Denkerpose © bowie15 / iStock / Thinkstock

Unser Gehirn schläft nie

LERNEN IM SCHLAF

Unser Denkorgan arbeitet unermüdlich weiter. Dabei ist es so beschäftigt, dass es offenbar keine Zeit mehr findet, Bewusstsein zu generieren …

Seite 1/1 2 Minuten

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Kennen Sie das auch? Ein Prüfungstermin rückt immer näher, die Zeit wird knapp und man weiß irgendwann gar nicht mehr, wie man den ganzen für den bevorstehenden Test relevanten Stoff noch rechtzeitig lernen soll. Haben Sie sich da nicht auch schon einmal gewünscht, man könnte das Lehrbuch einfach unter das Kopfkissen legen, darauf hoffend, dass das Wissen im Schlaf mühelos und auf wundersame Weise seinen Weg aus den Buchseiten in den eigenen Kopf finden möge?

Wenngleich dieser Wunsch freilich nie Realität werden dürfte, so hat Schlaf doch eine zentrale Bedeutung für Lernvorgänge in unserem Gehirn: Während das Einspeichern neuer Information und das Wiederabrufen von bereits Erlerntem im Wachzustand stattfindet, bedarf es des Schlafzustandes, um neu eingespeicherte Inhalte zu festigen, also zu konsolidieren. Zu diesem Zweck laufen dabei im Gehirn offenbar Prozesse ab, die mit dem Wachzustand nicht vereinbar sind.

Aktuelle Modelle der Rolle des Schlafes bei der Gedächtniskonsolidierung gehen davon aus, dass es während des Schlafes zu einer Reaktivierung der neuronalen Verbindungen kommt, die im Zuge der initialen Einspeicherung der Information bereits aktiv waren. Hierzu werden bestimmte kortikale Bereiche durch den Thalamus mittels so genannter Schlafspindeln – einem spezifischen Muster neuronaler Erregung – aktiviert und bereiten den Kortex so für die Gedächtniskonsolidierung vor. Es kommt zu langsam oszillierenden Aktivierungen, die zwischen dem Thalamus, dem Kortex und dem Hippocampus zeitlich präzise abgestimmt „Gedächtnisspuren“ reaktivieren.

REM-Schlaf wirkt sich dabei besonders günstig auf die Konsolidierung von prozeduralen und emotionalen Gedächtnisinhalten aus, während non-REM Schlaf, also Tiefschlaf, eine größere Rolle für das Festigen von deklarativen Inhalten zu besitzen scheint. Interessanterweise werden die Gedächtnisinhalte dabei nicht nur gefestigt, sondern neu organisiert und in das bestehende Netzwerk früherer Wissensinhalte „eingepflegt“.

Durch diesen Prozess können so unbewusst neue Assoziationen gebildet und neue Einsichten in Zusammenhänge generiert werden, die sich dem Lernenden bei dem ursprünglichen Lernvorgang noch nicht erschlossen haben – ein Mechanismus, der der Grund dafür sein dürfte, dass so manchem die Lösungen für schwierige Probleme oft erst dann einfallen, wenn er oder sie mal ausgiebig „darüber geschlafen“ hat!

Damit sich diese enorm wichtige Funktion des Schlafs optimal nutzen lässt, ist nicht vonnöten, sofort nach einer Lernphase in die Konsolidierungsphase überzuwechseln, also zu schlafen, aber der Schlaf sollte noch am selben Tag wie die initiale Lernphase stattfinden. Die gute Nachricht ist also, dass Lernen im Schlaf durchaus funktioniert – nur eben leider nicht mit dem Buch unter dem Kopfkissen, ohne dass Sie sich den Stoff vorher einzuprägen versucht hätten – aber so kennen Sie das ja sicher auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 01/14 auf Seite 12.

 


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