Ein DNA-Strang in Blau
Es ist eben doch nicht alles Müll, was auf den ersten Blick nutzlos erscheint. © Rost-9D / iStock / Getty Images Plus

Junk-DNA | Autismus

STÖRUNGEN IN MOLEKULAREN SCHALTERN BEWIRKEN AUTISMUS

Nur zwei Prozent unseres Erbgutes besteht aus proteinkodierenden Genen. Der Rest ist Müll und wird auch so genannt – Junk-DNA. Doch hier haben sich die Wissenschaftler wohl getäuscht: Der vermeintliche Abfall ist so wichtig, dass er das Risiko, an Autismus zu erkranken, beeinflusst.

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Nichts in der Natur wird verschwendet und wie man auf die Idee gekommen ist, 95 Prozent unserer Gene als Junk-DNA zu bezeichnen, ist leider nicht mehr nachzuvollziehen. Denn der vermeintliche Müll – also das Gros der nicht-proteinkodierenden Gene – ist sehr wohl zu etwas Nutze und spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit. Veränderungen in der Junk-DNA verändern auch die Expression von Genen im Gehirn. Und das wiederum beeinflusst die Wahrscheinlichkeit einer Autismus-Erkrankung.

Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die eine Reihe von typischen Symptomen aufweist, von Beeinträchtigungen des Sprachvermögens bis hin zu motorischen Problemen. Das bekannteste und auch im Mittelpunkt stehende Merkmal der Erkrankung ist jedoch eine Auffälligkeit im Sozialverhalten. Viele Betroffene wirken im sozialen Kontext teilnahmslos, verhalten sich nicht angepasst und haben Schwierigkeiten damit, sich mit anderen zu unterhalten und Gesagtes sowie Mimik und Gestik richtig zu interpretieren. Manchen Autisten fällt es sogar schwer, andere Menschen zu erkennen und sie voneinander zu unterscheiden.

Das liegt nicht an einem einzelnen Gen, sondern an ganzen Erbgutabschnitten. Ihre Entschlüsselung ist hochkomplex und kompliziert und wird bisher nur in Teilen verstanden. Denn Veränderungen in protein-kodierenden Genen können höchstens 30 Prozent aller Autismusfälle erklären, bei denen es keine familiäre Prädisposition gibt. Aus diesem Grund hat sich jetzt ein Forscherteam mit der sogenannten Junk-DNA beschäftigt, die daraufhin ihren Nimbus als funktionsloses Etwas verlor. Im Gegenteil, sie ist enorm wichtig: Sie fungiert als Steuerpult mit unzähligen molekularen Schaltern, die beeinflussen, wie die ihnen zugeordneten Gene abgelesen werden.

Man verglich dazu die Genome von 1790 autistischen Kindern mit dem Erbgut ihrer nicht betroffenen Geschwister und Eltern. Für die Auswertung dieser riesigen Datenmenge verwendete man einen Algorithmus, der von sich selbst lernte, indem er „vorhersagte“, wie sich Mutationen in einem bestimmten Junk-DNA-Abschnitt auf die Genexpression auswirken. Man wollte herausfinden, ob es in diesem Teil des Erbgutes Unterschiede gebe, die das Auftreten der Entwicklungsstörung erklären könnten.

Und tatsächlich: Im Erbgut vieler betroffener Kinder fanden sich nicht-kodierende Mutationen, die die Genregulation entscheidend verändern. Man betrachtet die Ergebnisse deshalb dergestalt, dass sich Autismus im Gehirn manifestiert, indem die Proteinsteuerung durch die Junk-DNA gestört ist. „Dies ist der erste Beleg für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen nicht-vererbten, nicht-kodierenden Mutationen und einer komplexen menschlichen Erkrankung“, konstatierte die teilnehmende Wissenschaftlerin Dr. Olga Troyanska.

Jetzt möchte man diese Erkenntnisse auch auf andere Erkrankungen anwenden, deren Ursachen noch größtenteils im Dunkeln liegen – dazu zählen beispielsweise neurologische Störungen, Herzleiden und bestimmte Krebserkrankungen.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: wissenschaft.de

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