Emotionen
SCHUTZFAKTOR ZUM ÜBERLEBEN
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Spinnen, Maden, Würmer oder anderes Getier, verschimmeltes Essen, Erbrochenes, Kot, Urin oder Eiter – davor ekeln sich die meisten Menschen. Das Gefühl kann aus dem Anblick bestimmter Substanzen, Lebewesen, Reize oder Situationen resultieren, ebenso wie durch einen als fies empfundenen Geruch oder Geschmack. Neben krabbelndem Kleingetier empfinden Menschen oft tierische Kost, Verfaultes und Übelriechendes als widerlich.
Wer sich ekelt, empfindet eine starke Abneigung und kann darauf sogar mit körperlichen Symptomen wie Übelkeit, Würge- oder Brechreiz, Schweißausbrüchen, Kreislaufproblemen oder einer Ohnmacht reagieren. In der Mimik zeigt sich Ekel durch zusammengekniffene Augen, eine gerümpfte Nase, eine erhobene Oberlippe und manchmal durch eine herausgestreckte Zunge. Die Nasenlöcher werden kleiner und die Augen schmaler, sodass der Körper vor der ekelerregenden Substanz geschützt ist.
Aus wissenschaftlicher Sicht stellt Ekel nicht nur eine lästige Emotion, sondern auch einen schützenden Instinkt dar, welcher der Prävention von Krankheiten und Vergiftungen dient. Der Mensch soll daran gehindert werden, mit den gefährlichen Reizen in Berührung zu kommen, sodass eine Infektion ausbleibt. Die Symptome der Übelkeit und des Erbrechens sorgen dafür, dass verdorbene Nahrung wieder aus dem Organismus gelangt.
Studien zum Ekel Die Wissenschaftlerin Valerie Curtis von der London School of Hygiene and Tropical Medicine hat herausgefunden, dass eine volle U-Bahn als unangenehmer empfunden wird als eine leere, dass infizierte Wunden ekliger erscheinen als trockene und dass ein Mann mit Fiebersymptomen abstoßender wirkt als derselbe Mann im gesunden Zustand.
Dass Ekel ein sinnvoller Mechanismus ist, wird durch diese Beobachtungen bestätigt, denn der Mensch hält sich durch die Emotion von Dingen fern, die ihn krank machen könnten. Die kulturübergreifende Reaktion auf Verwesung interpretieren Wissenschaftler übrigens als universelle Angst vor dem Tod. Ekel ist zudem von dem Objekt abhängig: Die volle Windel des eigenen Kindes wird als weniger schlimm empfunden als die eines fremden Babys.
Auch wenn es bei dem Empfinden von Ekel kulturelle Unterschiede gibt, kann die kulturübergreifende Abscheu vor Verwesung als universelle Angst vor dem Tod gedeutet werden.
Reine Kopfsache Die Fähigkeit, Ekel zu empfinden, ist zwar angeboren, die konkreten Gefühle werden allerdings erst im Rahmen der Sozialisation erworben. Babys und Kleinkinder ekeln sich noch nicht und es kann vorkommen, dass sie beispielsweise mit Würmern oder sogar Kot spielen. Erst im Alter von zwei bis vier Jahren entwickelt sich die Fähigkeit, Abscheu zu empfinden. Dabei spielt die Kultur eine wesentliche Rolle: Während in einigen Ländern dieser Welt Insektengerichte wie Ameisensuppe üblich sind, würde es hierzulande einiges an Überwindung kosten, derartige Speisen zu sich zu nehmen.
Lokalisation Bei der Entstehung von Ekel scheinen zwei Bereiche im Gehirn bedeutsam zu sein: die Insula, ein Teil der Hirnrinde, sowie das Putamen, ein Bestandteil der Basalganglien. Der britische Hirnforscher Andrew Calder führte Untersuchungen an einem Patienten durch, dessen Insula und Putamen durch einen Schlaganfall beeinträchtigt waren. Es stellte sich heraus, dass der Proband weniger Ekel zeigte als Vergleichspersonen und zudem die Emotion auch nicht gut in den Gesichter anderer Menschen erkannte.
Mit der Identifizierung anderer Gefühle wie Glück oder Trauer hatte er dagegen keine Probleme. Auch Patienten mit Chorea Huntington sind nicht in der Lage, Ekel selbst zu spüren oder die Emotion an anderen Gesichtern abzulesen. Die neurodegenerative Erkrankung betrifft vor allem die Basalganglien: Insbesondere die Nervenzellen aus der Insula oder dem Putamen gehen hierbei zugrunde. Eine weitere mit Ekel assoziierte Hirnstruktur ist die Amygdala, ein Teil des limbischen Systems. Hier werden Reize als schädlich oder unschädlich bewertet, was wiederum zu Ekel und zu einem Brech- oder Würgereflex führen kann.
Folgen der Abneigung Um abartige Speisen wieder loszuwerden, kann sich der Organismus erbrechen. Dieser Vorgang wird vom Brechzentrum im Hirnstamm des Gehirns reguliert. Die Ursachen für den Brechreiz sind vielfältig, ein Auslöser stellt das Empfinden von Abscheu dar. Aus Ekel kann auch ein Ausbruch von Herpes labialis resultieren. Der Anblick von widerlichen Bildern kann zu einer Schwächung des Immunsystems führen und dadurch die Aktivierung der schlummernden Herpes-Viren zur Folge haben.
Starker Ekel veranlasst im Hypothalamus auch die Freisetzung des Stresshormons Cortisol, welches die zelluläre Immunabwehr ebenfalls beeinträchtigt. Klinisch relevant wird die Abscheu, wenn Personen unter unkontrollierten Ekelgefühlen leiden und etwa einen Waschzwang entwickeln. Auch extreme Ausprägungen, die beispielsweise bei einer Spinnen- oder Blutphobie vorkommen, sind pathologisch und sollten behandelt werden. Eine Konfrontationstherapie, bei der Betroffene dem Objekt des Ekels stufenweise näher kommen, erzielt häufig Verbesserungen.
Ekel und Moral Eine komplexere Form des Ekels stellt die Reaktion auf unmoralisches Verhalten dar. Valerie Curtis hat Jugendliche in Großbritannien zu diesem Thema befragt: Neben Vergewaltigungen und Nekrophilie gehörten zum Beispiel Folter, Ausbeutung und Diskriminierung zu den Verhaltensweisen, die als widerlich empfunden wurden. Untersuchungen im Magnetresonanztomografen zeigten, dass durch die Verhaltensweisen die gleichen Hirnareale aktiviert wurden wie beim Empfinden des Basisekels.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/18 auf Seite 130.
Martina Görz, PTA und Fachjournalistin