Chiesa Santa Maria della Salute © privat
Chiesa Santa Maria della Salute (1631 - 1687 erbaut nach den Plänen von Baldassare Longhena) © privat

Vergessene Krankheiten

VENEDIG UND DER SCHWARZE TOD

Man schrieb das Jahr 1348, als plötzlich eine grauenvolle Seuche über Venedig hereinbrach. Eine Galeere hatte die Krankheit mit an Bord, als sie aus dem fernen Osten in ihre Heimatstadt zurückkehrte.

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Letzte Maßnahme: Quarantäne Da Venedig die Zentrale des Seehandels war, verdichtete sich die Vermutung, die Seuche gelange über das Heer der Händler und Reisenden in die Stadt. 1468 beschlossen die Behörden daher, einlaufende Handelsschiffe für 40 Tage in Quarantäne zu nehmen. Für diesen Zweck bot sich eine günstig gelegene Insel in der nördlichen Lagune an. Im Lazzaretto Nuovo wurden die Ladungen der Schiffe gründlich gereinigt und gelüftet und die Besatzung nach einem Bad in Essigwasser mit frischer Kleidung ausgestattet.

Leider war aber auch diese Vorkehrung nur begrenzt wirksam, denn die verhängte Quarantäne konnte zwar die Matrosen vom Landgang abgehalten, aber nicht verhindern, dass infizierte Ratten entlang der Schiffstaue an Land krochen. So kam es trotz der konsequenten Seuchenpolitik immer wieder zum großen Sterben in der Lagunenstadt. 1630 brach die Pest zum letzten Mal über Venedig herein, dieses Mal aber über den Landweg. Ein Diplomat des Herzogs von Mantua hatte sie in seinem Gefolge in die Stadt gebracht.

Ein Versprechen ziert die Stadt Lange sah es so aus, als gäbe es keine Chance, die Pest jemals zu besiegen. Alle Ordnung war aus den Fugen geraten, die Stadt war entvölkert und fürchtete um ihren Bestand. Der Doge, der zu dieser dunklen Zeit die Republik regieren musste, gelobte daher feierlich, eine besonders schöne und strahlende Kirche zu errichten, sollte die Seuche jemals wieder aus der Stadt verschwinden. Als ein Jahr später die Pest dann endlich zum Erliegen kam, begann man aus tiefer Dankbarkeit mit dem Bau der großen Votivkirche, die der Senat der Gottesmutter Maria versprochen hatte.

Die Pläne des jungen Architekten, der für dieses Projekt ausgewählt wurde, waren revolutionär und hoben sich von all dem ab, was früher in der Stadt gebaut wurde. Direkt an der Mündung zur größten Wasserstraße bestimmt die herrliche Kuppelkirche nun seit 1687 das Stadtbild Venedigs. Keine Seuche hat die Menschheit so sehr in Angst und Schrecken versetzt wie der schwarze Tod. In der Lagunenstadt ist sie noch tief im Gedächtnis der Bevölkerung verwurzelt. Ehrfürchtig und unter großer Anteilnahme gedenken die Einheimischen alljährlich zur Festa della Salute dem Ende dieser Epoche. Den Ort ihrer Erinnerung nennen sie schlicht und ergreifend „Salute“, die Gesundheit.

Die Medizin zieht ihre Lehren Eine Errungenschaft kann man dem Drama des ausgehenden Mittelalters wohl nicht absprechen: Wirtschaftliche und politische Gewichte haben sich neu geordnet und auch das Gesundheitswesen gravierend modernisiert. Da die alten Heilverfahren offensichtlich versagt hatten, war man nun viel offener für neue medizinische Ansätze. Eine große Anzahl der Hygieneprinzipien, die uns heute als selbstverständlich erscheinen, wurden zur Zeit der Pest in Venedig formuliert, denn die mächtige Seerepublik setzte alles daran, das Gemeinwesen gegen die Seuche zu verteidigen. Mehr als jede andere Stadt und lange bevor die Ursache des Übels überhaupt bekannt war!

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/17 auf Seite 122.

Dr. Andrea Hergenröther, Apothekerin

Damals ahnte noch niemand, dass es sich bei dem eingeschleppten „Killer“ um das Bakterium Yersinia pestis handelte. Diese Entdeckung machte der Mediziner Alexandre Yersin erst Ende des 19. Jahrhunderts, als er das Gewebe von Opfern der Pest unter seinem Mikroskop untersuchte.

Eine Seuche verändert die Stadt Bereits wenige Tage, nachdem das verseuchte Handelsschiff im Hafen angelegt hatte, schlug die Pest auch schon erbarmungslos um sich. Reihenweise wurden die Menschen von hohem Fieber geschüttelt, bevor ihre Lymphknoten zu eitrigen Geschwüren anschwollen und dunkle Flecken unter der Haut zum Vorschein kamen. Hatte der Erreger erst einmal ihre Lunge befallen, war der „schwarze Tod“ unausweichlich.

Meist klagten zuerst die Obdachlosen über die schmerzhaften Beulen in der Leiste und unter den Achseln, doch nach und nach erwischte es auch die Bewohner der wohlhabenden Stadtteile. Die Straßen waren bedeckt von toten Körpern und auf den Friedhöfen gab es bald keinen Platz mehr, die Leichen zu bestatten. So fanden die meisten Opfer ihre letzte Ruhestätte in der nächstbesten Grube, an der die Pestknechte mit ihrer Karre vorüberzogen. Mit zunehmender Zahl der Toten verbreiteten sich immer mehr Angst und Schrecken unter den Menschen.

Ein jeder musste die schmerzliche Erfahrung machen, dass der Krankheit nicht allein der Tod, sondern auch gesellschaftliche Ausgrenzung und Vereinsamung folgten. Das Privileg, vor der Seuche die Flucht zu ergreifen, war nur den Reichen und dem Adel vergönnt. Unzählige europäische Städte erlitten damals dasselbe Schicksal. Giovanni di Boccaccio beschreibt in seiner um 1350 erschienenen Novellensammlung Il Decamerone detailreich und beklemmend das Geschehen dieser gnadenlosen Zeit.

Auf der Suche nach dem Sündenbock Immer wieder stellten sich die Menschen die Frage nach der Ursache für das schreckliche Unheil. Eine rationale Erklärung war nach dem Stand der Wissenschaften kaum möglich, und so mussten mythische und religiöse Gründe herhalten, um das Massensterben zu deuten. Die Vertreter der Kirche sahen in der Pest den Zorn Gottes, der das sündige Leben bestrafte. Andere wiederum suchten das Übel in der Konstellation der Gestirne. Schließlich machte man Bettler und Hexen als Schuldige aus und bezichtigte sogar die Juden, durch Giftmischerei die Seuche ausgelöst zu haben.

Kräuter, Rauch und Aderlass Die Mediziner und Gelehrten taten die Krankheit jedoch nicht als den Willen Gottes ab. Fest davon überzeugt, dass es die giftigen Ausdünstungen aus dem Boden waren, die sich als krank machende Dämpfe in der Atmosphäre verbreiteten, empfahlen sie, die Luft durch das Verbrennen stark duftender Kräuter und Hölzer zu reinigen. Unter den Pestmitteln, die man einnehmen sollte, stand der Theriak an oberster Stelle, denn der hatte den Ruf, sämtliche Gifte im Körper unschädlich zu machen.

Das Wissen der Ärzte reichte aber bei weitem nicht aus, um der Krankheit ein wirksames Mittel entgegenzusetzen. Trotzdem taten sie ihr Bestes, um die Qualen der Infizierten zu lindern. Die Erkrankten bekamen spezielle Diäten verordnet, Brechmittel und Einläufe verabreicht oder sie wurden zur Ader gelassen, um die Säfte in ihren Körpern wieder in Einklang zu bringen. Eine Überlebenschance hatten die Patienten allerdings nur, wenn man ihnen die prallen Pestbeulen aufschnitt, damit der Eiter nicht in die Blutbahn gelangte. Schon das Berühren der Leidenden konnte den Arzt allerdings das Leben kosten.

Wer sich als Pestarzt in der Stadt verdingte, der trat daher in einer speziellen Schutzkleidung an die Kranken heran. Historische Aufzeichnungen zeigen ihn in bodenlangem schwarzen Gewand und einer Pestmaske, aus der ein überdimensionaler Schnabel herausragte. Der ausgeprägte Nasenfortsatz war bei weitem nicht nur als Abstandhalter zu gebrauchen. Er eignete sich auch bestens zur Unterbringung in Essig getränkter Schwämme und wohlriechender Kräuter, die den widerlichen Pestgestank übertünchten.

Seine Augen schützte der Pestdoktor mit einer großen, dicken Brille. Dass das Glas darin aber bewusst abgedunkelt war, um die „bösen Blicke“ der Patienten abzuwehren, mutet wohl eher einer Legende an. Eines scheint jedoch sicher zu sein: Wo immer ein Pestdoktor auftauchte, verstummten die Leute und wichen ihm zügig aus. Denn zu seinen Aufgaben gehörte es nicht nur, die Infizierten ausfindig zu machen, sondern sie auch schnellstens aus der Stadt schaffen zu lassen. Pestknechte, die dazu herangezogen wurden, überlebten diesen Dienst in der Regel nicht lange.

Die Pest nimmt ihren Lauf 1350 hatte die Seuche ihren Höhepunkt erreicht, der schwarze Tod war einfach nicht aufzuhalten. Die meisten der Prophylaxe-Mittel, die bisher zum Einsatz kamen, eigneten sich kaum, um eine Ansteckung zu verhindern. Was auch nicht verwunderlich war, denn die Pest erreichte die Menschen nicht über die schlechte Luft oder üble Gerüche, sondern über den Kontakt mit Rattenflöhen, die den Pesterreger in sich trugen.

Dummerweise steckten die Parasiten sogar in den Kleidern und dem Bettzeug, an denen sich Plünderer in den verwaisten Pesthäusern schamlos bedienten. Die katastrophalen Hygieneverhältnisse taten dann wohl ihr übriges, um die Ausbreitung der Seuche voranzutreiben. Vor allem dort, wo Menschen eng beieinander wohnten und sich Schmutz und Unrat sammelten, fühlten sich auch die Ratten wohl. Und es fanden sich genügend Wirte, auf die die Flöhe überspringen konnten.

Gebet und Buße Der Papst verkündete damals, der Weg zur Erlösung und zum Überleben läge im Gebet und der Frömmigkeit. In der Hoffnung auf Rettung klammerten sich die Menschen also an den Glauben. Lange Prozessionen zogen vor allem um die Kirche des heiligen Rochus, denn der hatte sich schließlich der Pflege von Pestkranken verschrieben.

Auch der Aberglaube hielt Einzug in Venedig. Flagellanten schlugen sich vor den Augen der Öffentlichkeit regelrecht blutig, um Gott zu beweisen, dass sie das sündige Leben der Gesellschaft bereuten. Doch auch diese Maßnahmen vermochten den Zorn Gottes nicht zu bändigen. Im dichten Gedränge der religiösen Versammlungen war es für die Pesterreger sogar noch leichter, sich ungezügelt unter den Menschen zu verbreiten.

Der Tod vor Venedig Die Regierung Venedigs war nun umso mehr entschlossen, der schrecklichen Seuche den Kampf anzusagen. Auf die Empfehlung des großen Rates, die Infizierten von der gesunden Bevölkerung zu isolieren, wurde 1423 auf einer abgeschiedenen Insel vor der Stadt das Lazzaretto vecchio gegründet. Mit der Ausquartierung der Kranken wollte man nicht nur die Ansteckung verhindern, sondern auch den grausamen Anblick der Siechenden aus dem Stadtbild verbannen. Für die meisten Pestkranken war die Bootsfahrt zum Pestspital ihre letzte Reise, denn auf der „Insel der Verdammten“ wurde selten jemand geheilt.

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