Giftmischerinnen auf der Spur
INTERVIEW MIT DR. ERIKA EIKERMANN
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Frau Dr. Eikermann, was hat Sie veranlasst, Ihre Doktorarbeit über Giftmorde zu schreiben?
Mein Beruf hat mich darauf gebracht, denn als Apothekerin wurde ich immer mal wieder scherzhaft als „Giftmischerin“ bezeichnet. Das hat mich ein wenig geärgert, denn schließlich betrachte ich es als Aufgabe des Apothekers und seines Teams, Arzneimittel herzustellen – und nicht etwa Gifte zu mischen. Doch hat mich auch interessiert, inwiefern heilkundige Frauen ihre Fähigkeiten in der Vergangenheit tatsächlich missbrauchten, um Heilpflanzen und andere potenziell giftige Substanzen zu mörderischen Zwecken einzusetzen. So war die Idee zu meiner Dissertation geboren.
Giftmorde sind Frauensache – können Sie zustimmen?
Nein, das ist so nicht ganz richtig. Zahlreiche Giftmorde wurden auch von Männern verübt. Spektakulärer und von größerem öffentlichen Interesse waren jedoch immer die von Frauen begangenen Taten. Richtig ist auch, dass Frauen, wenn sie morden, dies bevorzugt mit Gift tun – das erfordert keine Kraft, keine körperliche Gewalt und ist unblutig. Außerdem besteht theoretisch die Chance, dass der Anschlag unentdeckt bleibt und die Umwelt glaubt, das Opfer sei eines natürlichen Todes gestorben.
Dass Frauen seit jeher bevorzugt mit Gift morden, hängt auch mit der klassischen Rollenverteilung zusammen. Da sie fürs Kochen und die Krankenpflege zuständig waren, kannten Frauen sich mit Stoffen aus der Natur und deren Wirkung gut aus. Was die moderne PTA berufsbedingt weiß, hatten heilkundige Frauen schon vor Hunderten von Jahren herausgefunden: Viele Pflanzen, die Krankheiten lindern und heilen können, können in falscher Dosierung oder Zubereitung zum tödlichen Gift werden.
Warum werden Frauen zu Giftmörderinnen?
In der Vergangenheit griffen Frauen sehr oft zum Gift, um den ungeliebten Ehemann endgültig loszuwerden. Oft sahen sie im Giftmord die einzige Chance, aus einer unglücklichen, vielleicht sogar von Gewalt geprägten Beziehung zu entkommen. Bis heute morden Frauen übrigens häufig, um frei zu sein, was auch erklärt, warum vor allem lästige Ehemänner ihr Leben lassen müssen. Daneben vergifteten Frauen ihre Opfer aber durchaus auch aus anderen Motiven, beispielsweise aus Habgier oder Rachsucht.
Gibt es unter den Giftmörderinnen besonders viele Serientäterinnen?
Bei meinen Recherchen bin ich tatsächlich auf zahlreiche Serientäterinnen gestoßen. Zu den berühmtesten gehört die angesehene Bürgerin Gesche Gottfried, die 1831 in Deutschland als letzte Frau öffentlich mit dem Schwert hingerichtet wurde. Ihr wurden 15 Giftmorde mit Arsen sicher nachgewiesen, über 30 Taten soll sie insgesamt begangen haben. Unter anderem vergiftete sie ihren Ehemann, ihre Eltern und ihre drei Kinder. Anschließend beging sie zahlreiche weitere Morde, wohl aus Leidenschaft und Lust am Töten.
Welche Giftmordreihen zählen zu den spektakulärsten?
Da gibt es einige. Besonders abgestoßen haben mich die listigen Giftmorde einer Mutter, die ihren Ehemann und eines ihrer Kinder auf Veranlassung ihres Geliebten mit einer Bleiverbindung vergiftete. Motive waren hier Hörigkeit und Habgier, denn vor den Morden hatte die Frau hohe Lebensversicherungen auf den Ehemann und das Kind abgeschlossen. Spektakulär war auch der erste bekannt gewordene Mordfall mit dem Pflanzenschutzmittel E 605, im Gegensatz zu Arsen übrigens eine sehr auffällige, weil farbige und geruchsintensive Substanz. Eine junge Frau verabreichte ihren Opfern in den 1950er-Jahren E 605 in stark gesüßten Speisen und später in präparierten Cognacpralinen.
VITA
Dr. rer. nat. Erika Eikermann wurde 1945 in Berlin geboren, studierte in Freiburg im Breisgau Pharmazie, erhielt 1971 ihre Approbation und wurde 1995 Fachapothekerin für Offizin-Pharmazie. 2004 wurde sie an der Universität Bonn mit der Doktorarbeit „Heilkundige Frauen und Giftmischerinnen – eine pharmazie-historische Studie aus forensisch-toxikologischer Sicht“ promoviert. Dr. Erika Eikermann ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder, Enkelkinder und lebt mit ihrer Familie in Köln. Foto: © Erika Eikermann
Der Fall ging als „Pralinenmord“ in die Justizgeschichte ein und zog zahlreiche weitere Gift- und Selbstmorde mit E 605 nach sich. Zwei Jahre nach dem Prozess im „Pralinenmord“ soll eine Apothekerin Mocca-Eclairs mit E 605 präpariert und an die Familie ihres Geliebten geschickt haben. Wohl, um dessen Ehefrau und Kinder aus dem Weg zu räumen. Ein Kind der Familie verzehrte das Gebäck und starb daran. Die Apothekerin geriet unter Verdacht, wurde jedoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen. „Die Geschicklichkeit einer berufsmäßigen Giftmischerin hat gesiegt“, wurde der zweifelhafte Feispruch kommentiert.
Apropos Apothekerin: Spielten Pharmazeuten in der Vergangenheit als Täter generell wichtige Rollen?
Da Apotheker seit jeher berufsmäßig Zugang zu Giften hatten und über pharmakologische Kenntnisse verfügten, traten sie in der Vergangenheit auch diverse Male als Giftmörder auf. Apothekerinnen kamen als potenzielle Täterinnen allerdings erst vor gut 100 Jahren ins Spiel, da Frauen vorher keinen Zugang zum Pharmaziestudium und zum Apothekerberuf hatten. Übrigens auch, weil die Männerwelt fürchtete, Frauen könnten Schaden mit giftigen Substanzen anrichten.
Und wie konnten Apotheken zur Aufklärung von Giftmorden beitragen?
In der Gerichtsmedizin spielten Apotheker seit jeher eine Hauptrolle. Da sie über eigene Labore verfügten, konnten sie chemische Prozesse ablaufen lassen und somit zur Identifizierung von Giften beitragen. Einer der berühmtesten Gerichtschemiker seiner Zeit war der Arzt, Chemiker und Apotheker Samuel Hahnemann, Begründer der Homöopathie. Er hatte bereits 1786 eine erste Methode zum Nachweis von Arsen entwickelt. Der wissenschaftliche anerkannte Nachweis von Arsen gelang allerdings erst viele Jahre später, und zwar dem englischen Chemiker James Marsh.
Arsen gilt bis heute als „König der Gifte“? Warum?
Arsen ist schon seit der Antike bekannt und etablierte sich im Laufe der Zeit als Mordgift mehr und mehr. Ihren Höhepunkt fanden Giftmorde mit Arsen in der Renaissance, also dem historischen Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit. Als Rattengift war Arsen leicht zu erwerben und lange Zeit war kein Nachweis möglich. Erstmals 1840 wurde der Giftnachweis nach James Marsh vor Gericht angewandt, weshalb Giftmorde mit Arsen von nun an riskanter wurden.
Das führte dazu, dass Alkaloidpflanzen, die bereits in der Antike zu Mordzwecken eingesetzt worden waren, ein Comeback erlebten. Für Alkaloide gab es nämlich nach wie vor keine Nachweismethoden. Besonders heikel war die Situation nun aber, weil es mittlerweile möglich war, einzelne Pflanzeninhaltsstoffe zu isolieren, beispielsweise Morphin aus Opium. Als Mordwaffe konnte nun also gleich der isolierte Wirkstoff gezielt und in gering dosierter Menge verabreicht werden – ein Vorteil für die Giftmörder. Apotheker und Chemiker wurden aufgerufen, einen Alkaloidnachweis zu erbringen, was 1850 dann gelang.
Welche giftigen Substanzen waren in den letzten 100 Jahren populär?
Anfang des letzten Jahrhunderts ereigneten sich zahlreiche Giftmorde mit Thalliumsalzen und Quecksilber. Nach dem ersten Weltkrieg kam ein thalliumhaltiges Rattengift auf den Markt, das von Menschen mit mörderischen Absichten prompt für ihre Zwecke umfunktioniert wurde. Schließlich avancierte das Pflanzenschutzmittel E 605 zum neuen Modegift.
Und welche sind es heute?
Wenn Giftmörder heute zuschlagen, tun sie es in erster Linie mit Arzneimitteln, unter anderem mit bestimmten Herz-Kreislauf-Medikamenten sowie Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Die Giftmord-relevanten Arzneimittel sind allesamt verschreibungspflichtig, was einen Missbrauch jedoch nicht grundsätzlich ausschließt – schließlich können die Medikamente über einen längeren Zeitraum gehortet und den Opfern dann in tödlicher Dosis verabreicht werden.
Dank moderner Analysemethoden können Giftmorde mit Arzneimitteln heute grundsätzlich nachgewiesen werden. Wurde das Medikament dem Opfer allerdings nicht vom Arzt verordnet und haben die Toxikologen keinen Anhaltspunkt, um welches Arzneimittel es sich handeln könnte, so ist der Nachweis sehr kompliziert, kostspielig und langwierig.
Haben sich auch die Mordmotive verändert?
Nicht unbedingt, wobei allerdings der Mord am lästigen Gatten ein wenig aus der Mode gekommen ist. Habgier gehört jedoch nach wie vor zu den klassischen Motiven. Oft handelt es sich bei Giftmordopfern um ältere Menschen, die der Täter beerben möchte. Zum Problem wird der Giftmordnachweis bei älteren Opfern oft durch ihre Multimedikation. Wenn viele Abbauprodukte von Arzneimitteln im Körper zu finden sind, ist es schwer festzustellen, welche Substanz letztlich zum Tod geführt hat. Aber auch in diesen Fällen gelingt es der forensischen Toxikologie, den Giftmördern auf die Schliche zu kommen.
Müssen Giftmörderinnen von heute medizinische Expertinnen sein?
Nicht unbedingt, aber gehört habe ich durchaus schon von Krankenschwestern, Altenpflegerinnen, Ärztinnen und Apothekerinnen, die zu Giftmörderinnen wurden. Vor dem Hintergrund, dass Arzneimittel heute die „Giftwaffen“ Nummer eins sind, sicherlich nicht so verwunderlich. Über eine PTA als Giftmörderin ist mir hingegen nichts bekannt. Grundsätzlich ist es heute natürlich so, dass es sich bei Giftmorden um sehr seltene Gewaltverbrechen handelt. Doch vor allem wenn eine Frau als Täterin zuschlägt, ist das öffentliche Interesse nach wie vor gewaltig. Denn schließlich gelten Giftmorde als raffiniert, unheimlich, heimtückisch sowie als „typisch weiblich“ – und sind deshalb immer eine schaurige Geschichte wert.
Neue Serie
Das Interview mit Dr. Erika Eikermann ist Auftakt einer dreiteiligen Serie über Giftmorde im Wandel der Zeit. Lesen Sie in der Juli-Ausgabe mehr über Arsen, Thallium, Nikotin und andere „Mordwaffen“, die nicht nur Agatha Christie Stoff für zahlreiche Kriminalromane lieferten.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/11 auf Seite 86.
Das Interview führte Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin