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Hier zu Lande leiden etwa 250 000 Menschen an MP.

WENN DER BAUCH DEN KOPF KRANK MACHT

Morbus Parkinson ist eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen. Neuere Theorien zur Genese lenken die Aufmerksamkeit nun auf den Darm.

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Kennen Sie das auch? Besorgniserregende Berichte über die ständig steigende Zahl neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer in unserer alternden Gesellschaft? Das Parkinsonsyndrom beispielsweise umfasst mehrere Krankheiten mit gleichen Leitsymptomen aber unterschiedlicher Genese: Dabei sind die Ursachen der meisten Fälle (75 Prozent) idiopathisch, also schlicht unklar – man spricht dann vom eigentlichen Morbus Parkinson (MP).

Über viele Jahre hinweg konzentrierte sich die Ursachenforschung naheliegenderweise auf pathologische Veränderungen in den Gehirnen der Parkinsonpatienten: Man findet hier typischerweise so genannte Lewy-Körperchen in den Nervenzellen, in denen unter anderem das Protein alpha-Synuclein angereichert ist. Solche pathologischen Aggregate gelten als wahrscheinliche Ursache für die zellschädigende Wirkung bei verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen (so genannten Synucleinopathien) und führen bei MP letztlich zum Untergang dopaminerger Neurone in der Substantia nigra und damit zu den motorischen (und subtilen kognitiven) Symptomen.

Neben den motorischen Leitsymptomen finden sich bei MP aber noch eine Reihe weiterer Krankheitsmerkmale, die oberflächlich betrachtet scheinbar nichts mit der Hirnerkrankung selbst zu tun haben. Hierzu gehören Riechstörungen, die stets bereits Jahre vor einer MP-Erkrankung auftreten, sowie Darmträgheit.

Vor einigen Jahren wurden nun bei MP-Patienten sowohl im Riechkolben (Bulbus olfactorius), dem parasympathischen Nervus vagus als auch im enterischen Nervensystem (ENS), das die Darmfunktion steuert (bestehend aus Plexus myentericus (Auerbach) und Plexus submucosus (Meissner), die oben bereits beschriebenen Lewy-Körperchen entdeckt. Daraus entwickelten die Entdecker um den deutschen Anatom Heiko Braak die nach ihm benannte Braak-Hypothese, nach der MP nicht primär im Gehirn, sondern im Riechkolben und/oder im Darm (ENS) seinen Ausgangspunkt nimmt.

Da es sich hier in beiden Fällen um neuronale Strukturen mit Kontakt zur Außenwelt handelt, wird spekuliert, dass Pathogene wie Gifte, Viren oder Bakterien möglicherweise MP auslösen können: Diese könnten von Nervenendigungen aufgenommen werden und dann über retrograden Transport innerhalb der Nervenfasern zum Beispiel vom ENS über den Nervus vagus bis ins Gehirn transportiert werden und dort schließlich die bekannten pathologischen Schädigungen hervorrufen.

Diskutiert werden hier aktuell Prion-artige Pathomechanismen, bei denen Proteine wie etwa das alpha-Synuclein in anormale und dadurch pathogene Konformationen überführt werden. Sollten sich diese Hypothesen bestätigen, würde dies möglicherweise nicht nur zu einem Verständnis des MP, sondern auch einer ganzen Reihe weiterer neurodegenerativer Erkrankungen führen und so neue Therapieansätze eröffnen – darauf hoffen Sie sicher auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/12 auf Seite 12.

 


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