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Kolumne | Holger Schulze

GEHIRN IM GLAS

Die Hirnforschung nutzt zunehmend aus menschlichen Hirnzellen gezüchtete Organoide, um Hirnerkrankungen besser zu verstehen – und wirft so ganz neue ethische Fragen auf.

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Kennen Sie das auch? Das Empfinden, dass Science-Fiction-Geschichten aus Ihrer Kindheit immer häufiger Wirklichkeit zu werden scheinen? Ich erinnere mich zum Beispiel an die Zeichentrickserie „Captain Future“, die ich als Kind geliebt habe: Da gab es einen Professor Simon Wright, der als „lebendes Gehirn“ unter einer gläsernen Kuppel umherschwebte und so weiterleben konnte, obwohl sein Körper wohl schon lange tot war. Zwar ist die moderne Hirnforschung noch nicht so weit, dass sie das Gehirn eines Menschen unter Erhaltung dessen Bewusstseins außerhalb des Körpers weiterleben lassen könnte, aber weit entfernt davon sind wir möglicherweise auch nicht mehr.

Ist das Gehirn ein Organ wie jedes andere auch?


 Tatsächlich ist es schon gelungen, Schweinegehirne nach der Schlachtung am Leben zu erhalten - zumindest die darin enthaltenen Nervenzellen, auch wenn das Gehirn als Ganzes wohl nicht mehr funktionierte. Bereits heute häufig zu Forschungszwecken eingesetzt werden sogenannte Organoide aus humanen Hirnzellen, also in der Regel aus pluripotenten menschlichen Stammzellen gezüchtete Zellhaufen, die sich zu Nervenzellgewebe ausdifferenzieren.

Man könnte sagen, man erhält durch diese Technik so etwas wie ein Mini-Gehirn im Reagenzglas, und vermutlich fragen Sie sich gerade, wozu so etwas gut sein soll. Tatsächlich lösen solche Organoide eines der grundsätzlichen Dilemmata in der Hirnforschung, zum Beispiel wenn es darum geht, Erkrankungen des menschlichen Gehirns wie Alzheimer oder Parkinson aufzuklären.

Zur Person
Prof. Dr. Schulze Hirnforscher Holger.Schulze@uk-erlangen.de Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaft- liches MItglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens. www.schulze-holger.de

Viele Untersuchungen, die technisch möglich sind wie etwa das Ableiten elektrischer Aktivität einzelner Nervenzellen oder die Entnahme von Hirngewebeproben, sind an menschlichen Patienten in aller Regel aus ethischen Gründen schlicht nicht möglich, weshalb sich die Hirnforschung oft verschiedener Tiermodelle bedient. Die Ergebnisse, die an solchen Modellen gewonnen werden, sind aber oft nicht so ohne weiteres auf den Menschen übertragbar: So ist es zum Beispiel keineswegs selbstverständlich, dass ein Mausmodell für Parkinson tatsächlich mit menschlichem Parkinson vergleichbar ist.

An Organoiden aus menschlichen Nervenzellen können demgegenüber eben tatsächlich die Eigenschaften menschlicher Zellen untersucht werden. Dies stößt natürlich dort an Grenzen, wo die Zelle im Kontext des Gesamtorganismus untersucht werden muss. Doch auch hierfür hat die Hirnforschung bereits eine Lösung, bei der menschliche Hirnzellen oder ganze Organoide in einen Wirtsorganismus, etwa eine Maus, transplantiert werden: Es entstehen dadurch Chimären aus menschlichen und Mauszellen.

So vielversprechend diese Forschungsansätze auch sind, so ungeklärt sind die neuen ethischen Fragen, die sie aufwerfen: Kann ein explantiertes Gehirn oder ein Organoid aus menschlichen Hirnzellen ab einer bestimmten Größe so etwas wie Empfindungen oder gar Bewusstsein entwickeln? Werden Mäuse durch menschliche Hirnzellen intelligenter? Und was dürfte man dann noch mit ihnen tun? Fragen, die einer dringenden Diskussion bedürfen, finden Sie nicht auch?

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/18 auf Seite 12.

»Ist das Gehirn ein Organ wie jedes andere auch?«

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