Kommt die denkende Maschine?
RECHNER AM WERK
Seite 1/1 2 Minuten
Kennen Sie das auch? Die Angst davor, Computer könnten eines Tages so leistungsfähig werden, dass sie uns überlegen sein könnten? Während Science-Fiction-Filme voll von solchen Szenarien sind, trat die Forschung zu künstlicher Intelligenz in der realen Welt nach anfänglicher Euphorie in den 1950er- und 1960er-Jahren jahrzehntelang auf der Stelle. Versuche, das menschliche Denken durch auf vorgegebenen Regeln basierenden Computerprogrammen nachzubilden, blieben trotz der mittlerweile zur Verfügung stehenden enormen Rechenleistung moderner Supercomputer weit hinter den Fähigkeiten menschlicher Gehirne zurück.
Lediglich in einigen wenigen Spezialbereichen, etwa dem Schachspiel, konnten solche Maschinen bisher Menschen schlagen, und dies auch nur unter ungeheurem Aufwand und ohne die Fähigkeit, auch andere Aufgaben zu lösen, die Menschen problemlos bewältigen: Ein Schachcomputer kann keine Fremdsprache übersetzen. Doch eine neue Herangehensweise an das Problem hat hier vor kurzem möglicherweise eine entscheidende Wende gebracht. Sogenannte neuronale Netze, bei denen im Rechner simulierte Nervenzellen sich nach bestimmten, an die Funktionsweise echter Gehirne angelehnten Regeln und als Netzwerk insgesamt lernen können, erleben seit einigen Jahren eine Renaissance.
Schuld sind sogenannte „deeplearning“-Verfahren, mit denen es erstmals gelungen ist, Millionen simulierter Neurone selbstorganisiert zu vernetzen und lernen zu lassen. Google etwa fütterte ein solches Netz mit zehn Millionen Bildern von YouTube und der Computer fand eigenständig durch Lernen häufig wiederkehrende Muster wie etwa Katzen. Das heißt, die Maschine kann nun Katzen erkennen, auch solche, die sie vorher noch nie „gesehen“ hatte, weil sie selbständig ein abstraktes Konzept einer Katze entwickelt hat. Das Ganze hat die experimentelle Phase längst verlassen, denn zum Beispiel auch die Sprachsteuerung Ihres Smartphones basiert auf deep-learning und auch in der Forschung, etwa bei der Suche nach neuen Pharmaka, wird das Verfahren bereits eingesetzt.
Völlig anders als bei klassischen Computern ist auch die Tatsache, dass wir nicht verstehen, was in diesen künstlichen Netzwerken im Detail passiert. Erstmals können wir funktionierende Maschinen bauen, ohne zu wissen, wie sie eigentlich funktionieren, da wir nur die Regeln vorgeben, wie sich die Neurone darin vernetzen, aber später nicht mehr verstehen, wie einzelne Verbindungen im Netzwerk zu dessen Gesamtfunktion beitragen. Echte KI mit denkenden, sich ihrer Selbst bewussten Maschinen, rückt so aus der Science-Fiction in greifbare Nähe, und vielleicht helfen uns die Maschinen irgendwann sogar, die Funktionsweise unserer eigenen Gehirne zu begreifen – eine Vorstellung, die unheimlich und faszinierend zugleich ist, finden Sie nicht auch?
Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de
Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/15 auf Seite 12.
Die beliebten Kolumnen von Prof. Dr. Schulze finden Sie
inzwischen auch gesammelt in einem Buch:
Streifzüge durch unser Gehirn
34 Alltagssituationen und ihre neurobiologischen Grundlagen.
Weitere Informationen und Bestellmöglichkeit...
Prof. Dr. Holger Schulze