Medizinische Fachgebiete
PSYCHIATRIE
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Persönlichkeitsstörungen, Depressionen, Psychosen, bipolare oder somatoforme Störungen, Panik, Agoraphobie, generalisierte Angststörungen, Bulimie, Anorexia nervosa, Demenz oder soziale Phobien sind Beispiele für psychische Erkrankungen, die im Rahmen der Psychiatrie behandelt werden. Die seelischen Leiden sind weit verbreitet – laut Arno Deister, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), erkrankt jeder vierte Deutsche einmal im Jahr psychisch. Der Begriff Psychiatrie stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt Seelenheilkunde (Psyche = Seele; iatrós = Arzt).
In dieser Disziplin beschäftigt man sich mit der Vorbeugung, der Diagnostik, der Behandlung sowie der Rehabilitation psychischer und psychosomatischer Störungen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie stellt ein eigenes Fachgebiet dar, während die Geronto- oder die forensische Psychiatrie Spezialisierungen der Psychiatrie sind. Psychiater sollten nicht nur die psychischen und die somatischen Dimensionen berücksichtigen, sondern auch die soziale Komponente in Betracht ziehen – schließlich leben Individuen im Kontext ihres sozialen Umfelds und werden durch diesen beeinflusst.
ICD-10 und DSM-5 Die Diagnostik psychischer Erkrankungen findet anhand der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesund- heitsprobleme (ICD, engl.: International Statistical Classification of Deseases, Injuries and Causes of Death), welche das weltweit wichtigste Klassifikationssystem darstellt, statt. Im Kapitel V des ICD-10 sind psychische und Verhaltensstörungen in Bezug auf ihren Schweregrad sowie ihr Erscheinungs- und Verlaufsbild aufgelistet. Im Sommer 2018 hat die WHO (Weltgesundheitsorganisation) einen Entwurf für die elfte Version des ICD vorgestellt, die ab Januar 2022 gelten soll. Das DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) ist das dominierende psychiatrische Klassifikationssystem in den USA, wurde von der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA) herausgegeben und definiert ebenfalls psychiatrische Erkrankungen.
Definition Eine psychische Störung ist durch eine erhebliche Abweichung von der Norm im Erleben und Verhalten charakterisiert und bezieht sich auf das Denken, Fühlen und Handeln des Patienten. Dabei werden die Begriffe „Störung“ und „Symptom“ meist nicht klar voneinander abgegrenzt, als Symptom gilt eine subjektive Beschwerde (zum Beispiel Angst) oder ein objektiv beobachtbares Krankheitsanzeichen. Eine psychische Erkrankung dauert nach DSM-5 länger an oder kehrt zurück, wobei der persönliche Leidensdruck sowie die Belastung für die Umwelt bei der Definition mit berücksichtigt werden müssen.
Die Beschwerden dürfen laut DSM-5 nicht auf Drogen oder Medikamente zurückzuführen sein und verursachen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen ein klinisch bedeutsames Leiden. Normale Trauer oder sozial abweichendes Verhalten im religiösen, politischen oder sexuellen Sinne zählt laut DSM-5 nicht zu den psychischen Störungen. Früher unterschieden Psychiater zwischen Neurosen (Verhaltensauffälligkeiten um Zusammenhang mit frühkindlichen Konflikten) und Psychosen (schwere seelische Störungen). Die Begriffe sind unter Fachleuten heutzutage umstritten und wurden in den Diagnosesystemen DSM-IV und ICD-10 durch die Bezeichnung „psychische Störung“ abgelöst.
Multifaktorielles Geschehen Psychischen Erkrankungen liegen multifaktorielle Ursachen wie etwa körperliche Leiden, genetische Faktoren, belastende Erfahrungen, aktuelle Lebenssituationen oder zwischenmenschliche Konflikte zugrunde. Entsprechend basieren Therapie und Rehabilitation auf multidimensionalen Ansätzen und erfordern die Kooperation mit Gebieten der Allgemeinmedizin, der klinischen Psychologie, der Neurologie oder der psychosomatischen Medizin. Grundsätzlich werden psychische Erkrankungen entweder mit einer Psychotherapie, Pharmakotherapie oder einer Kombination aus beidem behandelt. Die Auswahl des Verfahrens hängt von der Präferenz des Betroffenen, von der Art sowie von der Schwere der Störung ab.
Medikamentöse Behandlung Eine veränderte Übertragung der Transmitter an den Synapsen kann für ein psychisches Ungleichgewicht verantwortlich sein. Dabei ist entweder die Freisetzung beziehungsweise die Inaktivierung der Transmitter eingeschränkt oder die postsynaptischen Rezeptoren sind modifiziert. Psychopharmaka beeinflussen die biochemischen Prozesse im Gehirn und bewirken auf diese Weise eine Veränderung des psychischen Zustands.
Zu dieser Medikamentengruppe zählen unter anderem Antidepressiva, die zum Teil auch bei Ess-, Angst- oder Zwangsstörungen eingesetzt werden, klassische sowie atypische Neuroleptika oder Antipsychotika, welche bei Schizophrenie, manischen Phasen einer bipolaren Störung, Unruhezuständen, Entzugssymptomen, Wahn und Halluzinationen zum Einsatz kommen. Hypnotika leiten den Schlaf ein und haben eine angstlösende und beruhigende Wirkung, während Anxiolytika, zu denen Benzodiazepine zählen, ebenfalls der Minimierung von Ängsten dienen. Es existieren auch pflanzliche Psychopharmaka wie beispielsweise Johanniskraut, welches der Stimmungsaufhellung dient.
Verwechselungsgefahr Unter Laien herrscht oft Unklarheit bezüglich der Unterscheidung der Berufe Psychiater, Psychotherapeut und Psychologe. Der Psychiater ist ein Facharzt für seelische Erkrankungen und kümmert sich um die Verordnung von Psychopharmaka. Nach einem Studium der Medizin absolviert er eine Facharztausbildung zum Psychiater. Psychotherapeut ist die Berufsbezeichnung für einen psychotherapeutisch tätigen Mediziner (Ärztlicher Psychotherapeut), Psychologen (Psychologischer Psychotherapeut) oder Pädagogen.
Aktuelles aus der Forschung Wissenschaftler des Brainstorm Consortiums haben unter Beteiligung von Humangenetikern des Universitätsklinikums Bonn herausgefunden, dass psychischen Erkrankungen eine gemeinsame genetische Basis zugrunde liegt. Sie untersuchten genetische Zusammenhänge zwischen 25 psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen und entdeckten weitreichende genetische Überschneidungen, insbesondere zwischen Schizophrenie, Depressionen, bipolaren Störungen und ADHS. Kritik übten die Forscher daran, dass die aktuellen Diagnosekriterien diese Ähnlichkeiten nicht genau genug wiedergäben.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/19 ab Seite 106.
Martina Görz, PTA, Psychologin und Fachjournalistin