Kolumne | Holger Schulze
DIE CANNABIS-SCHIZOPHRENIE
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Kennen Sie das auch? Die endlosen Debatten über die Legalisierung von Cannabis? Ein Argument, das die Befürworter dabei immer wieder ins Feld führen, ist der Vergleich mit anderen legalen Drogen: Angeblich sei Cannabiskonsum weit weniger gefährlich als etwa der von Nikotin oder Alkohol. Ist das so?
Lange Zeit war die Einschätzung möglicher gesundheitsschädlicher Wirkungen von Cannabis, etwa auf die Entstehung von Psychosen, heftig umstritten. Dies lag im Wesentlichen daran, dass die Wirkungsweise der verschiedenen Inhaltsstoffe von Cannabis, allen voran die der Cannabinoide, auf den Organismus nur wenig untersucht und verstanden waren. Insbesondere Ursache-Wirkungs-Beziehungen waren strittig, zum Beispiel ob Cannabis für die Entstehung von Psychosen ursächlich sein kann oder ob nicht vielmehr eine beginnende Psychose die Betroffenen erst zum Konsum anregt.
Mittlerweile ist aber vollkommen unstrittig, dass der Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit eine Schizophrenie auszubilden deutlich erhöht: Je nach Häufigkeit, Dosierung und Alter der Konsumenten steigt die Gefahr einer solchen Psychose um 40 bis zu 200 Prozent! Nach Hochrechnungen können danach allein in Großbritannien rund 800 Neuerkrankungen pro Jahr auf Cannabiskonsum zurückgeführt werden. Zu den Symptomen einer derartigen Störung gehören dabei solche der Wahrnehmung, kognitiver Leistungen oder der Willenskraft bis hin zu Halluzinationen und Wahnvorstellungen.
Mit diesen Störungen korrelieren auch Veränderungen im Gehirn: THC , das Cannabiniod, das für die wesentliche psychotrope Wirkung von Cannabis verantwortlich ist, beeinflusst Rezeptoren des endocannabinoiden Systems im Gehirn, insbesondere CB1 und CB2. Schizophreniepatienten zeigen erhöhte CB1-Rezeptordichten im Gehirn, zum Beispiel in dem für Bewusstsein bedeutsamen präfrontalen Kortex, bei gleichzeitig reduziertem Volumen des Nervengewebes, insbesondere im Hippocampus, einer wichtigen Struktur für Lern- und Gedächtnisvorgänge.
Eine direkte akute Beeinträchtigung dieser kognitiven Leistungen durch THC, zusätzlich zu psychotischen Symptomen, gilt dabei als gesichert. Im Übrigen wirken sich die THC-induzierten Veränderungen besonders schädlich auf die Gehirne von Jugendlichen aus, da hier direkt Reifungsprozesse der sich entwickelnden neuronalen Netzwerke gestört werden können. Neben dem gesteigerten Risiko, eine Psychose auszubilden, sind auch die krebserregende Wirkung des Cannabisrauchs auf die Atemwege, allgemeine respiratorische oder kardiovaskuläre Störungen sowie Beeinträchtigungen der Bewegungskoordination, weswegen die Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr eingeschränkt wird, unbestritten.
Meinen Sie nicht auch, dass es da geradezu schizophren anmutet, über eine Legalisierung von Cannabis nachzudenken, nur weil es (leider) legale Drogen gibt, die noch gefährlicher sind?
Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de
Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/15 auf Seite 12.
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