© Die PTA in der Apotheke
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Die Leichtigkeit des Seins

STRESS UND ENTSPANNUNG

Wer nicht lernt, sein Leben früh genug zu entschleunigen und unterstützende Maßnahmen ergreift, schadet seinem Körper und seinem Geist.

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Die Anforderungen der heutigen Gesellschaft nehmen mehr und mehr zu. Nur wer erfolgreich, effektiv und schnell arbeitet, erklimmt die Karriereleiter. Mobiltelephone, Smartphones und Computer sorgen dafür, immer und überall erreichbar zu sein. Es ist sogar „in“, über Stress im Job und Privatleben zu klagen. Denn wer Stress hat, ist gefragt und fühlt sich gebraucht. Selbst Kinder leiden unter der Überforderung von Schulstress und Leistungsdruck in der Freizeit.

Doch wo bleibt dabei die Ruhe, die unser Körper benötigt, um abzuschalten und sich zu regenerieren? Ständige Zeitnot, Unruhe und Ängste bringen die körpereigenen Funktionen aus der Balance und schwächen das Immunsystem. Eine Gesundheitsbefragung des Bundes dokumentiert, dass etwa die Hälfte der Erwerbstätigen unter nervlicher Anspannung leidet, die zu gesundheitlichen Beschwerden führen. Heute gelten psychologische und soziale Faktoren als Hauptrisiken für stressbedingte Beschwerden wie Rücken-, Kopf- oder Brustschmerzen. Auch Schlaf- oder Verdauungsstörungen belasten die Betroffenen. In Apotheken sprechen diese ihre Probleme häufig zuerst an und fragen nach Stärkungsmitteln. PTA und Apotheker sollten die ersten Signale erkennen und im Gespräch aktiv dazu beraten.

Flucht als Schutz Die hormonelle Stresssituation ist ein ursprünglich sinnvoller Schutzmechanismus des Körpers. Der Steinzeitmensch brauchte den Adrenalinschub, um in gefährlichen Situationen schnellstmöglich reagieren zu können. Die Aktivierung des Sympathikus führt zur Ausschüttung von Adrenalin und den damit verbunden Funktionen des Organismus: Erhöhung der Atem- und Herzfrequenz, Blutdruckanstieg, Drosselung der Verdauungsvorgänge, Erweiterung der Gefäße und Bronchiolen sowie eine Bereitstellung von Energiereserven. Diese Reaktion war in der Begegnung mit einer lebensbedrohlichen Gefahr angemessen.

Wenn heute in der Apotheke die Kunden Schlange stehen, das Telefon klingelt und gerade jetzt der Computer ausfällt, ist das keine lebensbedrohliche Gefahr, aber der Mechanismus läuft noch genauso ab wie vor Tausenden von Jahren. Steht der Mensch ständig unter Einfluss äußerer Stressoren, ist nicht mehr Adrenalin alleine für die körpereigene Reaktion verantwortlich, der Kortisolspiegel steigt.

Kortisol ist ein wichtiges Stresshormon. Allerdings wird dessen Wirkung ganz anders gesteuert als die des Adrenalins, dass sekundenschnell seine nachgeschalteten Effekte auslöst. Kortisol bindet an Glukokortikoidrezeptoren im Zellkern und verändert dort die Genexpression zur Produktion von Proteinen. So hat Kortisol besondere Effekte auf den Kohlenhydratstoffwechsel, den Fettstoffwechsel aber auch auf eine Reihe von Funktionen des Körpers. Die vermehrte Kortisolausschüttung bedingt auf Dauer eine erhöhte Infektanfälligkeit, Schlafstörungen, Diabetes, Herz-Kreislaufstörungen, Magen-Darm-Entzündungen und psychische Beschwerden.

Ausgebrannt Burn-out bezeichnet einen Zustand völliger Erschöpfung. Menschen mit einem Burn-out-Syndrom sind häufig Workaholics und Perfektionisten, die ihr Privatleben vernachlässigen und irgendwann einen Zusammenbruch erleiden. Ursache für die Erkrankung ist oft eine hohe Belastung im Beruf, zusammen mit einer besonders großen persönlichen Leistungsbereitschaft. Um dem ständigen Stress bei der Arbeit gewachsen zu sein, stellt sich eine emotionale Abstumpfung ein. Abnahme der Leistungsfähigkeit und Erschöpfung sind die Konsequenz.

Heute wird Burn-out als ein komplexes Krankheitsbild verstanden, unter dem in unserer leistungsorientierten Gesellschaft mehr und mehr Menschen leiden. Bisher konnte von Wissenschaftlern und Medizinern noch keine einheitliche Definition der Erkrankung mit Leitlinien zur Diagnostik und Therapie festgesetzt werden.

Damit es tatsächlich zu einem Burnout kommt, müssen drei Grundvoraussetzungen gegeben sein:

  • Hohe Leistungsanforderungen von außen
  • Besonderer Ehrgeiz und Engagement des Betroffenen
  • Unfähigkeit, „Nein“ zu sagen

Leicht kann aus einer äußeren Belastungssituation eine depressive Verstimmung entstehen. Diese äußert sich in einer gedrückten Stimmung, Kraftlosigkeit und Antriebslosigkeit. Treten diese Symptome nur kurzzeitig auf, sind sie nicht bedenklich. Dauern sie aber länger als zwei Wochen, sind sie Warnzeichen einer echten Depression, die ernst genommen werden sollten.

Einem Menschen, der an einer Depression erkrankt ist, fällt es schwer, den normalen Alltag zu bewältigen. Hobbies, Kontakte mit Freunden und Familie bereiten ihm keine Freude mehr. Erhärtet sich im Beratungsgespräch der Verdacht für eine psychische Erkrankung, sollten PTA und Apotheker unbedingt den Arztbesuch anraten, denn professionelle Hilfe ist dann erforderlich.

Auszeiten Vielen Menschen helfen schon einfache Maßnahmen, von einem stressigen Tag abzuschalten. Die einen bevorzugen den Gang ins Fitnessstudio, andere gehen noch eine Runde mit dem Hund oder gönnen sich ein warmes Entspannungsbad. Die Kunst ist, seine eigene Regenerationsmethode zu finden. Manchmal lohnt es sich, neue Wege zu gehen. Da kann ein Kurs zum Erlernen der progressiven Muskelentspannung nach Jacobson oder autogenes Training den Horizont öffnen.

In der Apotheke können nur Möglichkeiten aufgezeigt werden. Aber gerade im Gespräch mit Fremden sind viele Betroffene offener und nehmen Ratschläge eher an als von der Familie oder engen Freunden. Optimal ist, wenn die Apothekenmitarbeiter direkt eine Kontaktadresse mitgegeben können.

Pflanzliche Unterstützung Gegen leichte Schlafstörungen und nervöse Unruhezustände können in der Beratung in der Apotheke gut verträgliche beruhigende Phytopharmaka empfohlen werden. Studien belegen eine gute beruhigende, anxiolytische und entspannende Wirkung für Johanniskraut-, Lavendel-, Baldrian-, Hopfen- und Melissenpräparate. Je nach Dosierung überwiegt die beruhigende oder schlaffördernde Wirkung.

Die positive antidepressive und entspannende Wirkung von Johanniskraut ist in vielen Untersuchungen beschrieben. Der entscheidende Wirkstoff ist das Hyperforin, das die neuronale Aufnahme der Neurotransmitter Noradrenalin, Serotonin und Dopamin hemmt. Der anxiolytische und entspannende Effekts tritt erst nach ein bis zwei Wochen auf. Aus diesem Grund eignet sich Johanniskraut nicht als reines Schlafmittel, sondern eher als leichtes Antidepressivum oder entspannungsförderndes Mittel.

Der Patient sollte auf den verspäteten Wirkungseintritt von Johanniskrautextrakten aufmerksam gemacht werden. Die Kommission E empfiehlt als mittlere Tagesdosis 2 bis 4 Gramm der Droge. Dies entspricht etwa 500 bis 800 Milligramm der gängigen Extrakte. Bei der Abgabe von Johanniskrautextrakten sollten PTA und Apotheker auf erhöhte Photosensibilität und mögliche Wechselwirkungen mit Kontrazeptiva, Antikoagulantien, Herzglykosiden, Proteaseinhibitoren, Theophyllin und Antidepressiva hinweisen.

Lavendel wurde schon Jahrhunderte lang zur Entspannung eingesetzt. In Tierexperimenten wurden gewisse angstlösende und beruhigende Eigenschaften des Lavendelöls nachgewiesen. Im Öl ist eine Vielzahl von verschiedenen Substanzen enthalten, zum Beispiel Linalool und Linalylacetat, aber auch Gerbstoffe und Flavonoide. Es wird angenommen, dass Lavendelöl den GABA -Rezeptor beeinflusst und so seine beruhigende Wirkung entfaltet. Als Dosierung wird die einmal tägliche Gabe von 80 Milligramm Lavendelöl vom Hersteller formuliert.

Das klassische pflanzliche Beruhigungs- und Schlafmittel ist Baldrian. Je nach Dosierung eignet es sich als Mittel bei nervösen Spannungszuständen oder bei Schlafstörungen. Seinen Inhaltstoffen, den Valepotriaten und ihren Abbauprodukten, wird die beruhigende und schlaffördernde Wirkung zugesprochen. Baldrian kann tagsüber in niedrigen Dosierungen gegen nervöse Unruhezustände eingesetzt werden. Zur Nacht helfen höhere Dosen schneller in den Schlaf. Baldrian wird als Extrakt in Fertigpräparaten als Tee oder als beruhigender Badezusatz angeboten.

Weitere pflanzliche Alternativen zu den chemischen Beruhigungsmitteln sind Hopfen, Melisse und Passionsblume. Diese Phytopharmaka werden häufig zusammen mit Baldrian als Kombinationspräparate empfohlen. Doch jede Pflanze für sich genommen kann in Form eines Tees oder Extraktes auf Grund seiner ätherischen Öle als leichtes Schlaf- oder Beruhigungsmittel angewendet werden. Auch homöopathische Mittel können eine Option sein, zum Beispiel solche mit Passionsblume (Passiflora incarnata), Hafer (Avena sativa), Kaffee (Coffea arabica) und Zincum isovalerianicum.

WICHTIGE WARNSYMPTOME
+ Nervosität
+ Konzentrationsprobleme
+ Erschöpfung und chronische Müdigkeit
+ Interessenlosigkeit
+ Ängste, Motivationslosigkeit
+ Somatische Beschwerden: z. B. Kopfschmerz, Rückenschmerz oder Schlafstörungen
+ Flucht in Alkohol, Drogen,Genussmittel

Work-Life-Balance Stress lässt sich nicht immer vermeiden. Gut bewältigt werden kann er von demjenigen, der auch in solchen Zeiten weiß, auf sich aufzupassen: Ausreichend Schlaf- und Ruhephasen sollten eingehalten werden. Bewegung an der frischen Luft kurbelt Köper und Geist wieder an. Der Kontakt mit Freunden und Familie kann helfen, Belastungen im Berufsleben aufzufangen. Eine ausgewogene vitaminreiche Ernährung hilft, den Körper zu stärken.

Insbesondere die B-Vitamine sind gut für die Nerven und das Immunsystem. Aber auch Mineralstoffe sind wichtig. Magnesium wirkt muskulären Verspannungen entgegen und Zink stärkt die körpereigene Abwehr gegenüber Infekten. Der Betroffene muss aber selber entscheiden, in welchem Umfang Stressoren aufgefangen werden können. Im Zweifelsfall hilft nur ein Wechsel der Lebensführung.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/11 ab Seite 14.

Dr. Katja Renner, Apothekerin

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