Gehirn | Forschung
ZWEI DAUMEN UND NOCH EIN DRITTER?
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Mal ganz ehrlich, haben sie sich schon einmal Gedanken darübergemacht, was sie mit einem dritten Daumen anstellen könnten? Wir benötigen unsere Finger bei vielen Dingen unseres alltäglichen Lebens, sei es einfach nur um die Kaffeetasse hochzuheben, den Computer zu bedienen oder das Auto zu lenken. Gedanken, wie das eigentlich funktioniert, macht man sich selten. Gelenkt werden unsere Finger und andere Körperteile durch ein raffiniertes neuronales Steuerungssystem. Als Grundlage dient hierbei ein Abbild es Körpers und seiner beweglichen Elemente im Gehirn.
Wenn man an das Wort Prothese denkt, hat man meist auch den Begriff „Ersatz“ im Hinterkopf. Eigentlich stammt es aber aus vom Griechischen „prósthesis“ und heißt „Zusatz“. Neuere Techniken aus dem sogenannten Augmentation-Bereich und immer raffiniertere Robotik-Systeme werden von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt entwickelt, um verlorene Körperteile zu ersetzen, aber auch menschliche Fähigkeiten zu erweitern. „Körper-Augmentation ist ein wachsender Bereich, doch uns fehlt bisher ein klares Verständnis darüber, wie gut und sicher sich unser Gehirn an diese Systeme anpassen kann“, erklärt Tamar Makin vom University College London.
Aktuelles Projekt mit drittem Daumen
Das Team vom University College London hat innerhalb einer Studie nun die Effekte eines solchen Augmentation-Gerätes untersucht. Entwickelt wurde der sogenannte dritte Daumen von Produktdesignerin und Co-Autorin Danielle Clode am Royal College of Art. Und so funktioniert die neue Entwicklung: Der dritte Daumen wird an der dominanten Hand getragen, in der Nähe des kleinen Fingers, er liegt demnach dem eigentlichen Daumen genau gegenüber. Gesteuert wird er über zwei Sensoren, die unter dem großen Zeh angebracht sind. „Durch die Untersuchung von Menschen, die diesen dritten Daumen benutzen, wollten wir untersuchen, inwieweit das menschliche Gehirn ein solches zusätzliches Körperteil unterstützen kann und wie sich die Technologie auf unser Gehirn auswirkt“, so Makin.
Insgesamt 20 Probanden nahmen an der Untersuchung teil. Doch nicht nur die Anleitung durch das Forscherteam war für die Teilnehmer wichtig, sondern auch die eigenen Erfahrungen im Alltag, die dazu beitrugen, den dritten Daumen richtig und effizient anzuwenden. Der robotische Zusatzfinger wurde an fünf Tagen insgesamt sechs Stunden täglich angewandt. Während des Trainings im Labor unter wissenschaftlicher Anleitung lag der Fokus auf Aufgaben, bei denen eine Zusammenarbeit zwischen der Hand und dem dritten Daumen zwingend notwendig war. Darunter fallen unter anderem das Aufheben von Weingläsern oder Bällen. Außerhalb der Labortüren konnten die Probanden das Gerät nach ihrem Ermessen testen.
Schnelle Gewöhnung an neues Körperteil
Sowohl die Tests im Labor als auch die Erfahrungen der Teilnehmer selbst zeigten, dass sich eine geschickte Hand-Daumen-Koordination und eine motorische Kontrolle schnell entwickelt. Zudem sei ein immer geringeres Konzentrationsaufkommen notwendig, wie Clode erklärt: „Unsere Studie zeigt, dass Menschen schnell lernen können, ein Augmentations-Gerät zu steuern und es zu ihrem Vorteil zu nutzen, ohne viel nachdenken zu müssen. Wir haben gesehen, dass die Probanden bei der Verwendung des dritten Daumens ihre natürlichen Handbewegungen änderten, und sie berichteten auch, dass sich der Roboterdaumen schließlich wie ein Teil ihres eigenen Körpers anfühlte“.
Hat ein solcher Zusatzfinger nun Auswirkungen auf unsere Gehirnfunktion? Um genau dieser Frage auf den Grund zu gehen, wurde die Hirnaktivität der Teilnehmer mittels einer funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) vor und nach der Eingewöhnung an den dritten Daumen untersucht. Dafür bewegten die Teilnehmer ihre Finger einzeln nacheinander an beiden Händen ohne das Zusatzgerät zu tragen. Die Auswertungen haben gezeigt, dass das neue Körperteil das Gehirn verändert. Der dritte Daumen verdeutlicht, wie schnell das Gehirn auf neue Gliedmaßen reagiert. „Die Evolution hat uns nicht darauf vorbereitet, einzusätzliches Körperteil zu verwenden. Es zeigt sich nun, wie das Gehirn die Darstellung des biologischen Körpers anpassen muss, um unsere Fähigkeiten zu erweitern“, so Makin.
Effekte nicht von Dauer
Bei einer Untersuchung eine Woche nach dem Ende der Tragedauer des Daumens waren die Veränderungen in der Gehirnaktivität jedoch wieder verschwunden. Diese Erkenntnis wirft jedoch kritische Fragen auf, die vor einem breiten Einsatz einer solchen Technologie geklärt werden müssen. In einem nächsten Schritt soll nun untersucht werden, inwieweit sich die Veränderung der Hand im Gehirn negativ auf die normale Nutzung der Hand auswirken könnte.
„Augmentations-Geräte, ähnlich wie das von uns getestete, könnten sich als nützlich erweisen, denn sie ermöglichen es Menschen, dauerhaft oder vorübergehend komplexe Tätigkeiten mit nur einer Hand zu erledigen. Beispielsweise könnten Chirurgen dadurch ohne Assistenten auskommen oder Fabrikarbeiter effizienter arbeiten. Aber vorher müssen wir weiter an den Fragen forschen, wie diese Geräte mit unserem Gehirn interagieren“, erklärt Erstautorin Paulina Kieliba vom University College London. „Wir müssen sicherstellen, dass Augmentations-Geräte die Lern- und Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns bestmöglich nutzen, und gleichzeitig gewährleisten, dass sie sicher verwendet werden können“.
Quellen:
https://www.wissenschaft.de/technik-digitales/ein-dritter-daumen-praegt-das-gehirn/
University College London, Fachartikel: Science Robotics, doi: 10.1126/scirobotics.abd7935