Eine Frau liegt mit einer Schlafmaske im Bett.
Ein Viertel aller Deutschen kämpft mit Schlafstörungen. © fizkes / iStock / Getty Images Plus

Nachtruhe | Historische Betrachtung

DER SCHLAF IM WANDEL DER ZEITEN

Nicht immer war es so wie heute: Da gelten acht Stunden Nachtschlaf am Stück als Nonplusultra. Doch das war nicht immer so: In früheren Zeiten schlief man eher in Zyklen – und fand das ganz normal.

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Doch, es gibt sie noch, die offenen wissenschaftlichen Fragen. Warum wir eigentlich schlafen (müssen) hat noch kein Arzt überzeugend beantworten können. Fest steht nur: Wenn man uns am Schlafen hindert, sterben wir. Wir sind geradezu erpicht auf eine tiefe, ungestörte Nachtruhe. Doch deren Erholsamkeit nimmt gerade weltweit ab: Laut Robert-Koch-Institut (RKI) kämpft immerhin ein Viertel aller Deutschen mit Schlafproblemen, elf Prozent bezeichnen ihn als „nicht erholsam“. 17,6 Prozent haben Ein- und Durchschlafstörungen (Tendenz stark steigend) und nur etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Deutschen gab an, genug Schlaf zu bekommen.

32 Prozent schlafen durchschnittlich sieben Stunden pro Nacht, 28 Prozent schlummern sechs Stunden. Alle empfinden es als Schlafstörung, wenn er unterbrochen wird. Doch ist es das wirklich?

Im 17. und 18. Jahrhundert beispielsweise war die heutige Idealvorstellung eines durchgehenden Nachtschlafs noch nicht etabliert. Verbreitet war eher ein zweiphasiger Schlaf – das fanden die Leute zu dieser Zeit völlig normal. Die Wachphase in der Nacht nutzten sie, um zu rauchen, für Gespräche, für Gebete oder einfach nur um nachzudenken, berichtet die Professorin für Zeitgeschichte, Hannah Ahlheim, in ihrem Buch „Der Traum vom Schlaf im 20. Jahrhundert“. Erst im Zuge der Industrialisierung sei der achtstündige Nachtschlaf aufgekommen, der heute als Standard für erholsamen Schlaf gilt.

Interessant: Historiker beklagen, dass durch die fehlenden Wachzeiten in der Nacht oft auch der natürliche Zugang zur eigenen Psyche verloren gegangen sei.

Die Sicht auf den Schlaf veränderte sich, als man im 19. Jahrhundert die Seele entdeckte. Sie wurde sozusagen von allen Seiten auf dem Seziertisch begutachtet – am berühmtesten wurde die Betrachtungsweise des Tiefenpsychologen Siegmund Freud (1856 – 1939), der den Fokus auf das „Unbewusste“ richtete. Träume waren seiner Ansicht nach Ausdruck von Fantasien. Durch diese psychoanalytische Herangehensweise war der Traum nun vermeintlich rational erkundbar und der Schlaf verlor seine metaphysische Komponente.

Immer öfter wurde die nächtliche Welt beobachtet, vermessen und bewertet. Ahlheim hebt hervor, dass sich die Vorstellung vom „richtigen“ Schlaf immer der jeweiligen Gesellschaft anpasste, gerade im Hinblick auf die Arbeits- und Alltagskultur. Mit der Wende zum 20. Jahrhundert stand die Optimierung des Schlafs im Vordergrund, um die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit der Bevölkerung zu erhöhen – vor allem für die Kopfarbeiter. Für die Nachtruhe jener, die harte körperliche Arbeit verrichteten, interessierte man sich hingegen weniger. Eisenbahn, Straßenbahn, Telefon sowie die Massenerzeugnisse der Uhrenindustrie befeuerten die Beschleunigung im Alltag – bis dieses hohe Tempo schließlich als wichtigstes Merkmal der industrialisierten Gesellschaft galt.

Vielleicht kein Zufall, dass in dieser zunehmenden Schnelllebigkeit erstmals das Phänomen der Schlaflosigkeit auftrat, ungefähr in den 1920er- und 1930er-Jahren. Um 1950 begann dann die Suche nach dem „natürlichen Schlafrhythmus“. Biologen und Psychologen, Ärzte und Literaten machten sich Gedanken darüber, wie „die Schwingungen des Kosmos und die Lebensrhythmen von Pflanzen, Tieren und Menschen zusammenhingen“, so Ahlheim. Die Vorstellung der organischen Uhr entstand, jedenfalls in Europa.

Anders stellte sich die Entwicklung in den USA dar: Dort kamen insbesondere während des zweiten Weltkrieges Psychopharmaka zum Einsatz, um Schlafprobleme zu lösen. Die US-Armee habe mit entsprechenden Präparaten die nötige Nachtruhe bei psychisch kranken Soldaten, die unter Schlafmangel litten, erzwungen. In diese Phase fiel auch die Entdeckung des REM-Schlafes, was große Experimentierfreude unter den Schlafforschern auslöste: Guter Schlaf war jetzt messbar. Und die Wirtschaft reagierte nicht nur mit Schlafmitteln, sondern auch mit Matratzen, Kissen, Schlafbrillen und Anti-Schnarch-Bällen.

Heute sorgt man sich also eher um den Verlust des Schlafes – doch haben sich immerhin die kulturellen schlaffördernden Traditionen wie Wiegenlieder, Gute-Nacht-Geschichten oder Rituale zur Nacht erhalten. Das zeige, so die Autorin, dass die Deutungsmacht der Naturwissenschaften nicht in alle Lebensbereiche vorgedrungen sei. Sowieso tappt die Schlafforschung in wichtigen Bereichen im sprichwörtlichen Dunkel: Warum wir schlafen, wie der Schlaf beginnt, von wo aus er gesteuert wird, darauf weiß man immer noch keine Antwort.

Nur das eine ist sicher: Schlafprobleme, beispielsweise durch zu viel Stress, haben ernste Konsequenzen. Dazu gehören Depressionen, Jetlag, Schichtarbeit oder erhöhter Alkoholkonsum.

Das RKI, zurzeit mit anderen Dingen beschäftigt, fordert schon lange: Über die Ursachen für Schlafprobleme sollte die Bevölkerung viel besser aufgeklärt werden.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: Pharmazeutische Zeitung

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