Rinde © Heike Rau / fotolia.com
© Heike Rau / fotolia.com

Acetylsalicylsäure

VON DER WEIDENRINDE ZUM MODERNEN ANALGETIKUM

Kunden, die ein Schmerzmittel für die Selbstmedikation verlangen, gehören zum Apothekenalltag. Sie wünschen eine schnelle und effektive Schmerzlinderung bei gleichzeitig guter Verträglichkeit.

Seite 1/3 19 Minuten

Seite 1/3 19 Minuten

Es gibt wohl kaum einen Menschen, der in seinem Leben noch nie unter Schmerzen gelitten hat. Schmerzen sind unangenehm, können aber auch unerträglich sein und vermindern, vor allem wenn sie länger andauern oder immer wiederkehren, die Lebensqualität. Die meisten Kunden, die ein Schmerzmittel verlangen, waren zuvor wegen ihrer Beschwerden nicht beim Arzt. Die Beratung in der Apotheke spielt daher eine besondere Rolle und sollte sich an den Leitlinien der Bundesapothekerkammer orientieren. PTA und Apotheker können unter verschiedenen schmerzstillenden Wirkstoffen wählen.

Neben Ibuprofen und Paracetamol steht hier Acetylsalicylsäure (ASS) zur Verfügung. Acetylsalicylsäure ist mit ihrer über 100 Jahre alten Geschichte der Klassiker unter den rezeptfreien Schmerzmitteln und gehört auch heute noch mit zu den am besten erforschten Arzneistoffen der modernen Medizin.1,2,3 Sie hat ihr Potenzial durch jahrzehntelange intensive Forschungstätigkeit ständig unter Beweis gestellt. Inzwischen kann auf eine große Anzahl an Studien zurückgeblickt werden, die die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Acetylsalicylsäure für zahlreiche Indikationen und Darreichungsformen belegt haben.

Alarmfunktion oder Krankheitswert Schmerzen sind nicht grundsätzlich etwas Negatives, denn ein akuter Schmerz übernimmt im menschlichen Körper eine Warn- und Schutzfunktion. Der Schmerz macht auf eine Krankheit oder Verletzung aufmerksam, deren Ursache behoben werden muss, um weiteren Schaden abzuwenden. Ein bekanntes Beispiel ist das schnelle Wegziehen der schmerzenden Hand von der heißen Herdplatte, damit die Haut nicht verbrennt. Während akute Schmerzen zeitlich auf wenige Stunden, Tage oder Wochen begrenzt und durch Ausschalten des Schmerzauslösers beendet werden können, gibt es auch Schmerzen, die losgelöst von ihrer überlebensnotwendigen Alarmfunktion andauern.

Diese werden als chronische Schmerzen bezeichnet und bestehen laut Definition länger als drei bis sechs Monate oder kehren immer wieder, obwohl die Ursache inzwischen behoben wurde. Chronischer Schmerz hat also seine Funktion verloren. Er kann vielmehr einen selbstständigen Krankheitswert und großen Einfluss auf Körper und Psyche erlangen. Er kann für den Schmerzgeplagten eine immense psychische Belastung darstellen, sodass nicht selten das Denken und Fühlen von Betroffenen schließlich übermäßig vom Schmerz beherrscht wird.

Vielschichtige Angelegenheit Die Internationale Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (International Association for the Study of Pain (IASP)) versucht die unterschiedlichen Aspekte, die beim Schmerzgeschehen eine Rolle spielen, in einer Begriffsbestimmung zusammenzufassen. Sie definiert Schmerz als ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen beschrieben wird.4 Damit wird deutlich, dass Schmerzen ein komplexes Phänomen sind. Nicht nur, dass Schmerzen einen großen Einfluss auf Körper und Psyche haben können, sie können sogar ohne körperliche Ursache empfunden werden.

Zudem beeinflussen Psyche und Schmerzen einander. Angst oder eine niedergeschlagene Stimmung verstärkt Schmerzen, positive Gefühle schwächen sie hingegen ab. So kann ein Schmerz, der stimmungsfrohe Menschen kaum stört, für verängstigte oder gestresste Personen unerträglich werden. Schmerzen sind eine subjektive Empfindung, die individuell unterschiedlich stark wahrgenommen wird. Aber nicht nur von Mensch zu Mensch, auch innerhalb von Kulturen existieren Unterschiede sowohl in der Schmerzempfindung als auch im Umgang mit den Schmerzbeschwerden.

GRENZEN DER SELBSTMEDIKATION

+ Kopfschmerz mit Nackensteifigkeit, anhaltender Übelkeit, Erbrechen oder nach Schädeltrauma
+ Verdacht auf arzneimittelbedingte Kopfschmerzen
+ Eingeschränkte Nieren-/Leberfunktion oder Dialysepatient
+ Gegebenenfalls: Alter, Wechselwirkungen mit Begleitmedikation, Erkrankungen, Allergien/Unverträglichkeiten, Schwangerschaft/Stillzeit, Risikofaktoren

Schmerzsignale Um die Komplexität im Schmerzgeschehen zu verstehen, soll zunächst ein Blick auf die Entstehung und Verarbeitung von Schmerzen geworfen werden. Schmerzreize werden an entsprechenden Körperstellen von freien Nervenendigungen, den Schmerzsensoren oder Nozizeptoren, aufgenommen und in Form elektrischer Impulse in wenigen Millisekunden über aufsteigende (afferente) Nervenbahnen an das Zentrale Nervensystem (ZNS) geschickt. Dabei leiten einige Fasern sehr schnell (myelinisierte A-Delta- Fasern), andere viel langsamer (nicht myelinisierte C-Fasern) die Schmerzsignale weiter.

Bis auf das Gehirn und Rückenmark befinden sich Nozizeptoren im gesamten Organismus und reagieren unterschiedlich empfindlich auf Reize wie Temperatur, Dehnung, Druck, Verletzungen und chemische Substanzen. Je nachdem, an welchem Ort sie gereizt werden, teilt man die dadurch ausgelösten Schmerzen (Nozizeptorschmerz) in einen somatischen und einen viszeralen Schmerz ein.

Der viszerale Schmerz (Eingeweideschmerz) geht von Organen des Magen-Darm-Traktes aus. Er hat einen dumpfen Charakter und ist schlecht zu lokalisieren. Kommt die schmerzauslösende Ursache von Haut, Bindegewebe, Knochen, Gelenken oder Muskeln, spricht man von einem somatischen Schmerz. Dabei wird zwischen einem gut lokalisierbaren, hellen Oberflächenschmerz und einem dumpfen in die Umgebung ausstrahlenden Tiefenschmerz differenziert. Letzterer ist beispielsweise der Kopfschmerz.

Umschaltstationen im ZNS Die erste Station für die Schmerzsignale ist das Rückenmark. Dort werden sie über Synapsen an die Nervenzellen (Neuronen) weitergegeben. Dieser Prozess dauert nur wenige Millisekunden und an dieser Stelle kann bereits vor Wahrnehmung des Schmerzes ein Schutz- und Fluchtreflex ausgelöst werden. Erst in der nächsten Schaltstelle, im Gehirn, erfolgen Wahrnehmung und Weiterverarbeitung des Schmerzes. Im Thalamus (Zwischenhirn) wird der Schmerz bewusst erlebt und im limbischen System emotional bewertet. Die Hirnrinde erkennt den Ort, von dem der Schmerz herrührt, und speichert ihn als Erfahrung. Die Antwort des Gehirns erfolgt anschließend in umgekehrter Richtung über absteigende (efferente) Nervenfasern. Sie senden Impulse vom Gehirn über das Rückenmark in die Peripherie zu Muskeln und Gefäßen, die entsprechende Reaktionen in Gang setzen.

Schmerzgedächtnis Werden die Nozizeptoren ständig oder wiederholt starken Schmerzreizen ausgesetzt, kommt es zu einer dauerhaften Veränderung und damit zu einer Sensibilisierung der beteiligten Nervenfasern. Die Signalübertragung an den Nozizeptoren wird gesteigert und die Übertragungsstärke nimmt an zentralen Synapsen zu. Damit sinkt ihre Reizschwelle und sie werden überempfindlich, sodass selbst harmlose Reize als Schmerz verarbeitet werden. Das ebnet den Weg für die Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses und damit der Entstehung chronischer Schmerzen. An der peripheren Sensibilisierung sind Schmerzmediatoren wie Bradykinin, Substanz P, Histamin und Serotonin beteiligt, die im entzündeten oder verletzten Gewebe freigesetzt werden. Für die zentralen Vorgänge auf Rückenmarksebene wird vor allem Kalzium verantwortlich gemacht.


Weiterlesen auf der nächsten Seite ...

„Von der Weidenrinde zum modernen Analgetikum”

×