Unser Immunsystem – Teil 3
AUSFALL DER ABWEHR
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Wie viele Infekte pro Jahr sind noch normal? Und ab wann ist von einem Immundefekt als Ursache auszugehen? Diese Grenzen zu ziehen ist nicht immer einfach. Neben der Krankheitshäufigkeit existieren weitere Merkmale, die auf einen Immundefekt hinweisen können:
Infektionen, die schwerer verlaufen als gewöhnlich oder solche, die trotz angemessener Behandlung nur schlecht ausheilen, können Anzeichen dafür sein, dass die Immunabwehr nicht einwandfrei funktioniert. Auch Infektionen mit ungewöhnlichen Erregern und an ungewöhnlichen Stellen des Körpers können darauf hinweisen.
Prinzipiell lassen sich Immundefekte in primäre, meist angeborene und sekundäre, erworbene Störungen des Immunsystems unterteilen. Die alte Lehrmeinung, dass Immundefekte ausgesprochen selten sind, gilt heute als überholt. Experten gehen davon aus, dass eine von 1200 bis 2000 Personen an einem primären Immundefekt leidet. Allerdings werden diese Erkrankungen oftmals lange nicht als solche erkannt.
Von Geburt an Konkret nennt die Deutsche Selbsthilfe Angeborene Immundefekte e.V. zwölf Kriterien, die bei Kindern auf einen angeborenen Immundefekt hinweisen:
- Mehr als zwei Lungenentzündungen pro Jahr
- Mehr als zwei schwere Nasennebenhöhlenentzündungen im Jahr
- Mehr als acht neue Ohrinfektionen in einem Jahr
- Knochenmark- und Hirnhautentzündungen oder schwere Infektionen
- Dauerhafter Belag im Mund oder anderswo nach dem ersten Lebensjahr
- Erkrankungen durch normalerweise ungefährliche Bakterien (atypische Mykobakterien)
- Unklare chronische Rötungen bei Säuglingen an Händen und Füßen (Graft-vs.-Host-Disease)
- Wiederkehrende tiefe Hautoder Organabszesse
- Mehr als zwei Monate Antibiotikatherapie ohne Effekt oder intravenöse Antibiotikatherapie
- Anamnese mit Primärem-Immundefekt-Patienten in der Familie
- Durch Impfungen ausgelöste Erkrankungen bei Kindern und Säuglingen
- Geringes Wachstum, geringes Körpergewicht.
Treffen eines oder mehrere dieser Symptome zu, so sollte an einen angeborenen Immundefekt gedacht werden. Davon kennt man mittlerweile mehr als 200 verschiedene. Sie werden durch Mutationen in verschiedenen Genen verursacht und sind fast immer vererbt. Selten können sie als Folge von spontanen Mutationen entstehen. Die International Union for Immunological Societies (IUIS), ein Zusammenschluss immunologischer Fachgesellschaften, gibt regelmäßig aktualisierte Aufstellungen und Klassifikationen der angeborenen Immundefekte heraus. In die letzte, die im Frühling dieses Jahres erschienenen ist, sind wieder mehr als 30 neue Gendefekte aufgenommen worden.
Die IUIS teilt die primären Immundefekte je nach Art der Störung in neun Klassen ein: Diese orientieren sich daran, welche Komponente(n) des Immunsystems betroffen ist beziehungsweise sind: (1) Kombinierte Immundefekte, bei denen mehrere Komponenten des Immunsystems betroffen sind und keine nicht-immunologischen Symptome auftreten, (2) kombinierte Immundefekte, bei denen die Patienten auch unter nicht-immunologischen Symptomen leiden, (3) Immundefekte, bei denen ein Antikörpermangel im Vordergrund steht, (4) Störungen der Immunregulation, (5) Defekte der Phagozytenzahl und/oder -funktion, (6) Defekte der natürlichen Immunität, (7) autoinflammatorische Störungen, (8) Komplementdefekte und (9) sogenannte Phänokopien von primären Immundefekten, also Erkrankungen, die aussehen wie primäre Immundefekte, aber nicht angeboren, sondern erworben sind.
Schweregrade Das Ausmaß der Erkrankung hängt von der Art der Störung ab. Manche Immundefekte sind so schwer, dass betroffene Säuglinge ohne Behandlung in den ersten Wochen nach der Geburt versterben. Einige Formen treten aber auch erst im Jugend- oder sogar im Erwachsenenalter in Erscheinung. Der schwerste Immundefekt ist der Schwere Kombinierte Immundefekt (SCID). Er beruht auf einer Störung der T- und B-Zellen sowie oftmals auch der NK-Zellen.
Ursache können verschiedene genetische Defekte sein. Unbehandelt verläuft ein SCID fast immer tödlich. Mit einer Knochenmarktransplantation kann heute jedoch die Mehrheit der Patienten geheilt werden.
Behandlung Eine Möglichkeit ist, Infektionen mit Antibiotika, Antimykotika oder antiviralen Medikamenten zu behandeln. Wenn die Gabe als Tablette oder Saft nicht ausreicht, kann sie intravenös erfolgen. Bei manchen Immundefekten kann auch eine vorbeugende Einnahme erforderlich sein.
Das zweite Behandlungsprinzip besteht darin, die Immunantwort zu stärken. Dazu können, je nach Immundefekt, regelmäßig Immunglobuline verabreicht und so die fehlenden Antikörper ersetzt werden. In einigen Fällen können Wachstumsfaktoren die Vermehrung von weißen Blutkörperchen ankurbeln. Als drittes und kausales Therapieprinzip ist für ausgewählte schwere Immundefekte die Stammzelltransplantation zu nennen. Für die Zukunft setzen viele Experten in Hoffnung auf die Gentherapie, mit der die veränderten Gene durch gesunde ersetzt werden sollen. Für den Beratungsalltag: Eine Immunstimulation mit Echinacea und Co. ist bei genetisch bedingten Immundefekten nicht sinnvoll.
ZUSATZ-INFORMATIONEN
Sekundäre Immundefekte
Neben den angeborenen spielen die erworbenen eine wichtige Rolle. Ihre möglichen Ursachen sind so zahlreich, dass sich die Häufigkeit ihres Vorkommens nicht beziffern lässt. Der vermutliche bekannteste Auslöser ist das HI-Virus, der Erreger der Immunschwäche-Krankheit AIDS. Darüberhinaus können maligne Erkrankungen insbesondere des blutbildenden Systems – und auch Chemotherapien – Immundefekte verursachen.
Auch Systemerkrankungen, bei denen es zu Proteinverlusten über die Niere oder der Darm kommt, können das Immunsystem schwächen, weil auch Antikörper verloren gehen. Bekannt ist zudem, dass sich Mangelernährung und großflächige Verbrennungen negativ auf das Immunsystem auswirken. Die Behandlung der sekundären Immundefekte richtet sich nach ihrer Ursache; auch die Therapien der primären Immundefekte können zum Einsatz kommen. Ganz normal hingegen ist die Abnahme des Immunsystems im Alter.
Teil 1 finden Sie hier, zu Teil 2 kommen Sie hier.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/14 ab Seite 104.
Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin