Nicht nur mit dem Stock, sondern auch durch Klicksonar können sich blinde Menschen orientieren. © diego_cervo / iStock / Getty Images Plus

Echoortung | Neurostudie

WENN DAS GEHIRN SICH SELBST UMPROGRAMMIERT

Die extreme Anpassungsfähigkeit des Gehirns erstaunt Wissenschaftler immer wieder. So fand man jetzt heraus, dass blinde Menschen, die sich per Echoortung in ihrer Umgebung orientieren, Geräusche ähnlich verarbeiten wie Sehende das Licht.

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Klettverschluss, Lotuseffekt, Echoortung - der Mensch bediente sich schon öfters an genialen Patenten der Natur. Wenn Fledermäuse auf Beutezug gehen, ist es meist Nacht. Sie orientieren sich in der Dunkelheit mittels Ultraschall und erstellen in ihrem Gehirn eine lückenlose Kartierung ihrer Umgebung, in der sie zielsicher ihre Beutetiere finden. Diesen Mechanismus kopierte der Mensch, indem er ihn zum Wirkprinzip des Radargerätes, des Echolotes und sogar eines Blindenstocks mit Ultraschallsensoren machte.

Doch nachahmen lässt sich die Echoortung nicht nur für Geräte. In den 1990er Jahren erfand der blinde Daniel Kish in Amerika das „Klicksonar“: Nicht sehende Menschen, die für diese Methode begabt sind, schnalzen und klicken beim Gehen mit der Zunge und erkennen anhand des reflektierten Schalls Hindernisse in ihrer Umgebung. Inzwischen werden auch in Deutschland immer mehr Blinde in dieser Methode ausgebildet.

Auf welche Weise diese neuronale Karte im Gehirn abgebildet wird, wollten jetzt Liam Norman und Lore Thaler von der Durham University wissen und untersuchten für ihre Studie den primären visuellen Cortex. Bei sehenden Menschen verarbeitet diese Hirnregion in die Retina einfallende Lichtreize. Die Neuronen in diesem Bereich stellen dabei eine Art räumliche Karte unserer Umgebung dar: Einfallendes Licht von Punkten, die im Raum nebeneinander liegen, aktivieren auch nebeneinanderliegende Punkte im Gehirn. Thaler und Norman stellten sich die Frage, ob echoortende Blinde die räumliche Zuordnung im visuellen Cortex nutzen, um nicht Licht, sondern Echos zu verarbeiten.

Um das herauszufinden, spielten die Wissenschaftler 15 Probanden Klicklaute vor, die von einem Gegenstand an jeweils unterschiedlichen Positionen im Raum reflektiert wurden. Mitglieder der Gruppe waren dabei Sehende sowie echoortende und nicht im Klicksonar geschulte Blinde.

Die Magnetresonanztomografie half dann zu zeigen, was im Gehirn der Probanden passierte: Tatsächlich lösten die Echos bei echoortenden Binden exakt dieselben Aktivierungsmuster aus, wie sie bei sehenden Menschen durch visuelle Reize ausgelöst wurden: Ihr visueller Cortex kartiert Geräusche, genau wie er es bei Sehenden mit Licht tut. Bei den Sehenden und auch bei den nicht zum Klicksonar fähigen blinden Probanden zeigte sich dieser Zusammenhang dagegen nicht. Blindsein reicht also nicht aus, damit sich der visuelle Cortex auf die Verarbeitung anderer Reize spezialisiert. Je stärker die Aktivierungsmuster im Gehirn der echoortenden Blinden der von Sehenden bekannten neuronalen Kartierung glichen, desto besser konnten sie auch die Position des Gegenstandes im Raum erkennen.

Damit belegt ist wieder einmal die erstaunliche Flexibilität des menschlichen Gehirns: Es kann sich selbst umprogrammieren. Allerdings muss es dafür, wie bei vielen anderen Dingen, erst einmal trainiert werden.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: Apotheke adhoc  

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