© Frater Aloisius
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Der Apothekenkrimi

MORD NACH REZEPT – TEIL 2

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Hans Wartenburg, der morgen 70 Jahre alt werden würde, saß erschüttert auf einem Sessel am Rande des großzügigen Esszimmers. Der große Tisch in der Mitte des Raumes war festlich gedeckt. Geschliffene Weingläser standen über altmodischen Tellern mit Goldrand, flankiert vom alten Familiensilber der Wartenburgs. Franziska hatte sogar die alten steifleinenen Servietten aus dem Wäscheschrank geholt und sie mittels einer komplizierten Falttechnik so zusammengesteckt, dass sie wie Schwäne aussahen, die auf dem milchigen Weiß der Teller schwammen. In der Mitte des Tisches thronte ein vierarmiger Kerzenleuchter, der mit seinem Licht die metallenen Legierungen glitzern ließ und dem ganzen einen altmodischen Charme verlieh.

Am Tisch saßen die Gäste. Ein dicker Mann im Tweedanzug drehte sich aufgeregt zum Gastgeber um. Er war so fett, dass er nur knapp auf den brokatbezogenen Stuhl mit der geschwungenen Rückenlehne passte und hielt sich an der Lehne fest. „Was passiert denn jetzt, Hans?“ Hans Wartenburg schaute auf. Dem Liebhaber feinster englischer Herrenmode war auch nicht ein Fältchen seines kostbaren Tuches verrutscht, doch im Gesicht trug er die Nachwirkungen des Schocks. Immerhin lag in seiner Küche eine Leiche. „Wir haben die Polizei alarmiert“, sagte er. Da seine Augen wässrig wurden, zog er ein Stofftaschentuch aus der Jackettasche und betupfte sich geistesabwesend den Lidrand. „Sie werden gleich hier sein.“

Durch die geöffnete Tür zum Flur waren Britta Badouin und ihr Mann Robert zu betrachten, die eng aneinander geschmiegt ein wenig geistesabwesend vor sich hinstarrten. Franziska Wartenburg, die Ehefrau des Jubilars, hatte sich auf den Stuhl neben der Garderobe gesetzt und war verstummt. Stocksteif saß sie da und guckte in die Luft. Britta legte die Hand auf ihre Schulter und bemühte sich, nicht an den Anblick zu denken, den sie eben ertragen musste: Auf dem Küchenfußboden lag ein Mann, dem gerade noch Blut aus der durchstochenen Halsschlagader geflossen war. Es rann in gruseligen Strömen über das Laminat und hatte schon fast die Eckbank erreicht; mittlerweile war es geronnen. Der Mann war ohne Zweifel tot.

Als Franziska die Leiche entdeckte, waren Robert und Britta gerade angekommen. Es entstand ein großes Tohuwabohu: Alle drängten sich durch den schmalen Flur in die Küche; so dicht war das Gedränge, dass an der Garderobe die Kleiderbügel ins Wanken kamen und ein paar Mäntel zu Boden fielen. Irgendwer hängte sie wieder zurück. Nachdem Robert den Mann auf dem Küchenboden kurz untersucht hatte, wählte er die 110 und drängte die Leute heraus: Sie sollten jetzt am besten wieder ins Esszimmer gehen. Was sie ungern taten, doch in solchen Situationen folgen Menschen fast naturgemäß gern einer Autorität. Alle setzten sich brav um den Esstisch, auf dem die Rotweingläser bereits gefüllt und der Aperitif ausgeschenkt war. Und durch das köstliche Aromengemisch von Fleisch und Kuchen, von Specksoße und Knödeln, die in der Küche auf das Servieren warteten, roch es noch nach etwas anderem: metallisch und roh, eben wie frisches Blut. Wie viel Blut.

„Franziska“, sprach Britta die Freundin an. „Franziska, geht es dir gut?“ Die Angeredete zog scharf die Luft durch die Nase und richtete ihren Blick auf die Apothekerin: „Weißt du Britta“, sagte sie nachdenklich und schaute auf ihre Hand, als ob sie die Finger zählen wollte. „Wir müssen unbedingt aufpassen, dass keine Bratensoße auf die Servietten kommt.“ „Warum?“ fragte Britta. „Das Leinen, das ist so alt, dass ich sowas nie wieder rausbekomme. Verstehst du?“ Franziska sah sie flehentlich an. „Wolfgang fand die immer so toll.“ Britta nickte. „Du hast recht, wir müssen darauf achten.“

Als die Polizei erschien, saßen alle in unterschiedlichen Gemütsstadien am Tisch. Robert war ins Zimmer gekommen und hatte das Fenster weit aufgerissen, um die widerliche Gerüchemischung hinauszulassen. Durch die Frischluftzufuhr war es kalt, doch keiner sagte etwas. In Haus- und Wohnungsflur liefen die Beamten geschäftig durcheinander. Sie sperrten den Tatort ab und hievten einen großen Koffer sowie etwas, das wie ein Staubsauger aussah, die Treppen hoch. Jemand scheuchte Britta, Robert und Franziska ins Esszimmer. Kurz darauf erschien ein Mann in normaler Straßenkleidung. Er schloss die Tür hinter sich und stellte sich vor. „Guten Tag. Mein Name ist Frank Eidenmöller, ich bin Kriminalbeamter und möchte Ihre Personalien aufnehmen. Zunächst einmal: Warum sind Sie alle hier?“ Hans Wartenburg erklärte es ihm.

Der Kommissar ließ seinen Blick über die Runde schweifen. „Kann mir jemand Auskunft geben über den Herrn, der zu Tode gekommen ist?“ „Das war Wolfgang“, sagte Franziska und fing an zu weinen. Hans erhob sich mühsam, ging zu seiner Frau und schloss sie in die Arme. „Wolfgang… und weiter?“, fragte der Polizist in das Schluchzen Franziskas hinein. „Meulé“. Eine Frau mit gepflegtem Äußeren erhob sich. Sie war in etwas Silbriges, Flirrendes gekleidet, trug eine Menge Schmuck und hatte blonde Strähnchen in den Haaren, die die Reflexionen ihrer Kleidung noch verstärkten. Mit einem großen Schritt näherte sie sich dem offenem Fensterflügel und schloss ihn. Dann setzte sie sich wieder.

„Er war mein Mann“, sagte sie. Der dicke Mann im Tweedanzug gab einen Laut von sich, der wie „Püüh“ klang. „Meulé? Der Restaurantkritiker?“ fragte der Beamte. „Genau“, sagte der Dicke und sah skeptisch zu seiner Nachbarin im Lamettakleid hinüber. „Fangen wir doch hier an“, sagte der Kommissar und wandte sich an den Beleibten, der sich den Zeigefinger in den Mund gesteckt hatte und jetzt aussah wie ein zu früh gealterter, überdimensionaler Säugling. „Wie ist Ihr Name?“ „Gerd von…“, begann er undeutlich. Dann nahm er den Finger aus dem Mund und wiederholte: „Gerd von Falckenberg.“

„In welcher Beziehung stehen Sie zum Gastgeber?“ „Ich bin sein Patensohn.“ Der Angesprochene legte seine Hände in den Schoß und alle stellten sich vor, wie Hans Wartenburg ein molliges Baby über das Taufbecken gehalten hatte. „Können Sie mir sagen, wo Sie sich zum Zeitpunkt des Mordes aufgehalten haben?“ „Moment mal“, schaltete sich ein älterer Mann mit Albert- Schweitzer-Schnurrbart ein, der am Kopfende der Tafel saß. „Wir wissen doch überhaupt nicht, wann der… Todesfall stattgefunden hat.“ „Da haben Sie natürlich recht“, antwortete der Kommissar und sah ihn aufmerksam an. „Dann sagen wir es mal so: Wo waren Sie im Zeitraum der halben Stunde, bevor der Mord entdeckt wurde.“ „Wir sind hier überall herumgelaufen. Manche haben Franziska in der Küche besucht, manche haben sich noch einmal die Hände gewaschen, manche aus dem Fenster geschaut.“ „Also ich“, sagte Falckenberg, „bin nicht herumgelaufen. Ich habe hier gesessen und auf das Essen gewartet.“

Die Tischgesellschaft hatte wie bei einem Tennisspiel die Köpfe hin- und hergewandt. Die silbrige Dame zog aus ihrem Abendtäschchen ein Taschentuch. „Klar“, sagte sie. „Könnt ihr mal aufhören…“ schnappte eine brünette, ungefähr vierzigjährige Frau in leicht genervtem Ton und steckte die rechte Hand in ihre Bikerjacke, aus der sie gedankenverloren eine Zigarette zum Vorschein brachte. Sie stand neben der Tür und hatte ein Bein angewinkelt und an der Wand abgestellt, sodass man einen vortrefflichen Blick auf ihre hochhackigen Stilettos erhielt. Kurzer Rock, schwarze Seidenstrümpfe. Sieht toll aus, dachte Britta. Wenn ich solche Beine hätte, würde ich sowas vielleicht auch tragen. Und dann stellte sie sich einen weißen Apothekerkittel dazu vor und musste kichern. Robert sah sie strafend von der Seite an. „Moment mal“, sagte der Kommissar und wirkte leicht überfordert. „Könnten wir uns darauf einigen, dass sich alle bitte kurz mal vorstellen, damit ich einen Überblick erhalte.“

Als keiner was sagte, drehte er sich zur Stiletto-Frau um. „Darf ich bitten?“ „Wie ich heiße?“ fragte sie leicht amüsiert. „Oder wollen Sie tanzen?“ „Jeanette, bitte!“ Der Mann mit dem Schnauzer war erkennbar entrüstet. „Na gut.“ Die Lady hatte sich mittlerweile die Zigarette angezündet und nahm einen tiefen Zug. „Mein Name ist Jeanette Vargas und ich bin die Ehefrau von diesem Herrn da. Von Beruf Journalistin. Wenn er mich lässt.“ Damit hob sie den Arm und schnippte ihre Zigarette lässig in die neben ihr stehende Aralie ab. Ihr Mann räusperte sich, strich sich über den Schnurrbart und murmelte „Bruno Bockelmann, Unternehmer. Hans und ich… wir kennen uns schon sehr lange, noch aus den Zeiten seiner ersten Ehe. Sind sowas wie Sandkastenfreunde.“ Interessant, dachte Britta. Sie hat ihren Namen behalten und ist mindestens dreißig Jahre jünger. Er bewacht sie eifersüchtig, das sieht man gleich. Wenn das kein Klischee bedient…

Gerd von Falckenberg schaute aufmerksam mit seinen babyblauen Augen hin und her. Als der Blick des Kommissars auf ihn fiel, sagte er den erstaunlichen Satz: „Es ist doch eigentlich schade, dass das Essen kalt wird, oder?“ Seltsamerweise schien sich niemand darüber aufzuregen. „Der war fies, dein Wolfgang“, wandte er sich an die neben ihm sitzende Frau im flirrenden Gewand. „Er hat gesagt, Rinderbraten kriegt er auch bei Mutti.“ Die Frau murmelte irgendwas. „Und überhaupt, er ist doch gar nicht dein Mann!“ Mit einem hilfesuchenden Blick auf Jeanette fingerte sie aus dem Täschchen eine Zigarette und zündete sie hastig an. „Sie sehen ja, wie er drauf ist…. Entschuldigung. Ich heiße Renate-Sophie Meyer und Wolfgang, also das Opfer, ähm…“. Sie verhedderte sich. „Wir sind… waren ein Paar und wollten heiraten… waren quasi verlobt.“ „So ein Quatsch, Gigi.“ Gerd von Falckenberg wandte sich wieder seinem Gedeck zu und langte in eine kleine Glasschale mit Erdnüssen, die vor ihm stand. „Er ist einfach unmöglich!“ Renate-Sophie, genannt Gigi, aschte vor Aufregung ins leere Weinglas. Also sowas, regte sich Britta auf. Es passt nicht. Diese Gäste sind so unterschiedlich…

„Ihr… Verlobter war also Restaurantkritiker. Und was sind Sie?“ fragte der Kommissar, der sich mit der Serviette über die Stirn fuhr. „Büroleiterin im der deutschen Ausgabe des Gourmet-Atlas, kennen Sie bestimmt“, leierte sie herunter. „Du bist da Tippse“, konterte der dicke Patensohn Hans Wartenburgs gnadenlos und steckte sich eine weitere Erdnuss in den Mund. „Irgendwann“, sagte Gigi-Renate-Sophie in süßlichem Tonfall, „bring ich dich um. So wahr ich hier sitze. Du fettes kleines Protegé. Wenn Hans nicht seine Hand über dir halten würde…“ „Lieber Herr Kommissar“, kam plötzlich eine Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes, der durch einen großen Ficus benjamini schlecht einsehbar war. „Sie sehen schon, hier tobt das Leben. Im Laufe seiner siebzig Jahre hat mein Bruder eine Menge unterschiedliche Menschen um sich gesammelt. Manchmal denke ich, er sitzt jeden Abend stillvergnügt in seiner Bibliothek und grinst in seinen Sherry.“ Damit kam ein weiterer Akteur ins Sichtfeld des Kommissars. Das heißt, er rollte. „Guido Wartenburg. Ich bin der jüngere Bruder von Hans und Sie sehen, ich hatte einmal Pech. Ein Autounfall. Mein Bruder und ich sind einander sehr verbunden.“

Er nickte dem Kommissar zu, der ihn sprachlos anstarrte zu, und sagte: „Hat hier mal jemand eine Zigarette? Wenn alle rauchen, möchte ich auch eine.“ Während in der nun folgenden Stille nur das Knipsen eines Einwegfeuerzeugs zu hören war, wandte sich Kommissar Frank Eidenmöller an Britta und Robert. „Und wer sind Sie, bitte?“ Robert von der Leyden stellte sich und seine Frau vor. „Ach, die Apothekerin? Sie hatten doch damals bei dem Mord an Professor Ferdinand Hinweise gegeben? Irgendwas mit einer tibetanischen Fliege…“ „Spanische Fliege“, sagte Britta. „Er wurde mit der spanischen Fliege umgebracht.“ Der Kommissar schaute ein wenig irritiert auf seine Notizen. „Wie dem auch sei. Fakt ist: Da nur Sie, die hier in diesem Raum versammelt sind, in der Wohnung waren, als der Mord geschah, muss es zwangsläufig einer von ihnen gewesen sein“, sagte der Kommissar und klappte seinen Block zu. „Wir haben also hier die Ausgangssituation…“ „Nicht ganz“, unterbrach Britta. „Da ist noch etwas, das Sie vergessen haben.“ „Bitte?“ fragte der Kommissar. „Als mein Mann und ich ankamen, stand die Wohnungstür offen“, sagte Britta.

Diesen Teil des Apothekenkrimis finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2020 ab Seite 100.

Teil 1 von Mord nach Rezept finden Sie hier.

von Alexandra Regner

In der nächsten Folge von „Mord nach Rezept“ geht der Kommissar auf Spuren- und Motivsuche. Wer kann es gewesen sein? Oder ist der Täter doch von außen gekommen? Und wie hat er die Tat überhaupt begangen? Schon bald schwirrt ihm von der illustren Partyrunde der Kopf. Wie gut, dass Britta Badouin ein paar Einfälle hat. Und diese mit ihrer gewitzten PTA Annette besprechen kann… Wie es weitergeht in unserem Mitmach-Krimi, erfahren Sie in der April-Ausgabe von „Die PTA in der Apotheke“

Noch liegt alles im Dunkeln …

… aber in der Fortsetzung des Apothekenkrimis „Mord nach Rezept“ im Aprilheft finden Sie weitere wichtige Hinweise. Gehen Sie mit Apothekerin Britta und PTA Annette auf Verbrecherjagd und zeigen Sie uns Ihren kriminalistischen Spürsinn!
Von allen, die uns bis zum 30. April 2020 Täter und Tatwaffe nennen, haben drei Leser die Chance, mit der Redaktion von DIE PTA IN DER APOTHEKE und der Krimiautorin Alexandra Regner die Veranstaltung „Bakterien, Gerüche und Leichen“ von Dr. Mark Bennecke, dem bekannten Kriminalbiologen und forensischen Entomologen, am Sonntag, den 7. Juni 2020 in Wiesbaden zu besuchen. (Der Verlag kommt nicht für die Anreise- und Übernachtungskosten auf.)

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Stichwort: MORD NACH REZEPT

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