Repetitorium
IMPFUNGEN – TEIL 2 –
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Impfungen zählen zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten. Bei einer auf natürlichem Wege erworbenen Immunität können Infektionen einen komplikationsreichen, unter Umständen sogar lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf nehmen. Um den Körper davor zu schützen, sind Impfungen entwickelt worden. Durch Gabe von Antigenen (abgeschwächte, abgetötete oder fragmentierte Krankheitserreger) regen Impfungen den Organismus zur Bildung von Abwehrstoffen (Antikörper und Gedächtniszellen) an. Sie induzieren auf diese Weise eine Immunantwort, die den Körper in die Lage versetzt, den betreffenden Erreger bei späterem Kontakt schnell und effektiv zu eliminieren, ohne selber zu erkranken.
Aktive und passive Immunisierung Dieser Vorgang wird auch als aktive Immunisierung bezeichnet, da der Körper selbst tätig werden muss. Der auf diese Weise erworbene Schutz bleibt jahre-, teilweise (vor allem bei Lebendimpfstoffen) lebenslang bestehen. Allerdings dauert es eine gewisse Zeit, bis der Organismus die Immunantwort aufgebaut hat. Dafür werden in der Regel mehrere Impfungen (Grundimmunisierung) benötigt. Ebenso sind zum Erhalt der Immunität häufig regelmäßige Auffrischimpfungen notwendig (vor allem bei Totimpfstoffen).
Von der aktiven ist die passive Immunisierung abzugrenzen. Dabei werden dem Körper von einem anderen Organismus gebildete spezifische Antikörper (Immunglobuline) übertragen, über die er zum gegebenen Zeitpunkt nicht oder nicht in ausreichender Menge verfügt. Vorteil der passiven Immunisierung ist der sofortige Eintritt des Schutzes, da der Körper nicht erst zur Bildung von Antikörpern angeregt werden muss. Nachteilig ist, dass die Immunität nur kurzfristig anhält. Daher werden passive Impfungen nur im Notfall gegeben, wenn eine aktive Immunisierung zuvor noch nicht erfolgt und im akuten Moment nicht möglich ist (z. B. Tollwut-Immunglobulin nach Kontakt mit tollwutverdächtigem Tier).
Eine natürliche passive Immunisierung erfolgt durch Übertragung mütterlicher Antikörper während der Schwangerschaft über die Plazenta oder beim Stillen mit der Muttermilch auf das Kind. Diese als Nestschutz bezeichnete Immunität bewahrt Neugeborene vor bestimmten Infektionskrankheiten. Sie ist aber nur von kurzer Dauer, da nach wenigen Wochen oder Monaten der Abbau der Antikörper einsetzt.
Historischer Impferfolg Die Pockenimpfung war die erste Impfung, die Ärzten zur Verfügung stand. Sie wurde 1776 von dem britischen Arzt Edward Jenner entwickelt. Er hatte entdeckt, dass Melker seltener an den „echten“ Pockenviren (Orthopoxvirus variolae) erkranken, wenn sie sich vorher mit den harmloseren Kuhpocken infiziert hatten. Jenner brachte daher erstmals das harmlose Virus der Kuhpocken in die Haut von Menschen, um sie vor dem Pockentod zu schützen. Da er das Material dazu dem Euter kranker Kühe entnahm, nannte er seine Methode „vaccination“ (lat. vaccinus = von Kühen stammend). Noch heute ist das englische Wort für Impfung „vaccination“ und ein Impfstoff wird nicht nur im englischen Sprachraum als „vaccine“, sondern auch in der medizinischen Terminologie als Vakzine bezeichnet.
Die Pockenimpfung war so erfolgreich, dass bereits 1802 in Berlin eine staatliche Impfanstalt zur Herstellung von Pockenimpfstoff gegründet wurde. Nachdem in den Jahren 1871 bis 1873 schwere Pockenepidemien mit mehr als 100 000 Toten in Deutschland grassierten, wurde 1874 das Reichsimpfgesetz erlassen. Es verpflichtete damals alle Bürger, ihre Kinder gegen Pocken impfen zu lassen. Die gesetzliche Pflicht zur Pockenimpfung wurde erst 1976 gelockert und 1982 schließlich ganz aufgehoben. Während in der Bundesrepublik Deutschland nach Abschaffung der Pockenimpfung alle weiteren Impfungen freiwillig blieben, erklärte man in der DDR nach und nach alle Impfungen zur Pflicht. Daher konnte bei der ostdeutschen Bevölkerung noch lange Zeit nach der Wende ein im Vergleich zum Westen besserer Impfstatus festgestellt werden.
Keine generelle Impfpflicht Heute gibt es in Deutschland keine generelle Impfpflicht mehr. Impfungen sind freiwillig und jeder kann individuell entscheiden, ob er eine Impfung durchführen lassen möchte. Ausnahmen gibt es seit kurzem nur bei den Masern. Nach dem Masernschutzgesetz, das im März 2020 in Kraft getreten ist, müssen Eltern nachweisen, dass ihre Kinder vor Eintritt in eine Gemeinschaftseinrichtung (z. B. Kindergarten, Schule) die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen gegen Masern erhalten haben. Sollten die Kinder zuvor schon an Masern erkrankt gewesen sein, ist ein ärztliches Attest erforderlich, das einen ausreichenden Immunschutz belegt. Gleiches gilt für nach 1970 Geborene, die in Gemeinschafts- oder medizinischen Einrichtungen tätig sind.
Impfempfehlungen Die STIKO ist ein unabhängiges Expertengremium von Ärzten und Epidemiologen des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin, das regelmäßig Empfehlungen für gesundheitsrelevante Impfungen ausspricht. Die aktualisierte Version der STIKO-Empfehlungen wird jedes Jahr mit Erläuterungen im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht (letzter Stand: August 2020) und kann auf den Internetseiten des RKI abgerufen werden. Auf den Impfempfehlungen der STIKO basiert zum einen die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), ob die Kosten für eine Schutzimpfung von der Gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden.
Zudem bilden sie die Grundlage für die öffentlichen Impfempfehlungen der einzelnen Bundesländer, die wiederum die Voraussetzung für eine Anerkennung eines möglichen Impfschadens darstellen. Die STIKO unterscheidet bei den Impfempfehlungen zwischen Standard-, Indikations- und Auffrischimpfungen. Impfungen, die jeder nach den Impfempfehlungen der STIKO routinemäßig erhalten soll, werden als Standardimpfungen bezeichnet. Indikationsimpfungen richten sie unter bestimmten Bedingungen (z. B. besondere epidemiologische Situation, individuell erhöhte Gefährdung) an einen bestimmten Personenkreis. Impfungen aufgrund eines beruflichen Risikos und Reiseimpfungen zählen zu den Sonderfällen einer Indikationsimpfung. Mit Auffrischimpfungen wird nach abgeschlossener Grundimmunisierung mit einer einzigen Impfstoffdosis die Immunität aktualisiert.
Jede Impfung zählt Impfungen sollten möglichst frühzeitig erfolgen, um das Kind nach Wegfall des Nestschutzes vor schwerwiegenden Erkrankungen zu schützen. Zudem sollte die Grundimmunisierung zeitgerecht ohne Verzögerungen (vor dem zweiten Geburtstag) abgeschlossen sein, um einen mangelhaften Impfschutz zu vermeiden. Damit eine belastbare Immunität erzeugt wird, dürfen die bei einer Impfserie angegebenen Impfabstände zwischen den Teilimpfungen nicht unterschritten werden. Andererseits gibt es keine unzulässig großen Abstände zwischen Impfungen. Jede Impfung zählt! Selbst eine für lange Zeit unterbrochene Grundimmunisierung bedeutet keine Beeinträchtigung der Endimmunität. Nicht abgeschlossene Impfserien können Jahre später komplettiert werden, ebenso sind Auffrischimpfungen jederzeit nachholbar.
Schutz für den Einzelnen und die Gemeinschaft Eine Impfung schützt nicht nur den Impfling selber. Auch ungeimpfte Personen profitieren von einer geimpften Umgebung. Lässt sich ein ausreichender Teil der Bevölkerung impfen, ist es möglich, Infektionsketten zu unterbrechen. Die Erregerausbreitung wird gestoppt, da sich der Erreger nicht mehr in den immunen Menschen vermehren und an Ungeschützte weitergegeben werden kann. Dieser Kollektivschutz, der auch Herdenschutz oder Herdenimmunität genannt wird, bewahrt insbesondere Personen vor Infektionen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können.
Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Erreger ausschließlich beim Menschen vermehrt und hohe Durchimpfungsraten erzielt werden. Dann kann auch eine regionale oder sogar weltweite Ausrottung (Eradikation) gelingen. Während die weltweite Elimination von Polio von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiertes, aber bislang noch nicht erreichtes Ziel ist, konnten die Pocken bereits 1980 von der WHO als ausgerottet erklärt werden.
Lückenhafter Impfschutz Die WHO hatte sich auch die weltweite Eradikation der Masern bis Ende 2020 zum Ziel gesetzt. Dafür hätten 95 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft sein müssen. Deutschland ist aber noch immer von der notwendigen Impfquote entfernt. Während bereits einige Regionen der Welt (z. B. Nord- und Südamerika) als masernfrei gelten, traten bei uns in den vergangenen Jahren immer wieder regionale Masernausbrüche auf. Grund dafür ist vor allem eine nicht zu Ende geführte Grundimmunisierung.
Für einen ausreichenden Schutz ist eine zweite Impfstoffdosis unbedingt erforderlich, da fünf bis zehn Prozent der Geimpften durch die erste Dosis nicht ausreichend geschützt werden. Erst die zweite Impfung verhindert in 98 bis 99 Prozent der Fälle einen Ausbruch der Erkrankung. Eine aktuelle Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK) verdeutlicht den lückenhaften Impfschutz bei TK-versicherten Kindern, die im Jahr 2017 geboren wurden. Demnach hat nur die Hälfte in den ersten zwei Lebensjahren alle von der STIKO empfohlenen Impfungen erhalten und bei zehn Prozent fehlt noch die zweite Masernimpfung.
Mangelnde Impfmotivation Mangelnde Durchimpfungsraten haben viele Gründe. Durch die großen Impferfolge der letzten Jahrzehnte wurden schwere Infektionskrankheiten zurückgedrängt und damit aus dem Bewusstsein der Menschen vertrieben. Echte und vermeintliche Impfkomplikationen rücken in den Vordergrund der Betrachtung und führen zu einer negativen Impfentscheidung. Etliche bagatellisieren schwere Infektionskrankheiten und halten sie für harmlos. Manche glauben gar, Kinder müssten sie durchmachen, um ihre Widerstandskräfte zu stärken oder um zu reifen. Andere wiegen sich wegen des medizinischen Fortschritts in einer scheinbaren Sicherheit und in dem Glauben, dass alles geheilt werden könne.
Kinderkrankheiten keinesfalls harmlos Dabei können die vermeintlich ungefährlichen Kinderkrankheiten lebensbedrohliche Verläufe mit dauerhaften Schäden hervorrufen. Und das nicht nur bei Kindern. Immer häufiger infizieren sich Jugendliche und Erwachsene, bei denen die Infektionen meist schwerer und häufiger mit Komplikationen verbunden sind. So können sich beispielsweise bei etwa einem von 20 000 an Mumps Erkrankten bleibende Hörschäden oder Taubheit einstellen, und bei etwa jeden dritten erkrankten Jungen nach der Pubertät kommt es zu einer Hodenentzündung, die mit Zeugungsunfähigkeit einhergehen kann. Bei den Masern ist eine besonders gefürchtete Komplikation die Gehirnentzündung (Enzephalitis), die bei etwa zehn von 10 000 Masernkranken auftritt. Ein bis zwei von ihnen sterben und bei etwa zwei bis drei Betroffenen bleiben schwere Folgeschäden wie geistige Behinderungen und Lähmungen zurück.
Weniger Risiken mit Impfungen Bei Impfungen sind hingegen schwere Komplikationen äußerst selten. Nach einer Masern-Impfung erkrankt weniger als einer von einer Million an einer Enzephalitis. Zwar sind im Anschluss an eine Impfung innerhalb der ersten 72 Stunden Rötungen oder Schwellungen im Bereich der Einstichstelle, leichtes Fieber (in seltenen Fällen Fieberkrämpfe) sowie Kopf- und Gliederschmerzen möglich. Auch können sich bei einigen Impfungen Reaktionen zeigen, die der Erkrankung in stark abgeschwächter Form ähneln. Diese Impfreaktionen sind in der Regel jedoch harmlos, da sie meist nur kurzfristig vorhanden und selbstlimitierend sind, ohne ansteckend zu sein. Sie zeigen, dass der Körper auf die Impfung reagiert und eine Immunität aufbaut.
Lebend-, Tot-, mRNA- und Vektor-Impfstoffe Ein Lebendimpfstoff besteht aus in seiner Pathogenität abgeschwächten (attenuierten), vermehrungsfähigen Erregern (z. B. Rotavirus-, Masern-, Mumps-, Röteln-, Varizellen-Impfstoff). Sie erzeugen bereits nach ein- bis zweimaliger Gabe eine lang andauernde, bei einigen Impfstoffen vermutlich lebenslange Immunität. Lebendimpfstoffe können simultan verabreicht werden. Erfolgt ihre Impfung nicht gleichzeitig, ist in der Regel ein Mindestabstand von vier Wochen einzuhalten. Bei Impfungen mit Totimpfstoffen müssen keine Mindestabstände eingehalten werden. Totimpfstoffe enthalten abgetötete (inaktivierte), nicht mehr vermehrungsfähige Erreger (z. B. Poliomyelitis-, Frühsommer-Meningoenzephalitis-, Influenza-Impfstoff) beziehungsweise deren isolierte Antigene (z. B. Pertussis-, Herpes zoster-, Humane-Papillomvirus- Impfstoff).
Ebenso werden Toxoid-Impfstoffe mit entgiftetem Toxin zu den Totimpfstoffen gerechnet (z. B. Diphterie-, Tetanus-Impfstoff). Sie lösen eine geringere Immunreaktion als Lebendimpfstoffe aus, die zudem von begrenzter Dauer ist. Daher enthalten Totimpfstoffe in der Regel zum Aufbau einer ausreichend starken und lang andauernden Immunantwort einen Wirkverstärker (Adjuvans). Zudem sind im Rahmen der Grundimmunisierung mehrere Impfungen und später Auffrischimpfungen erforderlich. Bei den beiden COVID-19-Impfstoffen von Biontech/Pfizer (BNT162b2, Handelsname Comirnaty®) und Moderna (mRNA-1273) handelt es sich um mRNA-Impfstoffe.
Mit dieser neuen Impfstoff-Variante werden nicht wie bei herkömmlichen Impfstoffen Antigene (also Proteine oder Fragmente davon) verimpft, sondern in Form der Boten-RNA (engl. messenger-RNA, kurz mRNA) die Bauanleitung dafür. Im speziellen Fall besitzt sie die Information über das Spike-Protein, das sich auf der Oberfläche von SARS-CoV-2 befindet. Die Zelle des Geimpften kann dann nach der Anweisung der injizierten mRNA die Coronavirus-Proteine produzieren, die als Antigene dem Immunsystem präsentiert werden und die gewünschte Immunantwort auslösen.
Der Impfstoffkandidat von AstraZeneca (AZD1222) ist ein Vektorimpfstoff. Ein Vektorimpfstoff besteht aus für den Menschen harmlosen Erregern, die als Transportvehikel (Vektor) fungieren und ein oder mehrere Antigene des Krankheitserregers tragen. AZD1222 basiert auf einem abgeschwächten, nicht replikationsfähigem Schimpansen-Adenovirus. In diesen ist ein Gen für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 integriert, das im Körper des Geimpften abgelesen wird und eine Immunreaktion bewirkt.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2021 ab Seite 92.
Gode Chlond, Apothekerin