Das bin nicht ich, das ist mein Avatar - ein virtueller Doppelgänger soll stark fettleibige Menschen mit sich selbst konfrontieren und Verhaltensänderungen provozieren. © Tomwang112 / iStock / Getty Images Plus

Adipositas | Neue Therapie

MIT DEM AVATAR AN DIE ÜBERZÄHLIGEN KILOS

Ein völlig neuer Ansatz zur Therapie von starkem Übergewicht macht seit kurzem in der Fachwelt von sich reden: Ein Avatar des Patienten soll helfen, die Körperwahrnehmung positiv zu beeinflussen.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Adipositas steht immerhin auf Platz sechs der häufigsten Todesursachen. Bislang stehen Diäten, die Änderung der Lebensgewohnheiten oder die operative Verkleinerung des Magens als Therapieoptionen im Vordergrund. Dabei bleiben die psychischen Ursachen oft untergeordnet.

Das Problem: Menschen mit Adipositas befinden sich oft im Kriegszustand mit ihrem Körper. Viele Betroffene verlieren den Glauben daran, abnehmen zu können. Grund genug, einmal miteiner anderen Sichtweise auf mögliche Therapien zu schauen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt ViTraS in den kommenden drei Jahren mit rund 2,5 Millionen Euro. Es ist eine Gemeinschaftsarbeit von Professor Marc Erich Latoschik und Juniorprofessorin Carolin Wienrich von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg mit einem Team um Professor Mario Botsch von der Universität Bielefeld. Beteiligt sind außerdem Gruppen der TU München, der HTW Berlin und der FH Gera sowie die Unternehmen brainboost GmbH und The Captury GmbH.

Denn einfach ist die Fragestellung nicht: Viele Menschen mit Adipositas zeigen Veränderungen der Wahrnehmung ihres Körpers, was die therapeutische Arbeit erschwert. Organveränderungen beispielsweise können nur schwer wahrgenommen werden. Darüber hinaus spielt die Körperform in fast allen sozialen Situationen eine Rolle; adipöse Menschen vermeiden daher häufig soziale Situationen mit Konsequenzen für das Wohlbefinden.

Deshalb soll den Patienten ein realistisches Bild ihres Körpers übermittelt werden und kein von außen beeinflusstes, wertendes Bild. Dazu wird ein exaktes, virtuelles Abbild erschaffen – ein sogenannter Avatar.

Um diesen Avatar so lebensecht wie möglich zu gestalten, werden Patientinnen und Patienten mit 120 Kameras aus verschiedenen Perspektiven fotografiert. Das Forscherteam aus Bielefeld setzt daraus ein realitätsgetreues Abbild des Körpers zusammen, das danach im virtuellen Raum agieren kann. Und zwar gesteuert vom Patienten selbst.

Dabei ist die Konfrontation mit dem eigenen Körper wohl ungewöhnlich – und kann auch negative Gefühle hervorrufen. „Man muss seine gewohnten Komfortzonen verlassen und lernen, das virtuelle Abbild als den eigenen Körper zu akzeptieren“, erläutert Wienrich. „Hat man sich erst einmal daran gewöhnt, können die Möglichkeiten der virtuellen Umgebung zum Einsatz kommen. Darin können wir zum Beispiel Situationen konstruieren, die dabei helfen können, Teufelskreise aus der realen Welt zu durchbrechen.“

Die Gegenüberstellung in auch unangenehmen Situationen in der virtuellen Welt ist in der Psychologie eine etablierte Methode. In Würzburg erforscht auch die klinische Psychologie virtuelle Welten, um Phobien – beispielsweise Spinnenangst – durch individuelles Training im Simulator zu behandeln.

Nachdem einmal das eigene Abbild auf dem Computer geschaffen wurde, lassen sich unterschiedliche Therapieansätze verwirklichen, denn der Avatar lässt sich beliebig verändern. Zurückliegende Ereignisse wie ein schleichender Gewichtsanstieg über viele Jahre lassen sich in der Rückschau aufarbeiten. Aber auch die Aussichten einer erfolgreichen Therapie lassen sich vor Augen führen. „Kaum einer kann sich den eigenen Körper 20 oder 30 Jahre in der Zukunft vorstellen“, sagt Professor Latoschik. „Wenn wir die Zeit in der virtuellen Realität vorspulen, erhalten wir ganz neue An- und Einsichten über uns selbst und die möglichen Konsequenzen unseres Handels. Die Vorteile einer virtuellen Welt liegen dabei auf der Hand: Sie lässt einen nahezu unbegrenzten Freiraum für Anwendungen und Erfahrungsmöglichkeiten. „Losgelöst vom realen Körper könnten sich Menschen mit einer frei wählbaren Erscheinungsform weltweit in virtuellen Gruppentherapien austauschen. Sonst negativ wahrgenommene Körperbilder treten hier in den Hintergrund“, erläutert Wienrich.

Die neue Therapie verbindet also erprobte Aspekte mit neuen technischen Möglichkeiten und wissenschaftlichen Fragestellungen, kombiniert dabei interaktive Computergrafik, Kognitionsforschung und Informatik. Darüber hinaus setzt es auf Gamification – also die Nutzung von Elementen aus Computerspielen. „Dabei interessieren uns vor allem Fragen zu Spielemechaniken und zur Motivierung der Teilnehmenden“, bilanziert Latoschik. Und dafür gab es sogar schon einen Preis: Das Deutsche Institut für Virtual Reality (DIVR) hat das Konzept von ViTraS schon kurz nach dem Start des Projektes ausgezeichnet. Im Rahmen der „DIVR Science Awards“ erhielt es den Preis in der Kategorie „Best Impact“.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft

×