Schluckauf
TRICKS GEGEN DEN HICKS
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chlicks, Hückop, Hickeschlick – humoristisch klingende Namen für den Schluckauf gibt es viele. Und wer nicht gerade selbst damit zu kämpfen hat, findet das geräuschvolle Phänomen auch durchaus amüsant. Betroffene hingegen nervt das Hicksen ungemein. Kein Wunder, denn schließlich kann es bis zu 60 Mal pro Minute auftreten. Verursacht wird ein Schluckauf durch plötzliches Verkrampfen des Zwerchfells (Diaphragma). Die flache, kuppelförmige Muskel-Sehnen-Platte liegt zwischen Brust- und Bauchraum und ist unser zentraler Atemmuskel. Wird der Zwerchfellnerv (Nervus phrenicus) gereizt, verkrampft er sich. In der Folge schließt sich reflexartig die Stimmritze zwischen den Stimmbändern. Die Luft in der Lunge kann nicht vollständig ausgeatmet werden; von außen einströmende Atemluft stößt gegen die geschlossenen Stimmbänder. Und schon ist es passiert: Lautstark entfährt Betroffenen das charakteristische „hicks, hicks, hicks“.
Willentlich beeinflussen oder gar abstellen lässt sich der unüberhörbare Reflex nicht. Zum Glück hört er aber meist innerhalb weniger Minuten von selbst wieder auf. Grund zur Besorgnis gibt es dann nicht. Zahlreich sind die möglichen Auslöser, die den Zwerchfellnerv reizen und den ganzen Prozess in Gang setzen können: Zu hastiges Essen und übermäßige Mahlzeiten gehören ebenso dazu wie sehr heiße oder eiskalte Nahrungsmittel. Viele Menschen reagieren auf kohlensäurehaltige Durstlöscher mit Schluckauf, auch Alkohol und Nikotin sind oft die Übeltäter. Mitunter spielt allerdings auch die Psyche dem Zwerchfell einen Streich: Bekannt ist, dass Stress, Aufregung und Angst einen Schluckauf provozieren können.
Originelle Hausmittel Ist der Singultus erst da, gibt es eine Menge erprobter Hausmittel, um ihn wieder loszuwerden. Das wohl bekannteste: Die Luft anhalten. Wer’s tut, erhöht die Kohlendioxid-Konzentration im Blut, wodurch sich das Zwerchfell wieder beruhigen soll. Andere Methoden: Ein Glas kaltes Wasser in kleinen Schlucken trinken, mit Wasser gurgeln, einen Löffel Essig mit Zucker im Mund zergehen lassen und langsam schlucken oder in eine Zitrone beißen. Viele Schluckauf-Geplagte schwören darauf, sich heftig erschrecken zu lassen, andere bevorzugen es, an sieben Männer mit Glatze zu denken. Ein Hintergedanke derartiger Spielchen: Die Konzentration auf etwas anderes zu lenken und Zeit zu gewinnen, damit sich die Atmung wieder beruhigen und das Zwerchfell entkrampfen kann.
Derartige Ablenkungsstrategien funktionieren nicht? Dann ist eventuell diese kleine Turnübung hilfreich: Sich auf den Rücken legen und die Beine in Richtung Bauch ziehen, um das Zwerchfell zu besänftigen. Dass viele gängige Anti-Schluckauf-Strategien wissenschaftlicher Grundlagen entbehren, liegt auf der Hand. Dass sie bei vielen Schlicks-Geplagten aber durchaus wirkungsvoll sind, steht ebenfalls fest. Letztlich muss jeder ausprobieren, welche Methode zum Ziel führt und dem nervigen Singultus ein Ende bereitet. Und: Wenn gar nichts fruchtet, ist es immer noch eine vernünftige Option, einfach abzuwarten, bis er wieder von ganz allein aufhört.
Qualvoller Dauerhicks Das ist meistens der Fall, aber leider nicht immer. Diese leidvolle Erfahrung musste auch der US-Amerikaner Charles Osborne machen. 69 Jahre lang litt der Farmer unter Dauer-Schluckauf – 40 Mal pro Minute musste er hicksen. Trotz dieses furchtbaren Leidens heiratete er, wurde Vater von acht Kindern und über 90 Jahre alt. Erst kurz vor seinem Tod hörte der Schluckauf wieder auf, ebenso plötzlich, wie er in jungen Jahren gekommen war. Auf einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde für den „längsten Schluckauf der Welt“ hätte Osborne mit Sicherheit gerne verzichtet. Auch wenn er nicht über Jahrzehnte, sondern „nur“ für ein paar Stunden oder Tage zum lästigen Begleiter wird: Anhaltender oder wiederkehrender Schluckauf ist für Betroffene enorm belastend. Und er muss in jedem Fall ärztlich abgeklärt werden. Von chronischem Singultus sprechen Mediziner, wenn das Hicksen länger als 48 Stunden anhält.
Atemtraining im Mutterleib
Schon etwa ab der neunten Schwangerschaftswoche können ungeborene Babys einen Schluckauf bekommen, im letzten Schwangerschaftsdrittel hicksen Feten häufiger. Und das ist eine durchaus sinnvolle Einrichtung der Natur. Denn der Schluckauf trainiert vermutlich den lebenswichtigen Atemreflex. Forscher nehmen an, dass das Baby dadurch lernt, die Atemmuskulatur bewusst zu kontrollieren. Einer anderen Theorie zufolge soll der Singultus verhindern, dass Flüssigkeit in die Luftröhre des Fötus gerät. Dass der Nachwuchs Schluckauf hat, bemerkt die werdende Mutter an einem Zucken im Bauch.
Krankheit als UrsacheUrsachenforschung ist bei chronischem Schluckauf unerlässlich, denn mitunter kann er Hinweis auf eine Krankheit sein. Dann ist er in aller Regel jedoch lediglich ein Begleitsymptom, andere Krankheitszeichen (Leitsymptome) stehen im Mittelpunkt. Die Liste der möglichen Leiden, die mit Singultus einhergehen können, ist lang: Magenschleimhautentzündung, Zwölffingerdarmgeschwür, Refluxkrankheit, Schilddrüsenüberfunktion, Nierenschwäche, Leberentzündung, Diabetes mellitus und Multiple Sklerose gehören unter anderem dazu. Auch Krebserkrankungen, etwa der Speiseröhre, der Bronchien oder des Magens, können Schluckauf verursachen. Die Aufzählung zeigt, wie wichtig eine eingehende Diagnostik ist.
Ein Notfall liegt vor, wenn Schluckauf mit Beschwerden wie Seh- und Sprachstörungen, Lähmungserscheinungen, starken Kopfschmerzen und/oder Schwindel auftritt. Diese Symptome können auf einen Schlaganfall hinweisen – bei dem bekanntlich jede Minute zählt. In diesem Fall gilt es, sofort den Rettungsdienst mit 112 zu alarmieren. Für den Beratungsalltag in der Apotheke wichtig zu wissen ist, dass einige Medikamente vermehrten Schluckauf als Nebenwirkung haben können. Dazu gehören unter anderem Benzodiazepine, Antiepileptika, Chemotherapeutika, Glucocorticoide, einige Narkosemittel sowie bestimmte Präparate gegen Parkinson. Besteht der Verdacht, verordnete Arzneimittel könnten für anhaltenden Schluckauf verantwortlich sein, sollten Betroffene sich an den behandelnden Arzt wenden.
Auslöser unbekannt Trotz umfangreicher Untersuchungen bei unterschiedlichen Fachärzten kommt es vor, dass sich keine plausible Erklärung für dauerhaften oder immer wiederkehrenden Schluckauf finden lässt. Bleibt die Ursache des hartnäckigen Hicksens unklar, heißt die Diagnose: idiopathischer chronischer Schluckauf. Das klingt vergleichsweise harmlos, ist für Betroffene jedoch ein Martyrium. Schlafstörungen, häufiges Erbrechen, Gewichtsverlust und psychische Erkrankungen wie Depressionen können die schwerwiegenden Folgen sein, wenn sich das Zwerchfell gar nicht mehr entspannen will.
Was gegen chronischen Schluckauf unklarer Ursache helfen kann, sind Atem- und Verhaltenstherapien sowie gezielte Entspannungstechniken. Sie können dazu beitragen, dass sich der zentrale Atemmuskel wieder beruhigt. Auch eine medikamentöse Therapie kommt infrage – beispielsweise mit Protonenpumpenhemmern, Muskelrelaxanzien oder Antiepileptika. Bleiben diese Behandlungen erfolglos, kommt in schweren Fällen eine invasive Therapie in Betracht.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/2020 ab Seite 26.
Andrea Neuen, freie Journalistin