Wie ein Arzneimittel wirkt ist individuell verschieden und von der genetischen Ausstattung eines Menschen abhängig. © xb100 / iStock / Getty Images Plus

Pharmakogenetik | Arzneimitteltherapie

NEBENWIRKUNGEN LIEGEN IN DEN GENEN

Der eine muss ewig warten, bis das Codein wirkt. Beim anderen wirkt die gleiche Dosis sofort und er gerät in gefährliche Nähe einer Opioid-Vergiftung. Woran liegt das?

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Obwohl gleiche Plasmakonzentrationen vorhanden sind, zeigt dasselbe Arzneimittel von Mensch zu Mensch unterschiedliche Wirkungen und Nebenwirkungen. Warum ist das so?

Der Grund dafür sind individuelle Unterschiede in den Arzneimittel-metabolisierenden Leberenzymen. Und das geht wiederum auf die genetische Ausstattung eines Menschen zurück. Mit diesem Sachverhalt befasst sich eine pharmazeutische Disziplin: Die Pharmakogenetik. Bereits 1957 hatte der deutsch-amerikanische Genetiker Dr. Arno Motulsky erstmals darauf hingewiesen, dass bestimmte Nebenwirkungen durch genetisch bedingte Unterschiede in der Aktivität von Arzneimittel-metabolisierenden Leberenzymen hervorgerufen werden können. Zwei Jahre danach hat dann der deutsche Genetiker Dr. Friedrich Vogel die Abhängigkeit zwischen genetischer Information und Arzneimitteltherapie beschrieben.

Die Pharmakokinetik untersucht also, inwieweit genetische Kombinationen die Wirkweise eines Arzneimittels beeinflussen. Dabei spielen Enzyme der Cytochrom-P450-Familie, kurz CYP, eine bedeutende Rolle. Den höchsten CYP-Gehalt findet man in der Leber, sie enthält 90 bis 95 Prozent der Enzyme. Je nach Art und Grad des Einflusses pharmazeutischer Substanzen auf die Enzymaktivität führt das zu entsprechenden Arzneimittelwechselwirkungen im Sinne eines verlangsamten oder beschleunigten Abbaus. Zum Beispiel: Lipophile Fremdstoffe können ohne weitere Modifikation in der Regel nicht ausgeschieden werden. Der Körper behilft sich mit stufenweisen Biotransformationen, an deren Ende die Substanzen wasserlöslich werden und renal ausgeschieden werden können.

Genetische Polymorphismen können zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) führen oder sogar für eine fehlende therapeutische Wirkung verantwortlich sein. Ein verminderter Phase-I-Metabolismus führt beispielsweise zu verminderter Entgiftung der Ausgangsprodukte oder zu einer Anreicherung im Körper; Ursachen dafür sind Genvarianten in den CYP-Enzymen. Somit können ungünstige genetische Enzymausstattungen nicht nur UAW hervorrufen, sondern auch die Entwicklung verschiedener Erkrankungen fördern. Aus der Chemotherapie ist bekannt, dass Patienten, die eine genetisch bedingt veränderte Aktivität des Enzyms Methylentedrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) aufweisen, unter Therapie mit Methotrexat ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Nebenwirkungen haben. So kommen bei dieser Patientengruppe häufiger schwere Blutbildveränderungen, Mukositis oder Hyperhomocysteinanämie vor.

Dabei werden die Metabolisierungstypen in unterschiedliche Phänotypen klassifiziert: Es gibt die langsamen, die intermediären, die extensiven (normalen) und die ultra-schnellen Metabolisierer. Beispiel Codein: Der Wirkstoff wird durch das Leberenzym CYP2D6 zu Morphin, seinem aktiven Metaboliten umgewandelt. Wenn bei einem Patienten ein Mangel an diesem Enzym besteht oder es geringfügig anders aufgebaut ist, wird eine adäquate therapeutische Wirkung nicht erreicht werden. Wenn der Patient jedoch ein extensiver oder ultraschneller Metabolisierer ist, besteht ein erhöhtes Risiko, dass er selbst bei den üblichen Dosen die Nebenwirkungen einer Opioid-Vergiftung entwickelt.

Eine fehlende Arzneimittelwirkung kann auch darauf zurückzuführen sein, dass die Zielstruktur für die Arzneimittelwirkung nicht vorhanden ist – zum Beispiel wirkt Tamoxifen bei fehlender Estrogenrezeptorexpression nicht. Neben den genetischen Faktoren können auch Umwelt, Nahrung, Genussmittel und Medikamente die Aktivität und Menge der CYP-Enzyme beeinflussen.

Künftig könnten im Sinne einer optimierten Arzneimitteltherapie vermehrt Gentests zur Anwendung kommen. Bei einigen Krankheitsbildern gibt es bereits verpflichtende Tests, da manche Arzneimittel nur über das Vorhandensein bestimmter Gene wirken – Ärzte dürfen sich erst danach auf eine medikamentöse Therapie festlegen.

Alexandra Regner,
PTA/Redaktion

Quelle: Apotheke adhoc

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