© bowie15 / iStock / Thinkstock
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Kolumne | Holger Schulze

SUCHE NACH DEN URSACHEN VON ADHS

Die besonders bei Jungen häufig auftretende Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beruht möglicherweise auf einer gestörten Kommunikation von Neuronen und Gliazellen.

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Kennen Sie das auch? Das subjektive Gefühl, dass ADHS, immer häufiger diagnostiziert wird? Vielleicht aufgrund von Berichten in den Medien oder eigenen Erfahrungen im Bekanntenkreis? Zumindest was dieses Gefühl betrifft, kann ich Entwarnung geben: Die Zahl der von ADHS betroffenen Kinder liegt weltweit stabil bei rund fünf Prozent, wobei Jungen etwa zwei- bis viermal häufiger betroffen sind als Mädchen. Aber auch wenn diese Zahl nicht wächst, so sind fünf Prozent doch ein erheblicher Anteil – mit oft einschneidenden Konsequenzen für das alltägliche Leben der betroffenen Familien. Zwar existiert eine Fülle von Behandlungsoptionen für ADHS, von verschiedenen psychotherapeutischen Ansätzen bis zu medikamentöser Therapie, insbesondere letztere jedoch wird von Eltern oft sehr kritisch gesehen und teilweise abgelehnt. Das wiederum kann negative Konsequenzen für den Therapieerfolg insgesamt nach sich ziehen. Eine Versachlichung der Diskussion wäre hier oft wünschenswert! 

Bei ADHS sind nicht nur Neurone beteiligt!

Neue Erkenntnisse zu den neurophysiologischen Mechanismen, die zu ADHS führen können, eröffnen nun möglicherweise ganz neue Therapieansätze. Da jedwedes Verhalten von Nervenzellen gesteuert wird, würde man spontan annehmen, dass eine Verhaltensstörung wie ADHS auch auf einer Störung neuronaler Verarbeitung beruht. Prinzipiell stimmt das auch, allerdings scheint an der Entstehung der Störung noch ein weiterer Zelltyp im Gehirn beteiligt zu sein, die sogenannten Astrozyten.

Hierbei handelt es sich um den im zentralen Nervensystem vorherrschenden Gliazelltyp. Zellen also, die die Neurone umgeben und denen klassischerweise Funktionen der Homöostase des Gehirns, also etwa der Steuerung des Elektrolyt- oder Wasserhaushalts zugeschrieben wurden. Mehr und mehr setzt sich aber die Erkenntnis durch, dass diese Zellgruppe, die im Gehirn ebenso zahlreich vertreten ist wie Neurone, auch an Informationsverarbeitungsprozessen beteiligt ist.

Im Mausmodell konnte nun gezeigt werden, dass Astrozyten direkt mit einem Neuronentyp im Striatum kommunizieren, welcher eine zentrale Rolle bei der Bewegungskoordination spielt: Über den Botenstoff GABA können diese Zellen den Calciumspiegel in den Astrozyten erhöhen, wodurch diese das Protein Thrombospondin 1 produzieren, welches an den Neuronen wiederum das Synapsenwachstum fördert. Scheinbar wird so durch eine Überaktivierung der Astrozyten ein Mechanismus reaktiviert, der eigentlich nur in der frühen Hirnentwicklung auftreten sollte, wodurch das Striatum insgesamt überaktiv wird und so die Verhaltensauffälligkeiten bei ADHS auslösen könnte. Natürlich liefern diese Befunde noch keine direkten Therapieempfehlungen, aber zumindest sind nun neue Kandidaten für Komponenten der Entstehungsursache von ADHS bekannt, die in Zukunft als Ziele für Pharmaka dienen könnten. Ein wichtiger Schritt, denn schließlich sollte man möglichst genau wissen, wie ein System funktioniert, ehe man es manipuliert – finden Sie nicht auch?

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/19 auf Seite 12.

Zur Person

Prof. Dr. Schulze Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de 

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de 

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