Repetitorium
PALLIATIVMEDIZIN – TEIL 1
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In der Palliativmedizin, also der Versorgung unheilbar Schwerstkranker, liegt das Hauptaugenmerk jedoch nicht nur auf der reinen Versorgung mit Arzneimitteln. Es muss und sollte Ziel sein, auch zur Optimierung der Arzneimitteltherapie beizutragen. Jede Apotheke ist zudem für Angehörige, aber auch noch gehfähige Patienten, wichtiger Ansprechpartner für kleinere und größere Probleme im Alltag, die nicht alle zwangsläufig mit der Medikation zusammenhängen müssen. Das Personal als wichtiger Wegweiser, Vermittler und Vertrauter – dieses Ziel sollte die Apotheke bei der Versorgung vor Augen haben.
Was ist Palliativmedizin überhaupt? Die Weltgesundheitsorganisation definiert „Palliative Care“ (Palliativmedizin) als einen „Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Krankheit einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.“
Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) definiert Palliativmedizin als „Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung für die das Hauptziel der Begleitung die Lebensqualität ist“. Damit ist die Palliativmedizin weder auf onkologische, also Krebspatienten limitiert, noch auf die letzten Lebenswochen oder bestimmte Symptome. Dennoch ist davon auszugehen, dass die meisten Palliativ- und Hospizeinrichtungen heute überwiegend Tumorpatienten betreuen.
Für die meisten Betroffenen ist ein „würdevolles Sterben zu Hause“ allerdings Hauptinteresse. Mittlerweile ist es gesellschaftlicher Konsens, dass alles dafür getan werden sollte, um ein Sterben in angenehmer Umgebung, unter menschlicher Fürsorge und einem Optimum an medizinischer und pflegerischer Versorgung zu ermöglichen.
Spezialisierte ambulante Palliativversorgung Ziel der palliativmedizinischen Versorgung ist es somit, schwerstkranke Patienten zu betreuen und ihre Lebensqualität zu steigern. Das Leben des Patienten soll so aktiv, zufrieden, schmerz- und beschwerdefrei wie möglich sein. Seit dem 1. April 2007 besteht für Versicherte nach dem Sozialgesetzbuch (SGB V) deshalb auch ein Anspruch auf eine „spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ (SAPV). Dieser neue Leistungsanspruch steht Palliativpatienten mit begrenzter Lebenserwartung zu, die einen besonderen Versorgungsbedarf aufweisen und dennoch ambulant versorgt werden könnten.
»Ziel ist es, schwerstkranke Patienten zu betreuen und ihre Lebensqualität zu steigern.«
In der Regel verordnet der Hausarzt eine solche palliativmedizinische Behandlung. Dennoch ist das Angebot einer Palliativversorgung in Deutschland bis heute nach wie vor die Ausnahme und nicht die Regel. Um den komplexen Bedürfnissen schwerstkranker Menschen gerecht zu werden, müssen kompetent ausgebildete Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen, etwa Ärzte, Pfleger, Sozialarbeiter, Psychologen, Krankengymnasten, Trauerberater und Apotheker mit ihrem pharmazeutischen Personal, professionell in einem Team zusammenarbeiten. Dieses Versorgungsnetz muss erst noch erheblich ausgebaut werden.
Wachstumsmarkt mit Alleinstellungspotenzial Die Palliativversorgung kann für Apotheken ein sehr interessantes Betätigungsfeld sein. Zum einen benötigen gerade Menschen in der letzten Lebensphase überproportional viele Arzneimittel. Bei der Versorgung von Hospizen sind Apotheken mit ihrem pharmazeutischen Fachpersonal in der Regel Teil des betreuenden Teams. Ebenso sind Apotheken, die Alten- und Pflegeheime beliefern, meist mit den Problematiken alter, bald sterbender Menschen stärker vertraut. Für die „Spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ können SAPV-Verträge mit den Krankenkassen geschlossen werden oder die Kassen stellen einen Fonds für palliativmedizinische Dienste zur Verfügung, aus dem die Leistungen finanziert werden.
Apotheker Dr. Matthias Rothenberger, Apotheke am Hochfeld, Wiesbaden, Teilnehmer am Palliativnetz Wiesbaden, bringt einen weiteren Vorteil auf den Punkt: Palliativ-pharmazie „kann keine Internetapotheke und keine Kette“. Während der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) davon ausgeht, dass etwa zehn Prozent aller Sterbenden, also etwa 80 000 Patienten pro Jahr eine besonders intensive Betreuung (SAPV) benötigen, nimmt allein aufgrund des demografischen Wandels auch der allgemeine palliativmedizinische Betreuungsbedarf zu. 2030 werden etwa 29 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre sein. Insbesondere Demenz, Herz-Kreislauf- und maligne Erkrankungen werden deutlich zunehmen – und damit der Bedarf an palliativmedizinischer Versorgung.
Geschichte und Entwicklung Die heutige Hospiz- und Palliativbewegung hat ihren Ursprung in den 1960er-Jahren in London. Die Krankenschwester, Ärztin und Sozialarbeiterin Cicerly Saunders gründete 1967 das St. Christopher’s Hospice, das in den folgenden Jahrzehnten zum Wegbereiter der Hospizidee und Palliativmedizin werden sollte.
In ihrer Arbeit verband Saunders die christliche Tradition der Sterbebegleitung, wie sie schon in mittelalterlichen Hospizen praktiziert wurde, mit den Erkenntnissen der modernen Medizin, besonders im Bereich der Schmerztherapie. Auch nannte sie neben stationären Einrichtungen die ambulante Versorgung und das Ehrenamt als wesentliche Eckpfeiler, betonte aber auch, wie notwendig Qualifizierung, Forschung und Lehre sind.
Die Entwicklung in Deutschland begann erst mit 16 Jahren Verzögerung. 1983 entstand an der Universitätsklinik Köln die erste Palliativstation, gefolgt vom ersten stationären Hospiz in Aachen 1985. Seit Beginn der 1990er-Jahre entwickelten sich die ersten ambulanten Palliativdienste. Seither hat eine rasante Entwicklung stattgefunden. 2006 wurde die „Allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV)“ eingeführt, 2007 die „Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV)“. Mittlerweile existieren hier zu Lande sogar an einigen Universitäten Lehrstühle für Palliativmedizin. Noch sind die palliativmedizinischen Angebote allerdings regional in Qualität und Quantität äußerst unterschiedlich.
Engagement erforderlich Für Apotheken, die sich in der Palliativmedizin engagieren wollen, sind profunde pharmazeutische Fachkenntnisse, Wissen über die Besonderheiten der palliativen Therapie und Pflege notwendig. Dieses Wissen und auch die notwendige Erfahrung eignet man sich nicht „nebenbei“ an. Eine gute Einstiegshilfe ist die Zertifikatsfortbildung Palliativpharmazie der Bundesapothekerkammer.
Auch hat die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) eine Sektion Pharmazie, die sich jährlich im Rahmen des DGP-Kongresses trifft und ansonsten per E-Mail intensiv untereinander austauscht. In Deutschland sind es derzeit etwa 50 bis 60 spezialisierte Apotheken, die das gesamte Dienstleistungsspektrum für die ambulante Palliativversorgung abdecken und Patienten auch im häuslichen Umfeld versorgen. Um in einem Netzwerk mitarbeiten zu können, braucht eine Apotheke allerdings nicht unbedingt ein Sterillabor. Netzwerken kann in diesem Zusammenhang auch bedeuten, dass eine Hausapotheke mit einer spezialisierten Apotheke zusammenarbeitet. Diese erbringt dann die Leistungen, für die der Hausapotheke die Ausstattung oder das Personal fehlt.
Palliativpharmazie Was dies genau bedeutet, hat die Sektion Pharmazie der DGP definiert: Es ist der Beitrag des Apothekers und des pharmazeutischen Fachpersonals zur Palliativversorgung. Die Palliativpharmazie umfasst alle pharmazeutischen Aspekte der Versorgung und Begleitung von Palliativpatienten und ihren Angehörigen, unter anderem die Versorgung mit Arzneimitteln, Medikationsmanagement, die pharmazeutische Betreuung und die patientenindividuelle Herstellung von Rezepturen.
Genau aufgeschlüsselt werden in der internationalen Literatur folgende Aktivitäten im palliativmedizinischen Bereich dem pharmazeutischen Fachpersonal zugeordnet:
- Arzneimittelversorgung: Die Anpassung der Vorratshaltung, Sicherstellung einer zeitgerechten Belieferung, des bedarfsgerechten Zugriffs auf die benötigten Medikamente, einschließlich von Notfallvorräten, richtige Lagerung und Entsorgung sowie die Lieferung nach Hause sind hier die wesentlichen Punkte.
- Pharmazeutische Betreuung: Das Erkennen und die Dokumentation arzneimittelbezogener Probleme, etwa von Wechselwirkungen, Nebenwirkungen oder eines unzureichenden Medikationsregimes sind hier ein wesentlicher Eckpfeiler. Sind alle auftretenden Symptome beim Patienten adäquat behandelt? Welche Medikation wird nicht mehr benötigt oder ist eine andere Medikation womöglich sinnvoller? Ist die Darreichungsform für den Patienten geeignet? Auch das Bereitstellen von Medikationsplänen (Einnahmeschemata) in Zusammenarbeit mit den Patienten betreuenden Ärzten, die Beratung zur richtigen Arzneimittelanwendung sowie die Verbesserung der Therapietreue gehören in diesen Bereich.
- Herstellung: Patientenindividuelle Rezepturen, da für den Patienten sinnvolle Stärken oder Darreichungsformen nicht im Handel verfügbar sind, das Herstellen innovativer oder unüblicher Rezepturen sowie die Befüllung von Medikamentenpumpen zählen hierzu.
- Arzneimittelinformation: Hiermit ist die Bereitstellung von Kompatibilitäts- und Stabilitätsdaten für die parenterale Arzneimitteltherapie, Bewertung neuer Arzneimittel, Informationen zum möglichen „Off-Label-Use“ sowie Symptomkontrollprotokolle und die mögliche Information zu alternativen Therapiemethoden gemeint.
- Schulung und Fortbildung: Patienteninformationsblätter, Bereitstellen von Kontaktdaten lokaler Hospiz- und Palliativdienste für Patienten und Angehörige, aber auch die Fortbildung von Pflegenden und Ärzten zur palliativmedizinischen Arzneimitteltherapie und speziellen pharmakotherapeutischen Aspekten gehören zu diesem Komplex.
Im Apothekenalltag sind die tatsächlich zu leistenden palliativmedizinischen Inhalte je nach Art und Umfang des Auftrags natürlich unterschiedlich.
Eingebetet sein muss dies zudem in ein ganzheitliches Behandlungskonzept. Denn Leben und Erleben einer letztlich tödlichen Erkrankung sind bei jedem Menschen anders. Stark prägend sind Höhen und Tiefen des eigenen Lebens, das private und berufliche Umfeld. Das Modell des „Total Pain“ beschreibt deshalb auch einen allumfassenden Schmerz, der sich nicht nur von physiologischen Vorgängen ableitet, sondern von vielen anderen Faktoren zusätzlich beeinflusst wird.
Um als kompetenter Ansprechpartner für Patienten, Angehörige, Ärzte und Pflegende agieren zu können, sollten Apotheker und PTA die wichtigsten therapeutischen Grundprinzipien kennen. Teil 2 und 3 dieses Repetitoriums widmen sich diesen, wobei insgesamt die Arzneimitteltherapie dominieren wird.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/13 ab Seite 88.
Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin