Capsaicin
SCHARFE FRÜCHTCHEN
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Chilischoten, Pepperoni und Co. gehören zu den Paprikafrüchten. An ihrem Stielende, im Inneren der Frucht, sitzt die Plazenta. Dort wird der Wirkstoff gebildet, der für die Schärfe verantwortlich ist und der Pflanze zur Abschreckung von Fressfeinden dient: das Capsaicin. Manche Paprikaarten haben weniger, manche mehr davon. Vor allen Dingen Chili und Peperoni können sehr scharf sein.
Scharf gleich heiß „Hot“ kann im Englischen sowohl „heiß“, als auch „scharf“ bedeuten. Somit beschreibt es die Wirkung von Capsaicin genauer als das deutsche Wort „scharf“, denn das Alkaloid wirkt auf Wärme- und Nozizeptoren ein und löst dadurch einen Schmerzreiz aus, ähnlich dem bei einer Verbrennung. Der Körper reagiert darauf mit sofortiger Gefäßerweiterung, um möglichst viel Hitze über die Haut abzuführen. Darüber hinaus kommt es zur vermehrten Schweißbildung, ebenfalls eine Maßnahme, um die Körpertemperatur über die Verdunstungskälte zu senken.
Direkt auf die Haut aufgebracht verursacht Capsaicin eine lokale Rötung, je nach Stärke des Wirkstoffs kann es sogar zu Verätzungen kommen. Schleimhäute sind dabei besonders gefährdet. Das kennt jeder, der eine Speise mit Chili gewürzt und sich danach versehentlich die Augen gerieben hat. Capsaicin ist wasserunlöslich, weshalb man seine Schärfe nicht mit herkömmlichen Getränken lindern kann.
Eine Ausnahme bildet hochprozentiger Alkohol, denn Capsaicin löst sich in Ethanol. Auch Fetthaltiges wie Milch bietet Linderung, da die Substanz fettlöslich ist. Eine gewisse Wirkung hat auch Brot, das man fest gegen den Gaumen drückt. Dort sitzen viele Schmerzrezeptoren, die man mit dem Brot abdecken und so vor weiterer Capsaicineinwirkung schützen kann.
Therapeutische Anwendung Der Wärmereiz wird seit geraumer Zeit in der Medizin genutzt. So ist Capsaicin zum Beispiel ein Hauptbestandteil in Wärmepflastern, die man auf die schmerzende Stelle klebt, sodass das Capsaicin den Wärmereiz gezielt auslösen kann. Die Wärme regt die Durchblutung an und entspannt die Muskeln. Das Andocken an die Schmerzrezeptoren regt zudem die Produktion von Endorphinen, körpereigenen Schmerzstillern, an. Außerdem hemmt Capsaicin die Wiederaufnahme des Schmerzbotenstoffs Substanz P, sodass Schmerzreize nicht mehr übertragen werden.
Daher haben Wärmepflaster auch eine Wirkung über die reine Applikationszeit hinaus. Sie können normalerweise einige Stunden auf der Haut verbleiben, bei empfindlicher Haut jedoch auch zu schweren Reizungen führen. Außerdem sind sie nicht angezeigt, wenn bereits durchblutungsfördernde Mittel eingenommen werden, da sie deren Wirkung gefährlich verstärken können.
»Die schärfste Chilisorte ist die Trinidad Moruga Scorpion.«
Capsaicin wird aufgrund seiner durchblutungsfördernden Wirkung zudem gegen die Bildung von Thrombosen eingesetzt. Auch der regelmäßige Genuss von capsaicinhaltigen Speisen hilft der Gesundheit, denn die bessere Durchblutung regt die Magen- und Darmtätigkeit an. Darüber hinaus wirkt Capsaicin antibakteriell und fungizid. Womöglich werden scharfe Speisen deswegen in heißen Ländern bevorzugt. Sie kühlen den Körper über die Verdunstungskälte des Schweißes und wirken gleichzeitig gegen Krankheitserreger – ein großer Vorteil in südlichen Ländern mit geringeren Hygienestandards.
Schärfe nach Scoville Die verschiedenen Paprikasorten weisen unterschiedliche Schärfegrade auf. Sie zu bestimmen, schien lange Zeit unmöglich. Trotzdem versuchte der Pharmakologe Wilbur L. Scoville Anfang des 20. Jahrhunderts, eine Schärfeskala zu erstellen. Er ließ Freiwillige eine immer weiter verdünnte Lösung mit Capsaicin trinken und fragte, wann sie keine Schärfe mehr empfanden. Diesen Punkt bezifferte er als Scoville-Grad 0. Reines, kristallines Capsaicin hatte danach, je nach pflanzlichem Ursprung, einen Schärfegrad zwischen 15 und 16 Millionen.
Dieses System war jedoch pseudo-wissenschaftlich, da das Empfinden zum einen sehr individuell ist, sich zum anderen aber auch eine Gewöhnung an die Schärfe einstellt. Außerdem ist selbst innerhalb einer Frucht der Capsaicingehalt unterschiedlich. So ist er an der Plazenta sehr hoch, an der Fruchtspitze jedoch deutlich geringer. Heute ist eine objektive Messung des Gehalts mittels Hochleistungsflüssigkeitschromotografie möglich, man rechnet die Ergebnisse jedoch trotzdem in Scoville-Grade um, da sich diese Einteilung eingebürgert hat.
Gemüsepaprika weisen 0 Scoville-Einheiten auf , Peperoni bis zu 500 und Tabascosauce bereits circa 5000. Die schärfste Chilisorte ist die Trinidad Moruga Scorpion, die über zwei Millionen Einheiten aufweist – so viel wie handelsübliches Pfefferspray.
Wettessen als Mutprobe Die letale Dosis Capsaicin beim Menschen ist nicht bekannt. Es dürfte auch fast unmöglich sein, sich mit Capsaicin umzubringen, da der Körper sich heftig gegen eine Überdosierung wehrt. Wird der Schmerzreiz zu groß, setzt der Schluckreflex aus und es kommt zu Übelkeit und Erbrechen. Folgen einer zu scharfen Speise können jedoch Magenschmerzen, Verätzungen der Magenschleimhaut und sogar ein Kreislaufkollaps sein.
Einige Menschen führen Chilischärfewettessen als Mutprobe durch. Diese finden immer mehr Anhänger, fordern aber auch immer mehr Opfer. In Edinburgh sorgte 2011 das Gericht „Kismot Killer“ dafür, dass zehn der Wettkampfteilnehmer krank wurden und einer sich sogar mehrmals in stationäre Behandlung begeben mussten. Dass die Speise außerdem Nasenbluten auslöste, nahmen die Veranstalter schon als normal hin.
In Augsburg endete die Mutprobe „Chilisoße trinken“ für zehn Schüler in der Notaufnahme. Sie hatten direkt aus der Flasche getrunken und sich durch die Schärfe die Magenschleimhaut verätzt. Trotzdem werden Gewinner solcher Wettessen in Foren und Blogs fast als Helden verehrt. Möglicherweise ist die Ausschüttung von Endorphinen, die nach dem Schmerzreiz eintritt, ein Grund dafür, warum Menschen solche Wettessen veranstalten.
Die Endorphine wirken dem Schmerz entgegen und vermitteln Hochgefühle, ähnlich wie bei einem Drogenrausch. Aufgrund dieser Ähnlichkeit des Wirkmechanismus darf Capsaicin auf keinen Fall zusammen mit Kokain eingenommen werden, denn dadurch erhöht sich die Wirkung des Kokains um ein Vielfaches – die Kombination kann tödlich sein.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 02/14 auf Seite 106.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist