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Psychologie in der Apotheke

PANIK ÜBER DEN WOLKEN

Weiche Knie, feuchte Hände und ein Gefühl der Beklemmung kurz vor dem Abheben kennt fast jeder. Aviophobiker hingegen geraten an Bord eines Flugzeugs regelrecht in Panik. Sie leiden an Flugangst.

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Schon auf der Fahrt zum Flughafen zeigen sich die ersten Beschwerden: Der Puls rast, die Muskulatur verspannt sich und es kommt zu Schweißausbrüchen, denn der Körper signalisiert, dass er lieber am Boden bleiben möchte. Manche Menschen leiden sogar schon Tage oder Wochen vor dem „Horrortrip“ unter starken Ängsten und betreten die Gangway schließlich mit schlotternden Knien. Schließt die Kabinentür des Flugzeugs, treten bei Betroffenen mit Flugangst unter anderem Herzrasen, Panik, ein flaues Gefühl in der Magengegend, schweißnasse Hände, Atemnot oder Kreislaufprobleme auf. Nach dem Abheben zucken sie bei nahezu jeder unregelmäßigen Bewegung der Maschine zusammen.

Mögliche Ursachen Der Begriff Aviophobie (Flugangst) leitet sich zum einen von dem lateinischen Wort „avis“ für „Vogel“ und zum anderen von dem griechischen Begriff „phobos“ für Angst ab. Immerhin jeder vierte Bundesbürger soll darunter leiden. Im ICD-10 ist die Flugangst den spezifischen Phobien (F40.2) zugeordnet, die sich gewöhnlich in der Kindheit oder im frühen Erwachsenenalter entwickeln und unbehandelt jahrzehntelang bestehen. Experten zufolge liegen die Auslöser in einer Kombination aus Kontrollverlust, mangelndem Vertrauen in die Technik sowie in der Angst vor unbekannten Situationen.

Die Enge im Flugzeug, die Höhe, der fehlende Kontakt zum Piloten oder der Umstand, im Fortbewegungsmittel „gefangen“ zu sein, rufen bei Personen mit Flugangst die Symptome hervor. Auch eigene schlechte Erfahrungen wie Turbulenzen oder selbst erlebte Notlandungen schüren Katastrophenfantasien und die Angst vor dem Abstürzen. Meist befürchten Aviophobiker ein technisches Versagen der Maschine und lassen außer Acht, dass das Passagierflugzeug das sicherste Verkehrsmittel ist. Zusätzlich verstärken Unglücke wie der Absturz der Germanwings-Maschine im März 2015 die Panik vor dem Fliegen.

Kategorisierung der Furcht Wie andere Angststörungen manifestiert sich Flugangst auf drei Ebenen: Katastrophenfantasien, bei denen Betroffene davon überzeugt sind, den Flug nicht zu überleben, sind der emotionalen Ebene zuzuordnen. Zu den physischen Symptomen zählen Verspannungen, Schwitzen, Herzrasen, Atemnot und Kreislaufprobleme, während die Reaktion auf der Verhaltensebene zum Beispiel eine Vermeidung der angsterfüllenden Situation sein kann. In diesem Fall verzichten Aviophobiker auf Flugreisen und wählen Zug oder Auto als Fortbewegungsmittel.

Flugangst besiegen Menschen mit schwerer Aviophobie entscheiden sich mitunter zu einer Teilnahme an einem eineinhalb bis zwei Tage andauernden Flugangst-Seminar. Darin analysieren sie ihre Ängste hinsichtlich der physischen und psychischen Beschwerden sowie im Hinblick auf etwaige Vermeidungsstrategien. Psychologen üben mit den Teilnehmern Entspannungstechniken oder mentale Strategien zur Angstbewältigung, außerdem erlernen Aviophobiker die Methoden der gezielten Aufmerksamkeitsleitung, der positiven Selbstverbalisation sowie des Gedankenstopps. Im Rahmen des Seminars beantworten erfahrene Piloten Fragen und informieren über die Technik des Fliegens.

Sie erklären beispielsweise das Cockpit, berichten über Sicherheitsvorkehrungen sowie über die technische Ausstattung der modernen Flugzeuge. Das Ziel ist, die Ängste der Teilnehmer durch rationale Argumente zu verringern. Der Abschluss einiger Seminare besteht aus einem begleiteten Linienflug mit einem Therapeuten. Die Teilnahme an einem Flugsimulator-Training dient der Konfrontation mit der Angst. Vorteilhaft ist, dass Betroffene Situationen erleben, die sie in Panik und Schrecken versetzen, sie aber dennoch die Kontrolle behalten und jederzeit abbrechen können.

Auch eine Verhaltenstherapie ist sinnvoll und zählt zu den erfolgreichsten Verfahren der Psychotherapie. Hypnose ist ebenfalls ein mögliches Mittel, das zur Behandlung von Ängsten zum Einsatz kommt. Dabei geraten Aviophobiker in einen tranceähnlichen Zustand und legen ihre Katastrophengedanken ab. Generell ist es wichtig, nach einer überwundenen Flugangst regelmäßig abzuheben, denn nur so bleibt die Furcht dauerhaft fern.

Ruhig über den Wolken Aviophobiker sollten sich durch Entspannungstechniken wie der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobsen oder durch positive Suggestionen („Ich fühle mich sicher und bin entspannt.“) selbst beruhigen. Gespräche mit dem Personal, Entspannungsmusik oder Ablenkung (zum Beispiel durch Filme oder ein spannendes Buch) helfen während des Fluges dabei, gelassen zu bleiben. Die Anwesenheit einer vertrauten Person oder das Kneten von Anti-Stress-Bällen wirkt sich ebenfalls lindernd auf die Flugangst aus. Im Vorfeld ist es ratsam, sich mit der Unfallstatistik von Flugzeugen zu beschäftigen, denn sie sind die sichersten aller Verkehrsmittel.

Um sich körperlich wohlzufühlen, empfiehlt es sich, viel zu trinken, nur leichte Speisen zu sich zu nehmen und bequeme Kleidung zu tragen. Alkoholkonsum gegen die Aviophobie ist jedoch alles andere als eine gute Idee. Die Bewältigung von Problemen mit Suchtmitteln führt dauerhaft zur Gewöhnung und die Angst bleibt bestehen. PTA und Apotheker können im Beratungsgespräch pflanzliche Beruhigungsmittel (zum Beispiel auf der Basis von Baldrianwurzel, Passionsblumenkraut oder Lavendelöl) zur Unterstützung anbieten.

Auch homöopathische Präparate helfen gegen die Flugangst: Borax eignet sich bei Turbulenzen und Unwohlsein, während Aconitum körperliche Unruhe und Engegefühle lindert. Der Arzt kann bei einer sehr ausgeprägten Angstsymptomatik Medikamente wie Benzodiazepine verordnen, allerdings werden die Beschwerden dadurch nur unterdrückt und die generelle Aviophobie bleibt bestehen. Zusätzlich ist das Abhängigkeitspotential der Benzodiazepine nicht unerheblich.

Exkurs Klaustrophobie Manche Menschen bekommen in engen oder geschlossenen Räumen (wie dem Flugzeug) Angstzustände oder Panikattacken, da sie keine Möglichkeit sehen, der Situation zu entfliehen. Die Klaustrophobie, auch Raumangst genannt, zählt ebenso wie die Aviophobie zu den spezifischen Phobien. Sie kann sich als leichtes Unbehagen sowie bei starken Ausprägungen als Panik mit körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Schweißausbrüchen, Atemnot oder Hyperventilation bemerkbar machen.

Wirksame Maßnahmen gegen die Raumangst sind Entspannungsmethoden, die Konfrontation mit bedrohlich erscheinenden Situationen sowie eine kognitive Verhaltenstherapie. Flugreisende mit Klaustrophobie sollten am besten einen Sitzplatz im Gang wählen. Hier können sie während des Fluges besser aufstehen und auf und ab gehen, zudem sind die Flugbewegungen auf diesen Plätzen weniger spürbar.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/19 ab Seite 64.

Martina Görz, PTA, Psychologin und Fachjournalistin

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