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Kolumne | Prof. Dr. Aglaja Stirn

NEID

Über Neid wird nicht gerne gesprochen, dabei ist es sinnvoll, sich dessen bewusst zu werden, wenn einen diese Gedanken treiben. So kann man besser damit umgehen und das Gefühl vielleicht sogar zum Positiven wenden.

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Die Fresken von Giotto in Padua stellen den Neid, Invidia, als verhärmte alte Frau da. Neid ist der Unblick, Verneinung des Sehens, der scheele Blick. Für Platon und Aristoteles galt der Neid als etwas Verabscheuungswürdiges, das zu bekämpfen sei. Das Christentum stufte den Neid als eine der sieben Todsünden ein. Seit der Antike lokalisierten Mediziner die Galle als Sitz des Neides – wohl deshalb wird man noch heute „gelb und grün vor Neid“.

Neid ist ein komplexes Geschehen und zumeist ein negatives Gefühl, manchmal aber auch kraftvoll oder auch traurig. Es kann aber auch aus Schmerz und Selbstzweifel herrühren. Aristoteles unterscheidet zwischen Neid, Nemesis und Eifer. Als Nemesis wird das Gefühl von Kränkung, Herabsetzung des Selbstwertes vor allem dem gegenüber, der über Güter oder Vorzüge verfügt, die ihm nicht zustehen oder deren er nicht würdig ist.

Neid und Missgunst wiederum sei ein Gefühl einer anderen Person gegenüber, wenn derjenige Güter oder Vorzüge hat, die man ihm nicht gönnt. Andere nennen dies Missgunst. Ein anderes Gefühl ist der Wetteifer, der zwar auch aus der Wahrnehmung einer Differenz entsteht, die man dem anderen aber nicht wegnehmen möchte, das Ziel ist es vielmehr, selbst etwas zu erreichen. Schon in der Bibel gibt es viele Neidgeschichten, wir kennen alle Kain und Abel, aber auch die Jacobssöhne.

Auch Schneewittchen ist ein Neidopfer. Die Kränkung für die Stiefmutter, nicht mehr die Schönste im Land zu sein, ruft destruktive Impulse hervor. Insbesondere in Familien ist Neid oft vorhanden. Wie stark sich bei jedem Einzelnen der Hang zum Neid entwickelt, hängt auch von der Sozialisation ab. Menschen, die mit dem Gefühl aufwachsen, zu wenig zu bekommen, tendieren eher zu Neidgefühlen.

Ein stabiles Selbstbewusstsein dagegen schützt vor Neid. Über Neid zu sprechen, ist unangenehm. Dabei ist es nicht falsch, sich dessen bewusst zu sein. Dann kann man besser damit umgehen und ihn vielleicht zum Positiven wenden. Ich kann selbst entscheiden mit wem ich mich vergleiche. Ist das größere Auto des Nachbarn wirklich so wichtig für mich? Ist das Weihnachtsgeschenk der Schwester wirklich besser? Ein Perspektivwechsel zu dem, was man hat, kann dann Zufriedenheit herstellen. Es gibt kein Leben ohne Neid. Egal, was jemand hat oder nicht hat, er wird sich immer auch mit dem vergleichen, der mehr hat – und es können Neidgefühle entstehen.

Auch derjenige, auf die wir neidisch sind, wird selbst Neidgefühle gegenüber jemand anderem hegen. Nichts schützt besser vor Neid als Selbstbejahung, also die Wertschätzung dessen, was man hat. Neben der Wertschätzung des eigenen Erfolgs, kann der Erfolg der anderen einen auch dazu motivieren, sein Leben zu strukturieren und den Blick zu schärfen für das, was einem wichtig ist. Neid entzündet sich nicht nur daran, was man nicht hat, sondern vor allem an dem, was man nicht wertschätzen kann, deshalb bezeichnen manche den Neid auch als die Rache des missachteten Eigenwerts.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 12/2021 auf Seite 12.

Professor Dr. Aglaja Stirn
ist Direktorin des Instituts für Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Gruppentherapie, Psychoanalyse und Sexualtherapie an der Universität Kiel, Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP. www.zip-kiel.de

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