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Die Coronapandemie hat Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit und das Sozialleben der Menschen. Psychologische Ermüdung, Einsamkeit und Existenzängste können auftreten.

Solidarität | Prognose 

WIE CORONA MENSCHEN VERÄNDERT

Eine Pandemie hat weltweite Ausmaße und Folgen für die Politik, Wirtschaft, die physische sowie psychische Gesundheit und das Sozialleben. Die soziale Dynamik galt als kaum prognostizierbar – bis jetzt.

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Die Auswirkungen einer Pandemie auf das Leben und Handeln der Menschen steuert wiederum den Pandemieverlauf. Bisher konnten soziale, politische und psychologische Faktoren nicht durch mathematische Modelle beschrieben werden. Das machte Prognosen zur Coronapandemie schwierig. Der Forscher Kai Wirtz vom „Hereon-Institut für Küstensysteme“ hat in einer Studie vor allem die sozialen Phänomene und deren Veränderung in quantitativer Form beschrieben. Er erklärt:

„Soziale Modellierung ist vor kurzem auch in der Küstenforschung angekommen. Die größte Herausforderung bei dieser Entwicklung war die Einbindung des menschlichen Handelns in konventionelle epidemiologische Modelle.“

Für die neue Studie nutzt Wirtz Datensätze zur Coronapandemie von Apple, John Hopkins CSSE und YouGov mit dem Ziel, ein neuartiges Modell anhand der unterschiedlichen Pandemieverläufe von 20 betroffenen Regionen quantitativ zu testen. Die Regionen entsprechen elf EU-Ländern, darunter Italien, Schweden und auch Deutschland. Außerdem dabei: der Iran und acht Bundesstaaten der USA.

Social Distancing sei Dank konnten alle Länder, die Anfang 2020 von der Pandemie betroffen waren, die Infektionsraten reduzieren. Nachdem im Mai 2020 die Lockdowns aufgehoben wurden, erreichten zwar einige Regionen sehr niedrige Fallzahlen, doch andere waren von einer anhaltend hohen Sterblichkeit betroffen. Trotz dieser Erfahrungen wurden im Herbst und Winter 2020/21 alle diese Regionen von einer zweiten und dritten Welle getroffen.

Das Modell der Studie kombiniert klassische Gleichungen zur Ausbreitung eines Virus mit einfachen Regeln zur gesellschaftlichen Dynamik. So können die Forscher gesellschaftliches Handeln wesentlich besser prognostizieren.

Prognosen möglich

Grundlegend wird angenommen, dass Gesellschaften solidarisch und rational handeln, um die kombinierten Schäden aus COVID-19-bedingter Mortalität und den unmittelbaren sozio-ökonomischen Kosten von Kontaktverboten möglichst gering zu halten. Wirtz fasst die Simulationsergebnisse zusammen:

„Die Ergebnisse zeigen, dass noch ein weiterer Mechanismus zentral zur Beschreibung der Dynamik in den 20 Regionen ist: die Erosion gesellschaftlichen Zusammenhalts, einhergehend mit einer sinkenden Bereitschaft zu sozialer Distanzierung.“

Psychologische Ermüdung, bröckelnde Gruppendynamik und Existenzdruck können Ursachen dafür sein. Erst die Simulation dieser Prozesse führt zu Kurven regionaler Sterblichkeitsraten und Mobilitäts- und Verhaltensänderungen, die fast exakt mit den empirischen Daten übereinstimmen.

Die Studie stellt somit das erste Modell vor, das den Vorhersage-Horizont von bislang maximal drei Wochen auf bis zu einem Jahr erweitert. Es hat sogar das Potenzial, den Einfluss von neuen SARS-CoV-2 Mutationen zu beschreiben und Hinweise für mittelfristige strategische Planung zur effizienteren Impfstoffverteilung zu geben.
 

Die Modellrechnungen zeigen, dass in vielen Ländern im Sommer 2020 eine Null-COVID-Strategie möglich gewesen wäre. Doch nur, wenn der soziale Ermüdungsprozess sowie rigide Einreisebeschränkungen aufrecht erhalten blieben, so Wirtz.

Durch die Forschung ist der menschliche Umgang mit dem Virus besser analysierbar geworden, was für zukünftige Entscheidungen hilfreich sein kann.

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft
 

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