PKA-Fortbildung 3/17
NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL
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Viele Apotheker rümpfen über diese Produkte die Nase. Im Pharmaziestudium, bei PTA- und PKA-Ausbildung, kommen sie inhaltlich so gut wie nicht vor. Doch von den Verbrauchern werden sie sehr nachgefragt. Mit Nahrungsergänzungsmitteln wurden 2014 laut IMS Health 970 Millionen Euro Umsatz erziehlt (Verkaufspreise). 72 Prozent hiervon verkauften öffentliche Apotheken, zwölf Prozent Versandapotheken. Doch die Versandhändler haben den deutlichen Wachstumstrend schon erkannt – und bieten, so etwa Aponeo, sogar schon entsprechende Produkte als Eigenmarke an. Da Bestellung rein, Päckchen raus aber nicht der Sinn der Sache ist, sollte entsprechendes Fachwissen vorhanden sein – auch und gerade in der öffentlichen Apotheke, um diesen Umsatz nicht zu verlieren.
Sinn und Zweck Normalerweise sind sie überflüssig: Nahrungsergänzungsmittel, kurz NEM. Eine ausgewogene Ernährung sichert gewöhnlich die Nährstoffversorgung. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) kann in bestimmten Situationen aber eine gezielte Ergänzung der Nahrung mit einzelnen Nährstoffen durchaus sinnvoll sein. Sie haben also eine Berechtigung bei einseitiger, unzureichender Ernährung, um dadurch einen Beitrag zur Prävention zu leisten. Bestes Beispiel: Deutschland gehört zu den Gebieten mit leichtem Jodmangel. Durch Zufuhr geeigneter NEM kann die fehlende Jodmenge – falls sie nicht durch jodiertes Speisesalz, zwei Fischmahlzeiten pro Woche ausgeglichen werden kann – sinnvoll ergänzt werden.
Überdosierungen durch jodhaltige Supplemente sind nicht zu befürchten. Eine Kontraindikation liegt lediglich vor bei Morbus Basedow- Erkrankten oder bei einer deutlichen Schilddrüsenautonomie. Zu beachten ist, dass bei Kindern, deren Eltern an einer Hashimoto-Thyreoiditis leiden, zusätzliche Jodgaben problematisch sind. Doch was sind überhaupt NEM? Das sind Produkte, die aus Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung in konzentrierter Form bestehen. Das können Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, Aminosäuren, aber auch Ballaststoffe, Pflanzen oder Kräuterextrakte sein.
Sie werden in dosierter Form, meist als Kapseln, Tabletten, Pulverbeutel oder in kleinen Trinkfläschchen, zumindest aber in lebensmitteluntypischer Darreichungsform in abgemessenen kleinen Mengen angeboten. Vorgeschrieben ist, dass Angaben zur empfohlenen täglichen Verzehrmenge vorhanden sind, um Überdosierungen der Konzentrate zu vermeiden. Da sie rechtlich nicht zu den Arzneimitteln, sondern zu den Lebensmitteln gehören, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen, entfallen die zahlreichen strengen und im Nachweis Millionen- teuren Vorschriften, wie sie für Arzneimittel gelten.
Als Lebensmittel müssen sie vor allem sicher sein und dürfen bei normaler Dosierung keine Nebenwirkungen haben. Zudem dürfen sie nicht dazu bestimmt sein, Krankheiten zu heilen, gewisse gesundheitsbezogene Aussagen sind jedoch sehr wohl möglich. NEM unterliegen nicht einem langwierigen Zulassungsverfahren, wie es für Arzneimittel gilt, sondern nur einer Registrierungspflicht beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Für die Sicherheit sind die Hersteller verantwortlich.
Die Überwachung der auf dem Markt angebotenen Nahrungsergänzungsmittel und der Herstellerbetriebe ist Aufgabe der Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder. Ansonsten gelten für Nahrungsergänzungsmittel nachfolgende rechtliche Grundlagen:
- Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel (NemV),
- Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LBFG),
- Novel-Food-Verordnung,
- Health-Claims-Verordnung
Von diätetischen Lebensmitteln unterscheiden sie sich wiederum gemäß Diätverordnung (DiätV), da diese tätsächlich Lebensmittel sind, die einen besonderen Ernährungszweck erfüllen müssen, beispielsweise bilanzierte Diäten bei Personen mit Stoffwechselstörungen, etwa „Astronautenkost“ oder spezielle Diabetikernahrung, oder auch Ernährung für gesunde Säuglinge und Kleinkinder. In der Praxis erscheint die Unterscheidung immer wieder schwierig – und ist manchmal nur mit juristischen Mitteln zu klären.
Die wichtigsten Nahrungsergänzungen Für Vitamin D, Calcium, Jod und Folsäure lässt sich laut Datenlage in breiten Bevölkerungsschichten in Deutschland eine unzureichende Aufnahme mit der normalen Ernährung belegen. Ansonsten gilt: Es existiert nicht „das ultimative Nahrungsergänzungsmittel“. Jeder Mensch hat eine andere Konstitution, eine andere Ernährung, andere Lebensweise und damit auch andere Bedürfnisse als sein Nachbar. Folglich sind nicht alle NEM für jeden gleich gut geeignet. Und folglich muss jeder Mensch – ganz nach seiner augenblicklichen Situation – entscheiden, welche NEM er jetzt gerade benötigt und welche nicht.
Man sollte sich hier auch nicht von reißerischen Werbeslogans, die das Blaue vom Himmel versprechen, beeinflussen lassen. Seit Mitte 2007, erweitert 2010, versucht allerdings die Health-Claims-Verordnung, die alle nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben (Health Claims) bei Lebensmitteln einschließlich NEM, die direkt an den Endverbraucher abgegeben werden, regelt, dieser Unsitte einen Riegel vorzuschieben. Demnach müssen gesundheitsbezogene Aussagen wahr und durch anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse belegbar sein.
Ein Beispiel: So hat etwa die französische Lebensmittelbehörde (AFSSA, Agence fran.aise de sécurité sanitaire des aliments) eine gesundheitsbezogene Aussage „trägt bei zur Verminderung der Festsetzung verschiedener Escherichia coli-Bakterien auf den Schleimhäuten der Harnwege“ für Preiselbeeren/ Cranberries bei einer Tageszufuhr von mindestens 36 Milligramm Proanthocyanidinen zugelassen. Diese sind etwa enthalten in 300 Milliliter Cranberry-Nektar, 100 Milliliter Cranberry-Muttersaft, 12,5 Gramm Saftkonzentrat oder drei Gramm Cranberry-Saftpulver. Bei Vitamin D sind als gesundheitsbezogene Angaben laut Health-Claim-Verordnung beispielsweise Werbeaussagen wie „trägt zu einem normalen Calciumspiegel im Blut bei“, „hat eine Funktion bei der Zellteilung“ und „trägt zur Erhaltung normaler Zähne bei“ zulässig.
Vitamin D ist wiederum auch ein typisches Beispiel, wie die Einstufung in NEM oder Arzneimittel dosisabhängig ist. Recht häufig kommt es gerade bei Vitamin D nämlich diesbezüglich zu Irritationen. Nach Ansicht der Expertenkommission der zuständigen Bundesoberbehörden, des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) sowie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind Vitamin-D-Produkte bis zu einer Tagesdosis von 20 Mikrogramm Vitamin D Nahrungsergänzungsmittel, Produkte mit höherer Dosierung Arzneimittel. Allerdings auch nur, wenn die empfohlenen Anwendungsgebiete nicht eine arzneimittelrechtliche Einstufung verlangen.
TYPISCHE NEM-STOFFKLASSEN MIT BEISPIELEN
+ Vitamine (Vitamin A, C, D, E, B-Vitamine, Folsäure, Biotin)
+ Mineralien (Calcium, Magnesium, Kalium, Eisen)
+ Spurenelemente (Mangan, Kupfer, Zink, Selen, Jod, Cobalt, Chrom, Molybdän)
+ Pseudovitamine, Vitalstoffe (Coenzym Q10, para-Aminobenzoesäure PABA, Rutin)
+ Antioxidantien (Beta-Carotin, Lycopin, Vitamin A, C und E, Selen, Coenzym Q10)
+ Aminosäuren und Derivate (essenzielle Aminosäuren, Carnitin, Taurin)
+ Sonstige „Vitalstoffe“ (Lecithine, Bierhefen, Gelee Royale)
+ Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe (Polyphenole, Bioflavonoide)
+ Natürliche Öle (Fischöl, Borretschöl, Nachtkerzensamenöl)
+ Ballaststoffe, Pflanzenfasern, organische Quellstoffe
+ Pro-/Praebiotika (milchsäurebildende Bakterien, bifidiogene Zucker)
+ Sonstige organische Naturstoffe (Algen, Melasse, Gelatine)
+ Sonstige anorganische Naturstoffe (Kieselerde, Bentonit)
+ Pflanzliche Extrakte
+ Enzyme
NEM zur Leistungssteigerung? Bedacht werden muss allerdings: So manches Nahrungsergänzungsmittel kann dopingrelevante Substanzen enthalten – und sei es „nur“ als Verunreinigung. Deren Einnahme wäre für Leistungs-Sportler fatal. Die „Kölner Liste“ klärt hierzu auf. Generell ist zu raten: Es sollte bei NEM von Produkten aus „Übersee“ sowie Produkten, die über das Internet bestellt und nicht auf der Kölner Liste® stehen, eher Abstand genommen werden. Eine internationale vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) geförderte Studie des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln konnte leider bei etwa 15 Prozent der in dreizehn verschiedenen Ländern erworbenen NEM Anabolika (hauptsächlich Prohormone) nachweisen, die nicht auf der Packung angegeben waren.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/17 ab Seite 133.
Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin