Geschlechtsgebundene Erkältung
EIN MANN, EIN VIRUS
Seite 1/1 4 Minuten
Rauf und runter geht es zurzeit in den Medien: „Ist doch was dran an der Männergrippe?, „Männergrippe ist kein Scherz“ oder „Mythos Männergrippe: Ja! Es gibt sie wirklich“ lauten nur einige der Schlagzeilen und ein Nachrichtenportal postete gar: „Erste Intensivstation für an Erkältung erkrankte Männer eröffnet“.
Auf dem dazugehörigen Foto ist ein komplett verkabelter Mann im Krankenhausbett zu sehen, der an einer… ja, es ist wohl eine Herz-Lungen-Maschine, hängt. Über ihn beugt sich mit teilnehmendem Blick eine in korrekte Berufsbekleidung gewandete Krankenschwester, sehr hübsch, sehr blond.
Legende oder Wahrheit Ja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Tatsächlich scheint es so zu sein, dass das männliche Geschlecht an den Begleiterscheinungen eines grippalen Infektes mehr leidet als Frauen es tun. Doch was ist dran an der Legende, die so gern unterstellt, dass auch die echten Kerle ihre wehleidige Seite haben?
Zunächst einmal: Wie eine Rhinitis entsteht, weiß jede PTA aus dem Effeff. Normalerweise ist unser Immunsystem auf Zack und eliminiert die durch Tröpfcheninfektion übertragenen Rhinoviren so, dass wir es gar nicht mitbekommen, aber in der nasskalten, kühlen Jahreszeit, die jetzt wieder vor der Tür steht, gibt es den einen oder anderen Störmoment. So setzt die Kälte die Durchblutung der Schleimhaut herab, und dieser Umstand verlangsamt das Reaktionsvermögen des Immunsystems.
Die Virenarmee schleust sich selbst über die Nasenschleimhaut ein und schon ist die Misere da: Aufgrund der schleppenden Immunantwort hat sie bereits eine Menge Körperzellen gekidnappt und ihnen befohlen, nur noch Viren-DNA zu produzieren, bevor Gegenmaßnahmen in Gang kommen.
Triefnase als Sofortmaßnahme Es gibt 200 verschiedene Rhinoviren – der menschliche Körper hat einfach nicht auf jede eine Antwort und muss Antikörper nachproduzieren. Das dauert neun bis vierzehn Tage. In dieser Zeit leiden wir an einem grippalen Infekt oder auch, volkstümlich, an einer Erkältung oder einem Schnupfen.
Die dazugehörige Triefnase ist eine Sofortmaßnahme, um die Viren per Flüssigkeit hinauszugeleiten. Es ist eine lästige, aber keine bedrohliche Krankheit; es sei denn, man hat die echte Grippe, die Influenza, erwischt. Die macht mit schlagartigem hohem Fieber und dramatischen körperlichen Begleiterscheinungen auf sich aufmerksam. Wahrscheinlich waren es die Männer leid, dass ständig über sie gelästert wurde. Schon früh, nämlich in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, gab es eine Studie über das Empfinden von Erkältungssymptomen (MacIntyre 1993), bei der herauskam, dass Männer diese Symptome tatsächlich schlimmer bewerten als Frauen.
Aber das half nicht wirklich weiter. Zwanzig Jahre später nahm sich eine Gruppe von Forschern dem Phänomen erneut an und veröffentlichte ihre Schlüsse im „American Journal of Physiology – Lung Cellar and Molecular Physiology“. Was herauskam, ist wirklich ein Hammer: Dass Männer stärker unter einer Grippe leiden als Frauen, ist nun wissenschaftlich erwiesen. Und vor allem: warum.
Es ist was dran Die Forscher nahmen als Ausgangspunkt die Frage: Warum reagieren Männer körperlich anders auf Medikamente als Frauen? Man vermutete, dass die geschlechtsspezifischen Hormone dafür verantwortlich sind. Konkret hieß das: Ist der niedrigere Estrogenspiegel ursächlich verantwortlich für die „Männergrippe?“ Dafür entnahmen die Wissenschaftler gesunden männlichen und weiblichen Probanden Zellen aus der Nasenschleimhaut. Diesen Zellen setzte man Estrogen zu; nach 24 Stunden wurden die Zellen zudem mit Influenza A-Viren in Kontakt gebracht. Danach maß man die Viruslast der Zellen kontinuierlich über 48 Stunden.
Männernasen, Frauennasen Und das Ergebnis war eindeutig. Die Zugabe des Estrogens verringerte die Viruslast deutlich – aber nur bei den Zellen aus weiblichen Nasen! Fütterte man Männernasenzellen mit Estrogen, blieb das ohne Wirkung; in ihnen wimmelte es nur so von Viren, mit stündlich wachsender Tendenz. Die Herren, so folgerten die Wissenschaftler, müssten mit dieser genetischen Benachteiligung einfach leben, was stärkere Symptome einschließt.
Immerhin fanden sie heraus, wie genau die Immunantwort auf (weiblicher) Zellebene funktioniert: Der Estrogenrezeptor beta hindert die Rhinoviren an ihrer Vermehrung; es wird demnach einfach nicht so viel Viren-DNA produziert. Das überprüften die Forscher, indem sie den beta- Rezeptor mit einem selektiven Estrogen-Rezeptormodulator (SERM) außer Kraft setzten. Sofort waren die antiviralen Eigenschaften des Estrogens unterbunden.
Testosteron und Estrogen So ganz kam man dem Grund dafür nicht auf die Spur, denn Männer haben ja schließlich auch Estrogen mit den passenden Rezeptoren im Körper, nur nicht so viel. Möglicherweise, so sagen die Forscher, verlangsamt Estrogen den Zellmetabolismus insgesamt. Vielleicht ist auch die Anwesenheit und der Einfluss des Geschlechtshormons Testosteron auf bestimmte Gene entscheidend, da es das Immunsystem in seiner Aktivität bremst.
Je höher also der Testosterongehalt im Menschen, desto geringer fällt die Reaktion des Immunsystems aus. Das Fazit: Männer leiden stärker als Frauen. Sie haben einfach mehr Viren intus. Den konkreten Nutzen aus dieser Studie genießen dann auch nur Frauen: Oral eingenommene Estrogenpräparate, die zur Empfängnisverhütung oder in der Postmenopause zur Hormonersatztherapie eingesetzt werden, könnten während der saisonalen Influenzaepidemien besser vor der Grippe schützen.
Skandalpotenzial Der Redaktion von „DIE PTA IN DER APOTHEKE“ ist zu Ohren gekommen, dass Männer diese neu gewonnenen wissenschaftlichen Einsichten schamlos ausnutzen. So fand man Exemplare dieser Spezies schon bei den geringsten Anzeichen einer Erkältung (kratzender Hals, laufende Nase) fest auf dem heimischen Wohnzimmersofa liegend mit schwacher Stimme um Ibuprofen, Nasenspray, Hühnersuppe und die Spielekonsole bittend.
Ihre Frauen, verunsichert von der derzeitigen Studienlage, beeilten sich, ihren Wünschen nachzukommen und daneben noch den Haushalt, die Kinder, den Beruf und was sonst noch so anfällt zu bewältigen. Die Frage bleibt offen, wann der Umkehreffekt (auch Rebound- Effekt genannt) eintritt. Selbstverständlich halten wir Sie, liebe PTA, auch in Zukunft auf dem Laufenden.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 164.
Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion