Viren
WAS KÖNNEN EIGENTLICH VIREN?
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Das Wort Virus stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "Gift" oder "Schleim". Erstmals verwendete es der römische Medizinschriftsteller Aulus Cornelius Celsus im ersten Jahrhundert vor Christus. Er beschrieb damit Tollwut-infizierten Speichel. Über die Jahrhunderte zog man den Begriff immer wieder heran, um ansteckende Erkrankungen zu benennen. Doch erst seit Ende des 19. Jahrhunderts sind die kleinen biologischen Einheiten bekannt. Als Lebewesen gelten Viren nicht, denn von den wichtigen Kriterien des Lebens erfüllen sie nicht alle. Zwar enthalten sie einen genetischen Bauplan und können sich durch Mutation anpassen. Da sie jedoch nicht aus Zellen bestehen, haben sie kein Zellplasma und dadurch keine Mitochondrien und Ribosomen. Zur Reproduktion und zum Stoffwechsel sind sie damit selbst nicht fähig, sie benötigen eine Wirtszelle. So gelten sie als "dem Leben nahestehend".
Ein Virus kann zwei Zustandsformen annehmen: Entweder es befindet sich in einer Wirtszelle und nutzt die dortigen Strukturen zur Replikation. Oder es befindet sich außerhalb einer Wirtszelle, dann spricht man korrekterweise von einem Virion.
Kompakte Strukturen, komplexe Unterscheidung
Viren sind mit 15 bis 440 Nanometern Größe winzig. Sie haben ihre Bestandteile auf das Nötigste zusammengeschrumpft: Lediglich eine Art von Nukleinsäure als Erbgut und eine Verpackung besitzen sie, teilweise auch Enzyme, die sie zur Replikation benötigen. Die meisten Viren haben als Außenbegrenzung ein Kapsid aus Eiweißen. Das Influenza-Virus nutzt stattdessen ein Ribonukleoprotein, in dem auch die Erbinformation eingebaut ist. Einige Viren werden zusätzlich von einer Virushülle umkleidet, einer Lipiddoppelschicht mit Membranproteinen. Daran, ob sie diese Schicht besitzen, unterscheidet man Viren in behüllte und unbehüllte.
Auch anhand der enthaltenen Erbsubstanz und der Art und Weise, wie sie diese in Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) umwandeln, lassen Viren sich einteilen. Diese Baltimore-Klassifikation unterscheidet:
• dsRNA: Doppelstrang-DNA-Viren
• (+)ssDNA: Einzelstrang-DNA-Viren
• dsRNA: Doppelstrang-RNA-Viren
• (+)ssRNA: Einzelstrang-RNA-Viren
• (-)ssRNA: Einzelstrang-RNA-Viren
• (+)ssRNA-RT: Doppelstrang-RNA-Viren, die mittels Reverser Transkriptase ein DNA-Zwischenstadium annehmen (Retroviren)
• dsDNA-RT: Doppelstrang-DNA-Viren, die mittels Reverser Transkriptase ein RNA-Zwischenstadium annehmen
Bei Einzelstrang-Viren gibt das + an, dass das Erbgut bereits die benötigten Basenpaare enthält. Ein - bedeutet, das Erbgut enthält die komplementären Basenpaare, die eigentliche Erbinformation muss daraus ergänzend abgelesen werden. Einzelstrang-Erbgut wird durch ss (single-stranded), Doppelstränge durch ds (double-stranded) dargestellt.
Die dritte Möglichkeit der Virus-Einteilung ähnelt der für Pflanzen und Tiere: Man kann Viren in Familien, Gattungen und Arten klassifizieren. Aus allen drei Merkmalen ergibt sich die Beschreibung eines Virus. SARS-CoV-2 ist beispielsweise ein behülltes (+)ssRNA-Coronavirus. Fieberbläschen an den Lippen hingegen entstehen durch ein behülltes dsDNA-Humanes Herpesvirus. Die Art des Virus ist für seine Behandlung und für seine Reaktion auf Desinfektionsmittel ausschlaggebend.
Virusvermehrung
Nachdem wir nun wissen, wie ein Virus aufgebaut ist, schauen wir uns an, wie es sich in der Wirtszelle vermehrt. Das Virus dockt zunächst an einer spezifischen Wirtszelle an. Es erkennt die Zelle an deren Oberflächenstrukturen (Adsorption). Anschließend bringt das Virus sein Erbmaterial in die Zelle ein (Injektion). Bei Bakterien injiziert das Virus seine Nukleinsäure, bei höheren Tieren wird das komplette Virus durch Endozytose eingeschleust und anschließend seine Hülle aufgelöst (uncoating). Das zu reproduzierende Material wird in den Zellkern eingebracht und dort die Proteinbiosynthese der Wirtszelle genutzt, um die Bestandteile neuer Virionen herzustellen (Latenzphase). Bei einigen Viren wird die Nukleinsäure durch das Enzym Reverse Transkriptase umgeschrieben. Es macht aus der einsträngigen Virus-RNA eine doppelsträngige DNA. Die angepasste Erbinformation wird nun durch die Integrase in die Erbinformation des Wirts eingesetzt. So liest die Wirtszelle die Baupläne der Virusbestandteile ab und stellt sie her. Das Enzym Protease fügt die Einzelteile zu ganzen Viren zusammen (Morphogenese). Die neuen Virionen werden entweder durch Auflösen der Wirtszelle (Lyse) freigesetzt, oder sie werden aus der intakten Zelle ausgeschleust (Virusknospung). Antivirale Arzneistoffe können dabei an verschiedenen Stellen der Virusvermehrung eingreifen.
Attachment-Inhibitoren (noch in Untersuchung) und Korezeptor-Antagonisten (Maraviroc) verhindern das anheften des Virus an die Wirtszelle.
Fusionsinhibitoren (Enfuvirtid) verhindern, dass Virusülle und Zellmembran verrschmelzen, so gelangt das Virus nicht in die Wirtszelle.
Nicht-nukleosidanaloge Reverse Transkriptase-Hemmer (Nevirapin) verhindern die Transkription der Virus-RNA in DNA.
Nukleosidanaloge Reverse Transkriptase-Hemmer (Zidovudin) werden anstelle eines DNA-Bestandteils eingebaut und führen so zum Kettenabbruch bei unvollständiger DNA.
Integrase-Hemmer (Raltegravir, Elvitegravir, Dolutegravir) unterbinden den Einbau der Virus-DNA in die Wirtszell-DNA.
Proteaseinhibitoren (Saquinavir) schließlich verhindern den Zusammenbau der Virusbestandteile zu einem neuen Virion.
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Zellparasiten nutzen
Die pathogene Wirkung von Viren beruht auf der Zerstörung und dem Funktionsverlust der Wirtszellen. Im Beispiel von HIV wären das T-Lymphozyten, wodurch nach und nach ein Funktionsverlust des Immunsystems eintritt. Auch entzündliche Immunreaktionen tragen zu den Beschwerden durch die Infektion bei. Allerdings sind Viren nicht nur schädlich, sie bieten auch therapeutischen Nutzen
Virale Vektoren spielen eine wichtige Rolle in der Gentherapie. Um das Wirkstoff-Gen in die erkrankten Zellen einzuschleusen, benötigt man ein Transportvehikel, das die spezifischen Strukturen der Zielzellen erkennt. Hierzu eignen sich Viruskapside gut. Sie werden statt ihrer eigenen Erbsubstanz mit dem therapeutischen Genabschnitt bestückt und schleusen diesen in die Körperzelle ein. Dort ersetzt er defekte Erbinformationen.
Mit Viren können aber sogar Infektionen aktiv bekämpft werden. Bakteriophagen sind Viren, die auf Bakterien spezialisiert sind, sie sind in der Lage, Bakterien zur Replikation zu nutzen und dabei zu zerstören. In der Lebensmittelindustrie werden sie schon lange verwendet. Auch die Medizin macht sich diese Eigenschaft zu Nutze. Mit einer Phagentherapie können pathogene Bakterien zielgenau, nebenwirkungsarm und ohne Resistenzentwicklung bekämpft werden. Die Entwicklung entsprechender Präparate erfolgte im letzten Jahrhundert vor allem in Russland und Georgien. Während die westliche Welt an Antibiotika forschte, wurde dieses Wissen im Kalten Krieg nicht mit der damaligen Sowjetunion geteilt. Auf sich allein gestellt, entwickelten die ehemaligen UdSSR-Staaten ihre eigene, möglicherweise überlegene, antibakterielle Therapie. In Deutschland wurden hingegen erst 2017 – im Zuge der verschärften Resistenzlage antibiotischer Wirkstoffe – klinische Studien mit Bakteriophagen genehmigt, um Wirksamkeit und Verträglichkeit zu untersuchen und standardisierte Herstellungsverfahren zu erarbeiten.
Gesa Van Hecke,
PTA und Redaktionsvolontärin
*Grafiken: © Gesa Van Hecke / Umschau Zeitschriftenverlag GmbH
Quellen:
https://www.synthetische-biologie.mpg.de/17480/was-ist-leben
https://de.langenscheidt.com/latein-deutsch/virus
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/influenzaviren/34031
https://flexikon.doccheck.com/de/2019-nCoV
https://flexikon.doccheck.com/de/Virus
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2003/daz-34-2003/uid-10471
https://www.br.de/wissen/antibiotika-antibiotikum-multiresistente-keime-resistenzen-bakteriophagen-100.html
„Was können eigentlich Viren?”