Krankheiten im Kindesalter
NICHT HARMLOS!
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Ja, es stimmt – die allermeisten Menschen, die sich mit Masern anstecken, sind ein paar Tage krank – Fieber, Husten, Schnupfen, Hautausschlag – und werden dann wieder gesund. Aber nicht alle: Weil die Infektion das Immunsystem vorübergehend schwächt, haben Bakterien leichteres Spiel, und Infizierte können auch in den folgenden Wochen bis Monaten noch an einer Mittelohrentzündung, Bronchitis, Lungenentzündung oder Durchfällen erkranken. Auch das ist noch beherrschbar. Besonders ernst wird es jedoch, wenn das zentrale Nervensystem beteiligt ist: Etwa zehn von 10 000 Infizierten entwickeln eine Entzündung des Gehirns – ein bis zwei versterben daran, bei weiteren zwei bis drei bleiben dauerhafte Schäden wie geistige Behinderung oder Lähmungen zurück.
Und selbst bei Patienten, die die Masern erst einmal gut überstanden zu haben scheinen, besteht das Risiko, dass sie Jahre später an einer SSPE (subakut sklerosierende Panenzephalitis) erkranken. Dies geschieht mit vier bis elf Fällen auf 100 000 Maserninfektionen zwar ausgesprochen selten, aber eine SSPE schreitet unaufhaltsam fort und führt innerhalb von zwei bis drei Jahren ohne Ausnahme zum Tod. Ein hohes SSPE-Risiko haben Kinder, die in einem Alter von weniger als fünf Jahren an Masern erkranken – in dieser Altersgruppe beträgt die Häufigkeit 30 bis 60 auf 100 000 Infizierte, bei den unter Einjährigen sogar 170 auf 100 000 Infizierte.
Masern in Zahlen Zwar konnten die Infektionen in den letzten Jahrzehnten durch Impfprogramme deutlich gesenkt werden. Trotzdem verstarben weltweit im Jahr 2018 noch immer 140 000 Menschen an Masern, besonders Kinder unter fünf Jahren. Das betrifft auch die WHO-Region Europa. Hier erkrankten insgesamt 89 000 Menschen, von denen über die Hälfte stationär behandelt werden musste. Bei 74 Menschen verlief die Infektion tödlich. Für das Jahr 2019 wurden über 100 000 Fälle gemeldet. In Deutschland ist die Zahl der Infektionen seit der Einführung der Impfung Anfang der 1970er Jahre deutlich zurückgegangen, seit 2001 gibt es eine Meldepflicht für Masern.
Seitdem werden hierzulande jährlich meist einige Hundert Infektionen registriert, in einzelnen Jahren aber auch bis zu 2500. Laut Todesursachenstatistik sterben deutschlandweit jedes Jahr drei bis sieben Menschen an Masern. Masern werden von RNA-Viren hervorgerufen, die zur Gattung der Morbilliviren der Familie der Paramyxoviren gehören. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion, und die Inkubationszeit beträgt im Durchschnitt 10 bis 14 Tage. Dabei sind Infizierte bereits ansteckend, bevor die Krankheit ausbricht.
Schutz durch Impfung Eine Therapie gegen Masern existiert nicht – umso wichtiger ist die Schutzimpfung. Sie schützt nicht nur die Geimpften selbst, sondern es entsteht bei ausreichender Durchimpfung der Bevölkerung auch eine Herdenimmunität. Durch sie werden auch Menschen geschützt, die selbst nicht geimpft werden können, etwa Menschen mit Immundefekten, die ihrerseits besonders schwer erkranken können. Daneben ist dieser Schutz besonders für Säuglinge wichtig, denn sie werden laut Impfempfehlung erst mit 11 Monaten erstmals gegen Masern geimpft und so lange reicht der Nestschutz durch die Antikörper der Mutter nicht. Seit vielen Jahren ist es erklärtes Ziel der Weltgesundheitsorganisation, die Masern auszurotten. Prinzipiell sind die Voraussetzungen dafür gut: Denn der Mensch ist der einzige Wirt der Masernviren.
Es gibt also kein tierisches Reservoir wie beispielsweise Zecken bei FSME, von wo Viren Menschen immer wieder von Neuem befallen können. Und es existiert eine wirksame und gut verträgliche Impfung. Wenn es also gelänge, einen ausreichend hohen Prozentsatz der Bevölkerung zu impfen, würde ein einzelner Erkrankter zwar möglicherweise noch Menschen in seinem Umfeld anstecken. Doch weil sie geimpft wären, würden sie nicht erkranken und das Virus ihrerseits nicht weitergeben. Die Infektionskette würde an dieser Stelle enden, und die Masern wären bald ausgerottet. Um eine Herdenimmunität zu erreichen, müssen aber mindestens 95 Prozent der Bevölkerung immun sein.
Impfempfehlung Vor der Einführung der Impfung galten die Masern ausschließlich als Kinderkrankheit. Weil sie so hoch ansteckend sind, hat sie so gut wie jeder als Kind durchgemacht und war (wenn er sie überlebt hat) als Erwachsener immun. Dieses Bild hat sich gewandelt: So waren in diesem Jahr rund die Hälfte aller Fälle in Deutschland jünger und die andere Hälfte älter als 20 Jahre. Das liegt daran, dass aktuell zwar die überwiegende Mehrheit aller Kinder die erste Masernimpfung erhält, aber merklich weniger auch die zweite. Diese zweite Impfung ist jedoch wichtig, um den vollständigen Impfschutz zu gewährleisten. Zudem erfolgt die Impfung häufig deutlich später als empfohlen. Ein kleiner Prozentsatz ist schließlich gar nicht geimpft.
Weil die Masern deutlich seltener geworden sind, ist das Ansteckungsrisiko geringer, und diese Menschen werden ohne (vollständigen) Impfschutz und ohne Erkrankung immer älter, bis es sie irgendwann doch trifft. Dann allerdings möglicherweise umso härter, denn mit dem Alter steigt das Risiko für einen schweren oder sogar tödlichen Verlauf. Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine zweimalige Masernimpfung für alle Kinder (die erste im Alter von 11 bis 14 Monaten (frühestens mit 9 Monaten); die zweite spätestens bis zum Ende des zweiten Lebensjahres). Zudem sollten alle Erwachsenen, die nach 1970 geboren sind und die als Kind nicht oder nur einmal gegen Masern geimpft wurden, einmal gegen Masern geimpft werden.
In Deutschland erfolgt die Impfung als Kombinationsimpfung mit Mumps, Röteln und gegebenenfalls Windpocken (MMR(V)). Sie gilt als gut verträglich: Abgesehen von den vorübergehenden Impfreaktionen – Rötung, Schwellung, Schmerzen an der Einstichstelle, Fieber – wurden als Nebenwirkung Fieberkrämpfe beschrieben, die in der Regel ebenfalls ohne Folgen vorübergehen. Sehr selten können allergische Reaktionen oder länger andauernde Gelenkentzündungen auftreten. Weil es sich um einen abgeschwächten Lebendimpfstoff handelt, können vorübergehend leichte und nicht übertragbare „Impfmasern“ auftreten.
Impfplicht Mit dem Ziel, insbesondere Kinder besser vor Masern zu schützen, trat in diesem Jahr das „Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention“ in Kraft. Demnach müssen Kinder, die in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Tagespflege betreut werden, die empfohlenen Masernschutzimpfungen nachweisen. Nach 1970 geborene Personen, die in Gemeinschafts- oder medizinischen Einrichtungen arbeiten, müssen ebenfalls einen Masernschutz nachweisen – entweder durch zwei Impfungen oder den Nachweis von Antikörpern aufgrund einer durchgemachten Erkrankung. Auch Erwachsene, die in Gemeinschaftseinrichtungen untergebracht sind wie beispielsweise Geflüchtete, benötigen einen Impfschutz.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 01/2021 ab Seite 84.
Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin