© Frater Aloisius

Der Apothekenkrimi

DIE SPANISCHE FLIEGE – TEIL 6

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Kapitel 8 Britta Badouin hatte sich selbst zum Kaffee eingeladen. Als sie die steile, gepflasterte Straße zur Grimmburg hinauffuhr, fiel ihr wieder einmal die unglaubliche Schönheit der Landschaft auf. An der Scheitelstelle zwischen Westerwald und den Ausläufern des Rothaargebirges gelegen, blickte die Burg aus Sandstein in eine Märchenlandschaft hinab, in der sich sanfte Hügel, tiefe Wälder und bunte Getreidefelder abwechselten. Wie im Film, dachte Britta. Die wussten früher schon, wo es schön war. Doch dann kehrten ihre Gedanken wieder zu Ems Plan zurück: Heute würde die junge Journalistin Jeanette Scholz treffen, die in der JVA Butzbach auf ihren Prozess wartete. Britta bezweifelte stark, dass die Klinikapothekerin ihren Lover Dr. Hans Ferdinand umgebracht hatte.

Wäre ja auch wirklich bescheuert, ihm vor aller Augen hochgiftiges Cantharidin übers Speiseeis zu streuen. Und warum auch? Dass sie den charismatischen Professor geliebt hatte, stand außer Frage. Während Jeanette Scholz seine aktuelle Favoritin war, hatte der umtriebige Professor jedoch gleich zwei Ex-Geliebte mit am Tisch sitzen. Zum einen Miriam Wennerhold. Ob die ihm die folgenreiche Affäre schon verziehen hatte? Auch Em war einmal kurz mit ihm verbandelt gewesen, streng genommen zählte auch sie zu den Verdächtigen. Britta wunderte sich immer wieder über die Abgründe, die sich hinter den glatten Fassaden der Menschen verbargen.

Niemals hätte sie vermutet, dass der kleine, wohlgenährte Mann mit dem sehr schütteren Haupthaar einen derartigen Erfolg beim weiblichen Geschlecht verzeichnen konnte. Aber vielleicht war sie auch einfach immun dagegen, seit sie ihren Robert kannte. Er konnte zwar nichts dafür, dass er wie ein Darsteller aus einer Arztserie aussah, aber Britta bemerkte sehr wohl die Blicke der Damen, wenn sie in Gesellschaft waren. Robert war ein Traummann, jedenfalls äußerlich. Dass auch er Bruchstellen in seinem Leben hatte, die ihn schwer gezeichnet hatten, wusste kaum jemand. Als Britta auf den Burghof fuhr, kläffte die Hundemeute hinter der Natursteinmauer mit dem schmiedeeisernen Tor lautstark. Elisabeth von der Leyden, immerhin schon im achten Lebensjahrzehnt, sorgte gerade für Ordnung.

Die alte Freifrau hatte auf Britta einen tiefen Eindruck gemacht. Ihr wacher, scharfer Verstand hatte jedenfalls durch die Jahre nicht gelitten, und da sie einen der Beteiligten am Galadinner gut gekannt hatte, wollte sie ihr noch einmal auf den Zahn fühlen. Dazu also dieses Kaffeekränzchen, das ohne Annette stattfinden musste. Denn die unterstützte in der Apotheke gerade die neue Approbierte, die mit dem Kassensystem noch nicht so gut zurecht kam. Die junge Frau kam frisch von der Uni und Britta war heilfroh, dass sie sich auf ihr Stellengesuch gemeldet hatte. „Hallo! Schön, dass Sie da sind!“ Elisabeth von der Leyden besaß immer noch die durchtrainierte Körperhaltung der ehemaligen Leistungssportlerin; schlank und drahtig kam sie jetzt über das Kopfsteinpflaster auf sie zu und streckte ihr die Hand hin.

Man bewunderte die Aussicht, man machte ein wenig Smalltalk, doch Britta entging nicht, dass die scharfen grauen Augen der Freifrau sie mehrfach musterten. Und so kam diese bereits auf den Punkt, als Britta noch an ihrem erstem Stück Käsekuchen kaute. „Was führt Sie zu mir, junge Frau?“ Britta schluckte runter, nahm ein Schlückchen Kaffee und legte los: „Wir suchen immer noch nach einem Mörder mit pharmazeutischen Kenntnissen. Das Problem ist: Alle Teilnehmer des Dinners kannten sich gut aus. Deswegen ist unsere einzige Hoffnung, mehr über die Persönlichkeiten der Anwesenden zu erfahren. Sie kennen Albert Zurmuehl-Wiedenhausen noch aus dem Sportstudium, bevor er zur Pharmazie gewechselt ist. Und sie kennen somit auch seine Frau Gertrud.“ „Oh ja“, unterbrach Elisabeth von der Leyden. „Die kenne ich gut. Sie hat nämlich immer versucht, sich mit mir anzufreunden, damals, vor vierzig Jahren.“ „Warum hat sie’s versucht?“ „Weil sie über mich besser an ihren Albert rankam. Albert und ich, wir waren richtig gute Kameraden, so ein wenig wie Bruder und Schwester. Er war sehr sportlich und intellektuell brillant, aber er hatte leider wenig Ehrgeiz.

Das wäre einer der typischen Langzeitstudenten geworden, mit Polohemd und Sportwagen vom reichen Papa. Gertrud besaß den Ehrgeiz, der ihm fehlte – doch ihre Familie hatte gar kein Geld. Dafür war sie sehr hübsch, sie war schmal und hatte unendlich lange Beine.“ Britta dachte an die hagere Frau mit dem Geschmeide um den dürren Hals. Ihren stechenden Blick und das insgesamt unsympathische Äußere. Gatte Albert wirkte neben ihr wie ein verkleideteter Teddybär. Aber man sollte Menschen ja nie nach ihrem Äußeren beurteilen. „Gertrud hatte sich in den Kopf gesetzt, dass sie Frau Professor werden wollte.

Dazu brauchte sie den geeigneten Kandidaten – einen, der sich gut lenken ließ und den sie mit ihrem Aussehen um den Finger wickeln konnte. Glauben Sie mir, die liebe Gertrud war früher ein echter Feger. Die hätte glatt als Model arbeiten können, so ziemlich alle Kerle waren hinter ihr her. Da war der gute Albert mit seinem plüschigen Charme echt von den Socken, als sie ihn erwählte, er konnte sein Glück gar nicht fassen.“ „Und sie hat dann dafür gesorgt, dass er in die Spur kam?“ fragte Britta amüsiert. „Das kann man wohl sagen. Sie hat ihn davon überzeugt, das Fach zu wechseln, damals waren Apotheken noch Goldgruben, und Pharmazie hörte sich da nicht schlecht an. Albert machte dann nochmal einen Schlenker zur Medizin und entdeckte recht bald die Medizingeschichte für sich. Das war ein Feld, in dem es kaum Experten gab. Ich hatte manchmal das Gefühl, er fühlte sich in seinem Arbeitszimmer immer wohler als irgendwo anders. Gertrud hatte die gesellschaftlichen Ambitionen, nicht er. Doch es bleibt unbestritten, was er in dem Zeitungsartikel gesagt hat: Ohne sie wäre er nicht dort, wo er heute ist.“ „Haben die beiden Kinder?“ „Nein. Knapp nach der Hochzeit hab ich sie noch einmal getroffen, zum Tennisspielen. Und ich weiß noch, was sie mir damals gesagt hat: „Albert möchte Kinder, ich aber nicht. Ich will mir doch nicht meine Figur ruinieren.“ Das hat mich sehr geschockt. Dass ein Mensch so denken kann.“&nb

Was bisher geschah
Dr. Hans Ferdinand ist tot – vor aller Augen vergiftet mittels einer kräftigen Prise Cantharidin über dem Speiseeis. Doch seine Freundin, die Klinikapothekerin Jeanette Scholz, schwört, dass das weiße Pulver aus der rot-weißen Kruke bisher immer Lactase-Pulver darstellte, denn ihr Hans litt an einer Lactose-Intoleranz. Komisch auch, dass kein Etikett auf der Dose klebte – kennzeichnen Apotheker nicht immer die Gefäße, die sie befüllen? Zum Zeitpunkt des Todesfalls befinden sich vier Paare am Tisch des Nobelrestaurants, unter anderem auch Britta Badouin und ihr Robert, die bereits den „Mord am Mainufer“ und den „Tod im Labor“ aufgeklärt haben. Wie sich schon bald herausstellt, gibt es persönliche Verbindungen zum Mordopfer. Kein Wunder, dass die Apothekerin aus Hessen sogleich die Spur aufnimmt. Unterstützt wird sie dabei von Emmeline Emckendorf, Journalistin und ebenfalls beim Dinner anwesend.

Elisabeth von der Leyden seufzte. „Was hätte ich darum gegeben, Kinder zu bekommen. Gertrud jedenfalls hatte ein Problem: Sie war hübsch, beinahe schön, sie wirkte auf Männer. Und wie viele Frauen, die in der Jugend große Erfolge mit ihrem Äußeren haben, tat sie sich schwer mit dem Altern. Ab fünfzig ist es besser, ein wenig Fett auf den Rippen zu haben, doch Gertrud hielt eisern Diät – mit der Folge, dass sie immer mehr wie ein Gerippe aussah. Ihr Albert zog sich zunehmend in seine Bücherwelt zurück, sie selbst las kaum und ging lieber auf Charity-Events. Tja, und da wurde es irgendwann einsam um die liebe Gertrud. Kaum noch ein Mann, der sich für sie interessierte, keine Familie, um die sie sich kümmern musste, keine intellektuellen Interessen. Ich hab mal gehört, sie hatte irgendwo eine kurze Affäre, aber das ist nicht bestätigt. Kann ich mir auch nicht vorstellen. Obwohl – Albert hätte das sowieso nicht mitgekriegt, wieso also nicht?“ „Tja“, sagte Britta und stach geistesabwesend in ihren Käsekuchen. „Warum eigentlich nicht?“

Während die beiden Frauen ihr Kaffeekränzchen durchaus genossen, braute sich draußen ein Unwetter zusammen. Bald donnerte es grollend, und Elisabeth von der Leyden beschloss, Britta ein wenig durch die Ahnengalerie zu führen. „Eigentlich hatte ich ja einen Rundgang über den neu gestalteten Burghof geplant, aber das wird wohl nichts.“ Missmutig schaute die Freifrau den Wasserströmen zu, die die alten Fensterscheiben herunterliefen, untermalt von Donner und Blitz. Britta dachte, dass Butzenscheiben mit ihren Schlieren immer so schön verdeutlichten, dass Glas doch eigentlich eine Silikat-Verbindung war, die sehr langsam floss. „Kommen Sie, meine Liebe, ich zeige Ihnen mal die verflossenen Burgherren.“ Britta fand sich im mächtigen Treppenhaus der Grimmburg wieder – eigentlich eher ein Treppenturm -, an dessen Wänden mächtige Ölporträts die von der Leydens vergangener Generationen abbildeten. „Wir waren einmal ein stolzes Geschlecht“, sagte Elisabeth nachdenklich. „Hier, Adalbert von der Leyden, er lebte von 1612 bis 1675 und beriet sogar den Reichsfürstenrat, dem er allerdings nicht angehörte.“ „Was ist der Reichsfürstenrat?“ „In allen Phasen des Mittelalters gab es ein kompliziertes Standesrecht. Es galt, Territorien zu verwalten und Erbrechte auszulegen, gleichzeitig bestand ja immer der Gegensatz zwischen weltlicher und geistlicher Macht. Der Reichsfürstenrat war eine Organisation, der Mitglieder beider Seiten angehörten und auch so eine Art Standesgericht.

„Ab fünfzig ist es besser, ein wenig Fett auf den Rippen zu haben“, sagte Elisabeth von der Leyden. Britta fühlte sich gleich viel besser.

Er stand immer ein wenig in Konkurrenz zum Kurfürstenrat, der ja den jeweiligen Kaiser wählte – aber das führt jetzt ein wenig zu weit in die genealogischen Besonderheiten. Tatsache ist, dass Adalbert sehr charismatisch war und für eine reiche Anzahl von Nachkommen sorgte, was ja in unseren Kreisen eine bis heute übliche Angewohnheit ist“. Elisabeth grinste ein wenig. „Ich glaube manchmal, Ducki nimmt seinem Sohn Robert den Herzklappen-Skandal weniger übel als die Tatsache, dass er keinen einzigen Sohn produziert hat.“ Britta spürte die Blicke der Freifrau wohlgefällig auf ihr ruhen. Und hörte den sybillinischen Satz: „Der Gute könnte auch mal bald in die Pötte kommen.“ Als die Apothekerin schon wieder auf dem Heimweg war, klingelte ihr Handy, Em rief an. Britta fuhr rechts ran und nahm den Anruf entgegen. „Na?“ fragte sie. „Hast du was rausbekommen?“ „Ach, die ganze Sache war wirklich tragisch. Ich glaube wirklich keine Sekunde, dass die Scholz ihren Hans um die Ecke gebracht hat. Sie hat erzählt, dass er ihr einen Heiratsantrag gemacht hat, den sie angenommen hat.

Die beiden wollten heiraten! Und sie liebte ihn über alles. Sie hat geweint, als sie mir das erzählte. Sie kann sich immer noch nicht erklären, wie diese Apothekendose in ihre Tasche gekommen ist. Von ihr sei das Ding jedenfalls nicht, weil sie natürlich immer alles ordentlich beschriftet hat. Aber da ist dann der Justizbeamte dazwischengegangen.“ Em räusperte sich. „Und was hast du rausgekriegt?“ „Nicht viel. Elisabeth hat mir erzählt, dass Gertrud in jungen Jahren ein männermordendes Ungeheuer war, dass sie sehr auf ihre Linie achtete und keine Kinder wollte. Und dass sie wohl ein Problem mit dem Altern hatte.“ „Inwiefern?“ Britta dachte etwas wehmütig, dass Em sich einfach nicht vorstellen konnte, wie es sich anfühlte, nicht mehr jung, attraktiv und quicklebendig zu sein. „Ihr Selbstwertgefühl hat wohl darunter gelitten, dass die Herren ihr nicht mehr hinterhergeschaut haben. Außer ihrem Aussehen hatte sie nicht viel zu bieten.“ „Naja“, sagte Em, „Der Ferdinand hatte nicht mal Aussehen zu bieten. Jeanette Scholz hat mir erzählt, dass er ihr feierlich geschworen hat, mit den Frauengeschichten aufzuhören. Meinst du, er hat ihr alles gestanden? Mit Namen und so?“ Em hörte sich ein wenig unruhig an. „Keine Ahnung.“ Britta grinste. „Also, übermorgen ist dann das Sommerfest unserer Zeitung. Du stehst auf der Gästeliste, ein Namensschild liegt am Empfang.“ „Ich habe übrigens Notdienst. Um neun Uhr abends kommt meine Ablösung, ich kann dann um halb zehn da sein.“ „Das ist vielleicht auch ganz gut so. Dann haben die meisten schon was getrunken und sind viel lockerer drauf. Bis dann!“

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/17 ab Seite 100.

 Alexandra Regner, PTA/Redaktion

Der Showdown läuft. Wie wird es weitergehen? Lesen Sie die nächste Folge unseres Apothekenkrimis in unserer August-Ausgabe!

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