Teetasse © saquizeta / iStock / Getty Images Plus
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Schmöker

IN FEINER GESELLSCHAFT

Manche Männer neigen einfach dazu, sich die falschen Frauen auszusuchen, seufzt die Hauptheldin Dulcie auf Seite 278 in diesem wunderbaren Roman der Britin Barbara Pym. Gottseidank fügt sich am Schluss alles.

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Selbst Literaturkritiker, die ja von Berufs wegen Druckwerke einschätzen müssen, irren sich manchmal. Bei Barbara Pym (geboren 1913) irrten sie sich siebzehn Jahre lang. Für ihren sechsten Roman fand sich kein Verleger mehr und die Autorin gab beinahe auf. Sie wollte nur noch für gute Freunde schreiben, beschloss sie betrübt, wenn überhaupt.

Unterschätzte Schriftstellerin Pym war als Tochter eines Anwalts aufgewachsen, hatte Literatur studiert und als 22-Jährige ihr erstes Manuskript abgeliefert, das auch veröffentlicht wurde. In all ihren Romanen erzählt sie lineare Geschichten – also nichts mit verschiedenen Zeitebenen und unerklärlichen Ereignissen, die sich erst auf Seite 600 auflösen. Sie erzählt ungekünstelt, beinahe plätschernd – und darüber übersah man damals wohl die feine Ironie, die scharfe Beobachtungsgabe, die meisterhaften Kompositionen ihrer Handlungsverläufe. Bis die Literaturkritiker schlau wurden, ihr den Booker Price verliehen, sie als „am meisten unterschätzte Schriftstellerin des Jahrhunderts“ bezeichneten und sie mit Jane Austen verglichen, vergingen, wie oben erwähnt, siebzehn Jahre.

Dann aber erhielt sie sogar ein eigenes Fernsehporträt in der BBC, „Tea with Miss Pym“, und plötzlich hatte sie jeder auf dem Schirm und die Auflagen ihrer Romane gingen zumindest in ihrem Heimatland durch die Decke. In Deutschland hat sich der Dumont-Verlag ihrer angenommen und bringt dankenswerterweise einen nach dem anderen in neuer Edition und Übersetzung heraus. Gebunden als Hardcover, sogar mit geflochtenem Lesebändchen, was eine liebevolle Reminiszenz an die Tatsache ist, dass hinter Büchern, die man in der Hand hält, ein Handwerk steckt.

Zwei Damen, ein Herr Zur Handlung: Die mittelalte Dulcie Mainwaring ist gerade von ihrem Verlobten verlassen worden und gleich der erste Satz des Romans sagt alles über seinen Stil: „Es gibt verschiedene Arten, gegen ein gebrochenes Herz vorzugehen, aber der Besuch einer Fachtagung dürfte einer der unüblicheren sein.“ Auf dieser Tagung trifft sie die zickige, selbstverliebte Viola, und weil Dulcie so ein gutes Herz hat, ist sie ihr bis Seite 348, der letzten Seite, eine gute Freundin. Gemeinsam treffen sie auf diesem Termin den gutaussehenden Literaturdozenten Aylwin Forbes, der immer ein Fläschchen Gin dabei hat, sich selbst für den Tollsten hält und dessen Werk mit dem spannenden Titel „Häufige Probleme eines Herausgebers“ kurz vor der Veröffentlichung steht. Viola drängt sich ihm auf, indem sie das Stichwortregister für ihn schreiben möchte, was anscheinend bei wissenschaftlichen Werken eine nötige, aber zeitraubende und ausgesprochen dröge Arbeit ist.

Dulcie entflammt ebenso für den Beau (dessen Frau ihn gerade verlassen hat), aber sie tut es auf ihre unauffällige, nette Art. Aylwin, der eingebildete Gockel, weiß natürlich, dass er auf die Damen wirkt. Da man daheim in London nicht weit auseinanderwohnt, trifft man sich in dem Haus, in dem nun Viola und Dulcie gemeinsam wohnen und in dem auch eine Nichte auf dem Zeitpunkt wartet, bis sie eine Wohnung gefunden hat. Die ist zwanzig Jahre alt und hat lange blonde Haare. Sie ahnen nicht, was dem 50-jährigen Literaturprofessor passiert… Während Dulcie und Viola den Professor stalken (so würde man das heute nennen), dazu seinen Bruder ausfindig machen, der in einer nahegelegenen Kirche als Pfarrer arbeitet und genauso toll aussieht und sich in die Schwiegerfamilie Alwyns einschleichen, merkt dieser nicht, dass er sich zum Affen macht und wie es ausgeht, können Sie dann ja selbst lesen. Eine ganz gewöhnliche Geschichte also.

Witzige Charakterstudien Aber ach, sie ist so köstlich erzählt. Wie Barbara Pym Viola in immer wieder neuen Variationen beschreibt – eine langsam verblühende Frau, die nichts als Männer im Kopf hat und überraschenderweise am Ende sogar einen findet. Dulcie, vielleicht ein Alter Ego der Autorin, die total unauffällig durchs Leben geht („Sie könnten mal was aus sich machen“, meint die Nachbarin), aber glasklar die Marotten ihrer Mitmenschen durchschaut und eine wirklich gute Beobachterin ist. Sie betrachtet die auseinandergebrochene Ehe Aylwins und urteilt für sich „Vielleicht stirbt die Liebe zu jemand gänzlich Ungeeignetem, wenn sie denn stirbt, ja vollständiger als jede andere Liebe“.

Der gockelnde Aylwin selbst, der die goldlockige Nichte und ihre Freundin am Nachmittag fragt, ob sie auch einen Drink wollten: „Einen Drink?“ kommt verwundert zurück. Woraufhin sich der alternde Mann eingesteht: „Ihre munteren, vogelleichten kleinen Tage brauchten sicher gar keinen Drink als Abschluss, dieses Elixier, ohne das erwachsene Menschen wie er fast nicht sein konnten.“ Schließlich kommt es doch zum Sherry in der Bibliothek, wie es sich für einen englischen Roman gehört; ein Treffen, das durch die Schwiegermutter empfindlich gestört wird. Die beiden Frauen suchen das Landhotel von Aylwins Mutter auf, wo sie beide Brüder treffen, und nach diesem Showdown in leicht ranziger, etwas gruseliger Atmosphäre sind sie dann geheilt, wissen es aber noch nicht. Die Auflösung der Geschichte ist wirklich besonders gut, aber ich will hier nichts vorzeitig verraten.

Ein bisschen Komik ist überall „Ein heimlicher Klassiker, eine Jane Austen 2.0“ hat Gert Scobel in seinem Buchmagazin den Roman genannt. Barbara Pym schreibt mit scharfem Blick, ihrem subtilen Humor und einem feinem Sinn für Situationskomik über die Dramen des Alltags und sie führt uns ausgesprochen genüsslich vor Augen, dass jede Liebe – mag sie noch so klein oder groß sein – etwas unfreiwillig Komisches an sich hat. Stimmt’s? Barbara Pym blieb übrigens zeit ihres Lebens unverheiratet. Als sie 1977 endlich entdeckt wurde, genoss sie (hoffentlich) den eintretenden Ruhm. Sie lebte mit ihren beiden Katzen in einem Cottage in Oxford. Eine Brustkrebserkrankung machte ihrem Leben 1980 ein Ende – doch vorher hatte sie noch mithilfe ihrer jüngeren Schwester ihren letzten Roman fertig gestellt. Nur die Korrekturfahnen des Verlags, die konnte sie nicht mehr selbst lesen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/2021 ab Seite 88.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin

Barbara Pym „In feiner Gesellschaft” Dumont Hardcover, 350 Seiten 20 Euro ISBN: 978-3-8321-8131-4

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