein Gesundheitsrisiko ist
22 Minuten
- 1Temperatur als Gesundheitsrisiko
- 2Hitzeerkrankungen
- 3Allergien, UV, Ozon
- 4Risikogruppen
- 5Hilfe gegen Hitze
- 6Fortbildung
01. September 2023
Arzneimitteltherapie bei Hitze
Erhöhte Außentemperaturen haben einen Einfluss auf physiologische Abläufe im Körper und damit auf die Wirksamkeit und Sicherheit einer Arzneimitteltherapie. Wirkstoffe können durch hitzebedingte Anpassungsmechanismen des Körpers andersartig aufgenommen, verteilt, abgebaut und ausgeschieden werden. Dadurch sind zahlreiche Medikamente während Hitzeperioden in ihrer Wirkung verstärkt, ebenso ist das Nebenwirkungspotenzial oftmals erhöht.
Arzneimittel, deren Wirkung von Hitze beeinflusst wird
So ist Vorsicht bei transdermalen therapeutischen Systemen (TTS) geboten. Durch die hitzebedingte intensivierte Hautdurchblutung wird die Wirkstofffreisetzung verstärkt. Bei Schmerzpflastern (z. B. Fentanyl, Buprenorphin) geht eine schnellere und erhöhte Wirkstoffaufnahme mit der Gefahr einer Überdosierung einher, die sich bei den Opioiden mit einer verlangsamten Atemfunktion und kognitiven Problemen zeigen kann. Ebenso können sich bei anderen TTS verstärkte Nebenwirkungen einstellen (z. B. bei Rivastigmin-TTS u.a. Schwindel, Durchfall, Stürze oder bei Rotigotin-TTS u.a. Schläfrigkeit, Ödeme, Sturzneigung).
Andererseits können sich die Pflaster durch eine starke Schweißabsonderung vorzeitig von der nassen, verschwitzten Haut ablösen, sodass eine ausreichende Behandlung unter Umständen nicht gewährleistet ist. Auch insulinpflichtige Diabetiker müssen aufpassen. Durch den bei hohen Temperaturen erhöhten Blutfluss wird das Insulin schneller als üblich im Körper verteilt und aufgenommen. Das hat eine verstärkte Insulinwirkung und damit ein erhöhtes Risiko für eine Hypoglykämie zur Folge (Dieser Effekt wird bei Normalinsulin, nicht bei retardiertem Insulin beobachtet).
Hingegen werden Nieren und Leber bei extremer Hitze etwa um ein Drittel weniger durchblutet. Somit können oral verabreichte Substanzen mit hohem First-Pass-Effekt, das heißt mit einer hohen hepatischen Extraktionsrate (z. B. trizyklische Antidepressiva, Betablocker), bei hohen Temperaturen stärker bioverfügbar sein. Beispielsweise steigt bei Propranolol die Plasmakonzentration um 67 Prozent an, was mit Bewusstseinsstörungen, Atembeschwerden, starkem Blutdruckabfall und Störungen der Herz-Kreislauf-Funktion verbunden ist.
Bei den Nieren geht die schlechtere Durchblutung mit einer Verringerung der Nierenfunktion einher, weshalb gegebenenfalls eine Dosisanpassung von Arzneimitteln mit vorwiegend renaler Ausscheidung aufgrund der veränderten Clearance-Verhältnisse erforderlich ist (z. B. NSAR, Diuretika). Arzneimittel, die die körpereigene Thermoregulation verändern Andererseits beeinflussen viele Wirkstoffe die verschiedenen Mechanismen zur körpereigenen Thermoregulation negativ, wodurch die Hitzebelastung für den Organismus verstärkt wird.
Beispielsweise können Arzneimittel die Schweißsekretion hemmen (z. B. H1-Antihistaminika (vor allem der ersten Generation), Anticholinergika, trizyklische Antidepressiva), die Vasodilatation der Hautgefäße unterbinden (z. B. Betablocker), eine kutane Vasokonstriktion auslösen (z. B. Sympathomimetika) oder über zentrale Mechanismen die Körperkerntemperatur erhöhen (z. B. Neuroleptika, Antidepressiva) beziehungsweise erniedrigen (z. B. Opioide).
Zudem verändern einige Wirkstoffgruppen den Flüssigkeitshaushalt des Körpers, indem sie beispielsweise das Durstgefühl vermindern (z. B. ACE-Hemmer, Sartane, Parkinsonmittel) oder eine Dehydrierung auslösen (z. B. Diuretika). Vor allem Diuretika fördern bei Hitze Elektrolytentgleisungen, was wiederum nicht nur das Risiko für Hitzeerkrankungen, sondern auch für Herzrhythmusstörungen, Thrombosen und Embolien erhöht.
Grundsätzlich zählen Diuretika und Antihypertonika (z. B. Betablocker, ACE-Hemmer, Calciumantagonisten) bei Hitze zu problematischen Wirkstoffen. Sie können den durch hohe Umgebungstemperaturen bereits erniedrigten Blutdruck so weit absenken, dass die Betroffenen mit Schwindel und Bewusstlosigkeit reagieren. Diskutiert wird zudem, ob einige Substanzen bei Hitze auch das Risiko für einen Herzinfarkt steigern (z. B. Betablocker, ASS). Darüber hinaus sind Substanzen mit einer sedierenden Wirkung (z. B. Benzodiazepine, Z-Substanzen, Antihistaminika, Antidepressiva) besonders kritisch, da sie die Wahrnehmung einer Hitzeerschöpfung herabsetzen können.
Nähere Informationen zur korrekten und sicheren Arzneimittel-Anwendung bei Hitzewellen erhalten Sie von Klinischen Pharmakologen der Uniklinik Heidelberg, beispielsweise in der Heidelberger Hitze-Tabelle. Sie listet Arzneistoffe mit potenziellem Einfluss auf die Temperaturregulation und den Volumenstatus in Hitzewellen.
Prinzipiell sollten Sie Kunden, die zum vulnerablen Personenkreis zählen, empfehlen, in engem Kontakt mit ihrem Arzt zu bleiben. Er muss Risikopatienten während Hitzewellen sorgsam überwachen, um organische Veränderungen zu erkennen und kritische Medikamente gegebenenfalls in der Dosis zu reduzieren oder ganz abzusetzen.
Während Hitzewellen sind Risikopatienten sorgsam zu überwachen, um organische Veränderungen zu erkennen und kritische Medikamente gegebenenfalls in der Dosis zu reduzieren oder ganz abzusetzen. Arzneimittel dürfen bei Hitze nie eigenmächtig, sondern immer nur in Absprache mit dem Arzt abgesetzt werden.
Richtiges Verhalten bei Hitze
Damit es nicht zu gefährlichen gesundheitlichen Belastungen oder Hitzeerkrankungen kommt, können Sie Ihren Kunden zudem noch folgende Hitze-Tipps geben:
- Hitze meiden
Gehen Sie während der heißesten Tageszeit (etwa 11 bis 18 Uhr) nicht nach draußen. Halten Sie sich nicht in der prallen Sonne oder in parkenden Autos auf. Verlegen Sie Ihre Tätigkeiten im Freien lieber auf die kühleren Morgen- und Abendstunden. Das gilt vor allem für sportliche Aktivitäten. - Körper kühl halten
Tragen Sie im Freien eine Kopfbedeckung sowie leichte, luftige, helle Kleidung. Diese Maßnahmen schützen ebenso wie das Aufsetzen einer Sonnenbrille und die Anwendung von Sonnencremes zudem noch vor UV-Strahlung. Kühlen Sie Ihren Körper mit einer lauwarmen (nicht kalten) Dusche. Auch lauwarme Arm- und Fußbäder wirken entlastend. Ebenso verschaffen kühlende Körperlotionen oder ein Thermalwasserspray Linderung. Trocknen Sie sich nicht vollständig ab, sondern lassen Sie das Wasser auf der Haut verdunsten. - Genügend trinken
Auf ausreichende und regelmäßige Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr achten. Trinken Sie zwei bis drei Liter Flüssigkeit (z. B. Wasser, Fruchtschorlen, Kräuter- und Früchtetees) täglich, am besten gleichmäßig – auch wenn Sie keinen Durst verspüren – über den Tag verteilt. Bei körperlicher Arbeit sind pro Stunde zwei bis vier Gläser (à 150 bis 250 Milliliter) eines kühlen, aber nicht zu kalten Getränks ratsam. Verzichten Sie auf koffein- oder alkoholhaltige Getränke. Sie wirken gefäßerweiternd und damit blutdrucksenkend. Leiden Sie unter Vorerkrankungen wie beispielsweise Herz-Kreislauf- oder Nierenerkrankungen stimmen Sie die richtige Trinkmenge mit Ihrem Arzt ab. - Leichte Kost essen
Bevorzugen Sie kleine Portionen leicht verdaulicher Mahlzeiten mit viel Obst, Gemüse und Salat. Wasserreiche (z. B. Gurken, Wassermelone, Tomaten) und salzhaltige (z. B. Brühe, Salzstangen) Lebensmittel sind empfehlenswert. - Wohnung kühl halten
Lüften Sie nur dann, wenn es draußen kühler als drinnen ist, also morgens und abends. Tagsüber sollten die Fenster geschlossen bleiben. Verdunkeln Sie die Räume zudem tagsüber mit Vorhängen, Jalousien oder Rollläden. Nachts halten nasse Handtücher oder Bettlaken vor den Fenstern die Räume kühl. Wärmeabgebende Geräte (z. B. Fernseher, Kaffeemaschine, Computer) ausschalten, wenn sie nicht in Benutzung sind. Ein Ventilator hilft, den Luftzug zu verbessern (bis 35 °C).
Vorsicht bei Medikamenten
Achten Sie besonders während Hitzeperioden auf die Wirkung Ihrer Medikamente. Hitze hat einen Einfluss auf physiologische Abläufe im Körper und damit auf Wirkung und Nebenwirkungen einer Arzneimitteltherapie. Zudem beeinflussen einige Medikamente die Thermoregulation des Körpers negativ. Fragen Sie Ihren Hausarzt, ob bei Hitze die Dosis Ihrer Medikamente angepasst werden muss oder sogar eine Veränderung des Medikamentenplans notwendig wird.
Beachten Sie auch die Lagerungshinweise Ihrer Medikamente. Bei höheren Temperaturen kann ihre Wirksamkeit schnell nachlassen oder sie werden komplett wirkungslos. Offensichtlich wird dies beispielsweise durch Schmelzen von Zäpfchen oder Explodieren von Dosieraerosolen unter Sonneneinstrahlung.
Die meisten Arzneimittel sind bei Raumtemperatur und damit bei Temperaturen zwischen 15 und 25 °C lagerungsfähig. Auf der Packung findet sich dann entweder die Angabe „Nicht über 25 °C lagern“ oder kein expliziter Lagerungshinweis, was einer empfohlenen Lagerung bei Raumtemperatur gleichkommt. Ist eine Lagerung im Kühlschrank erforderlich, ist der Lagerhinweis „Zwischen 2 bis 8° C lagern“ auf der Packung angegeben.
Beratungstipps
Vermeiden Sie, dem Kunden den Tipp zu geben, sein Medikament bei Hitze „kühl“ zu lagern. Es besteht die Gefahr, dass er diesen Ratschlag mit einer Lagerung im Kühlschrank verwechselt. Eine vermeintlich gut gemeinte kühlere Lagerung als erforderlich – beispielsweise im Kühlschrank oder sogar Gefrierschrank – tut nicht jedem Präparat gut. Nicht jeder Wirkstoff oder jede Arzneimittelform verträgt die niedrigen Temperaturen. Beispielsweise werden Hormonpräparate wie Insulin durch Einfrieren unbrauchbar.
Nicht nur, dass das Peptidhormon bei Temperaturen unter Null in kleine Proteinsequenzen zerfällt und damit seine Wirkung verliert. Zudem bilden sich feine Haarrisse in den Glasfläschchen, sodass das Lösungsmittel austreten kann. Eine veränderte Insulinkonzentration sowie ein Eindringen von Keimen ins Präparat sind unerwünschte Folgen. Besser ist der Hinweis: „Schützen Sie Ihr Medikament vor Hitze“. Dann kann mit dem Kunden konkret über die richtige Lagerung gesprochen werden. Fragen Sie Ihren Kunden auch, wie schnell er mit dem Medikament zu Hause ist.
Hat er einen längeren Weg, kann es bei Hitze sinnvoll sein, für Medikamente, die normalerweise bei Raumtemperatur gelagert werden, aber sehr empfindlich sind (z. B. Zäpfchen), eine Kühltasche für den Transport anzubieten. Bei Medikamenten, die kühlkettenpflichtig sind oder im Kühlschrank gelagert werden müssen, sollte der gekühlte Transport selbstverständlich sein. Machen Sie Ihre Kunden aber darauf aufmerksam, dass ein Kontakt der Präparate mit den Kühlakkus wegen der Gefahr des Gefrierens zu vermeiden ist. Ebenso darf Kühlware im Kühlschrank nicht die Rückwand berühren, da sie dort gefrieren kann.
Die Autorin versichert, dass keine Interessenkonflikte im Sinne von finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten bestehen, die von den Inhalten dieser Fortbildung positiv oder negativ betroffen sein könnten.
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